Süddeutsche Zeitung

Reiten:Hohe Kunst

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Beim Weltcup-Turnier in Stuttgart gelingt der Reiterin Isabell Werth mit ihrer Stute Bella Rose eine imponierende Dressurkür. Die Stute ist nun seit ihrem Comeback im Frühjahr 2018 seit zehn Auftritten unbesiegt.

Von Gabriele Pochhammer, Stuttgart

Es schwang so etwas wie Ehrfurcht mit in der Stimme des Co-Bundestrainers. "Das war Kunst", sagte Johnny Hilberath, und der Bundestrainerin Monica Theodorescu ging es genauso. Sie hatten mit den 7700 Zuschauern in der Stuttgarter Hans-Martin-Schleyerhalle eine Dressurgala erlebt, die sie so schnell nicht vergessen werden. Mit 85,660 Prozentpunkten gewann Isabell Werth auf Bella Rose nach dem Grand Prix auch die Weltcup-Kür. Es war die Vorstellung, die den Dressurfans bei den Weltmeisterschaften in Tryon (USA) vorenthalten wurde - dort fiel die Kür bekanntlich aus Angst vor dem Hurricane Florence aus. Und diese Kür war wahrlich championatswürdig.

Der Ritt war nicht fehlerlos, die Zweierwechsel misslangen, aber das verblasste gegenüber den vielen Höhepunkten, welche die 14 Jahre alte Bella Rose zu der Musik von Beethovens Neunter tanzte, als Auftakt eine makellosen Piaffe-Pirouette, die einstimmte, auf das, was kam. Es schien so zu sein, als ob Bella Rose selbst der Musik lauschte, um ihre Tritte den Klängen des großen Komponisten anzupassen. Mit brillanten, weichen Übergängen reihte sich ein Höhepunkt an den nächsten. Seit der WM hat Bella Rose noch an Kraft und Kondition gewonnen, konnte ihre Ausstrahlung in der dichten Atmosphäre der Halle noch besser zur Geltung bringen.

Und da ist noch Luft nach oben, nicht nur wegen der ärgerlichen Wechselfehler. Die Trabverstärkungen könnten noch gelassener ausfallen, auch im Galopp lud sich die Stute auf, weswegen die 15 (fehlerlosen) Einerwechsel ein wenig hektisch gerieten. Aber wenn die Fuchsstute zu den erhabenen Klängen der "Ode an die Freude" in stolzen Passagetritten das Viereck durchmaß, wurden alle Unzulänglichkeiten zur Nebensache. In der Kür sollen die Musik und die Bewegungen des Pferdes verschmelzen, nur wenigen Reiter gelingt das in Vollendung. Auch in Stuttgart war die Musik bei einigen Ritten nicht mehr als lärmende Untermalung. Es ist so, dass Isabell Werth nicht nur besser reitet als die meisten ihrer Konkurrentinnen, auch Beethoven ist in seinem Metier der Meister, dem nur wenige das Wasser reichen, das passte also zusammen. Je mehr die Musik die Zuschauer und damit auch die Richter gefangen nimmt, umso wohlwollender blicken sie auf das Pferd im Viereck, das ist menschlich. Es war die erste Kür der eleganten Fuchsstute vor größerem Publikum seit dem CHIO Aachen 2014, ein kurzfristig anberaumter WM-Test im oldenburgischen Cappeln im August hatte mangels TV-Übertragung quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden.

Isabell Werth sah man nicht an, dass sie einen strammen Tag hinter sich hatte. Morgens um acht hatte sie bereits Emilio mit 77,739 Prozent zum Sieg im Grand Prix gesteuert, der Vorprüfung für die German Masters am Sonntag. Bei der Siegerehrung musste der Braune an der Hand seiner Pflegerin die Goldene Schleife ohne Reiterin entgegennehmen. Die saß bereits im Flieger Richtung Osnabrück, um als Überraschungsgast bei der Ehrung ihrer Freundin und Mäzenin Madeleine Winter-Schulze zu erscheinen, deren Verdienste um den Sport vom niedersächsischen Reiterverband gewürdigt wurden. Rechtzeitig, um Bella Rose für die Kür vorzubereiten, erschienen die beiden Frauen dann wieder in der Schleyerhalle. Weltcup-Punkte gab's übrigens nicht, Isabell Werth ist durch ihren Sieg in Paris im Frühjahr bereits vorqualifiziert für das Finale in Göteborg.

Vor exakt vier Jahren war Bella Rose in Stuttgart ihr letztes Turnier gegangen, danach laborierte sie an verschiedenen Verletzungen. Seit ihrem Comeback im Frühjahr 2018 ist die Stute bei zehn Auftritten unbesiegt. Jetzt ist sie 14, und Isabell Werth bleiben noch ein paar gute Jahre, in denen sie ernten kann, was sie mit mehr Mühe, Emotionen, Geduld und Arbeit als bei jedem anderen Pferd erreicht hat. Werth weiß das sehr wohl zu schätzen: "Diese Stute war immer fantastisch, sie ist jede Sekunde wert, die man in sie investiert - sie gibt es doppelt zurück," sagte sie nach ihrem Ritt.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2018
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