Süddeutsche Zeitung

Reitsport:Die Zügel in zwei Fingern

Bei der Pferd International könnte die Para-Reiterin Elke Philipp zum siebten Mal Meisterin werden.

Von Sabine Neumann

Elke Philipps körperliche Einschränkungen sind auf den ersten Blick nicht erkennbar. Sie sitzt aufrecht im Sattel, die Schrittbewegung fließt durch ihren Körper. Pferd und Reiterin sind miteinander im Einklang. Für Philipp ist das "ein Genuss, ein wahres Vergnügen".

Sie gehört zu den erfolgreichsten Sportlerinnen Bayerns. Seit 2013 brachte die Para-Reiterin aus Treuchtlingen von allen Europameisterschaften, Weltreiterspielen und von den Paralympics in Rio de Janeiro Medaillen mit nach Hause. Bei sechs deutschen Meisterschaften in Serie führte sie mit ihrem Rappen Regaliz die Ehrenrunde der Reiter in Grade I an. Und bei der bald in München beginnenden Pferd International von 30. Mai bis 2. Juni hat Philipp die Chance, ihren siebten deutschen Meistertitel in der Klasse mit dem größten Handicap zu gewinnen. Denn in diesem Jahr werden in der Olympiahalle erstmals auch Para-Dressurreiter an den Start gehen.

Philipp ist seit einer Gehirnhaut- und Kleinhirnentzündung im Jahr 1984 linksseitig spastisch gelähmt und rumpfinstabil. Ein permanenter Luftröhrenschnitt ermöglicht die Sauerstoffzufuhr bei sportlicher Belastung. Fast zehn Jahre lang saß die einstige Leichtathletin und Skiläuferin im Rollstuhl. Sie fand sich nicht damit ab: "Eine Behinderung ist nur eine besondere Herausforderung, die gemeistert werden muss." Dieser Satz wurde zu ihrem Credo. Mit Hilfe ungezählter Therapien und vor allem durch Therapeutisches Reiten lernte sie das Laufen mit Gehhilfen. "Ich bin keine klassische Reiterin, ich bin Sportlerin", sagt sie über sich selbst.

Denn ohne einen ausgeklügelten Trainingsplan mit Schwimmen, Fitness, Physiotherapie und regelmäßigen ärztlichen Check-ups könnte sie ihren Sport nicht ausüben. Auch mentales Training ist unerlässlich, um der psychischen Belastung speziell im Wettkampf gewachsen zu sein.

Auch mit ihrem Nachwuchspferd gewann Philipp schon Medaillen

Dabei sind ihre Einschränkungen gravierend. Den Oberkörper kann sie nicht drehen. Wenn sie zu weit nach vorne kommt, fällt sie kraftlos vornüber. Ihre Pferde mussten lernen, unkoordinierte, plötzliche Bewegungen auszuhalten - für schreckhafte Fluchttiere eine schwierige Aufgabe. "Mit den Beinen kann ich nicht viel machen, und die Zügelschlaufen halte ich mit zwei Fingern", sagt sie. "Die Gewichtsverlagerung funktioniert bei mir über die Atmung. Ich atme zum Beispiel in die rechte Schulter, wenn ich links eine Volte reiten will." Gemeinsame Spitzenleistungen lassen sich grundsätzlich nur erzielen, wenn die Kommunikation zwischen Pferd und Reiter funktioniert. Das gilt für den Behindertensport vielleicht noch ein bisschen mehr. Verständnis ist der Schlüssel zum Erfolg, Vertrauen und Respekt sind die Basis.

"Vom ersten Augenblick an" fühlte sie sich auf Spider sicher

Diesmal wird die 55-Jährige auf ihrem Nachwuchspferd Fürst Sinclair, auch "Spider" genannt, sitzen. Er kam 2016 als unerfahrener Sechsjähriger zu Para-Bundestrainer Bernhard Fliegl. Philipp suchte damals ein Nachwuchspferd, Fliegl empfahl ihr den Schwarzbraunen mit einem großen, taktsicheren Schritt und sehr viel Ausstrahlung. Ein Hingucker - genau das, was man für die starke Konkurrenz im internationalen Spitzensport braucht. Sein Handicap: Spider ist ein Hengst und als solcher eigentlich für eine Grade I-Reiterin nicht geeignet. Da er aber keine Macho-Allüren an den Tag legte, probierte Philipp ihn aus, sie sagt: "Ich habe mich vom ersten Augenblick an auf Spider sicher gefühlt."

Seit einigen Jahren trainiert die Fränkin mit ihren Top-Pferden Regaliz und Fürst Sinclair auf einer Anlage bei Frankfurt unter der Obhut des Bundestrainers. Um den Para-Sport auf so hohem Niveau ausüben zu können, sind ein professionelles Team und umfangreiches Trainings-, Stall- und Pferdemanagement notwendig. "Ich bin in Bayern sehr gut betreut worden. Aber um ganz an die Spitze zu kommen, musste ich den Stall wechseln", berichtet Philipp.

Larissa Simon, Mitarbeiterin des Bundestrainers, übernahm die Ausbildung Fürst Sinclairs. Sie arbeitet mit Philipps Pferden und verschafft ihnen auch den notwendigen Ausgleich zum anstrengenden Training. Zu den Weltreiterspielen im August reiste Philipp erstmals mit ihrem Nachwuchspferd. Regaliz wäre die sichere Wahl gewesen, sollte aber nach einer Verletzung geschont werden. Sein Stallgenosse meisterte seinen ersten Championats-Einsatz mit Bravour. Als letzter deutscher Starterin gelang es Philipp, die Bronze-Medaille fürs Team zu sichern. Zuvor hatte sie mit ihrem Hengst schon unerwartet Bronze in der Einzelwertung gewonnen.

Über den Winter ist das Duo weiter zusammen gewachsen. "Spider passt immer mehr auf mich auf. Die Entwicklung dieses Pferdes und wie er mitmacht, das ist der Hammer. Das macht Spaß", sagt Elke Philipp. Für die Pferd International in München hat sie eine Kür mit neuer Musik einstudiert, Tina Turners "Simply the best". Es könnte passen.

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SZ vom 25.05.2019
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