Olympia:Den Pferden wird aufs Maul geschaut

Lesezeit: 3 Min.

Das Maul ist offen, man sieht Schaum - und die Zunge? Indizien für Schmerzen am Gebiss sind nicht immer leicht zu erkennen, nicht mal mit den Teleobjektiven der Sportfotografen. (Foto: Stefan Lafrentz/Imago)

Der Weltreitverband hat Tausende Bilder aus Paris ausgewertet, auf der Suche nach blauen Zungen und ähnlichen Indizien für Schmerzen am Gebiss. Es geht ums Tierwohl – und die olympische Zukunft der Dressur.

Von Gabriele Pochhammer

Fast monatlich tauchen derzeit neue Videos von Reitern auf, die ihre Pferde verprügeln, zum Teil gar von solchen aus der Spitzenklasse. Es sind Szenen von brutalen Trainingsmethoden – der Pferdesport, in diesem Fall die Dressur, steht am Pranger. Die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI) hat allen Grund, besorgt zu sein, unter anderem wegen der Gefahr, aus der olympischen Familie ausgeschlossen werden. Denn auch beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) spielt der Tierschutz inzwischen eine Rolle, und häufige Berichte von Verstößen gegen das Tierwohl sind nicht hilfreich.

Am 1. Oktober kommen nun Dressurexperten – Reiter, Trainer, Tierärzte, Richter, Funktionäre und Turnierveranstalter – zu einem „Krisenmeeting“ zusammen, so der FEI-Pressedienst. Es geht um das Maul des Pferdes und was mit ihm passiert, wenn ein Reiter am Zügel zieht; wie die Metallgebisse, mit denen es gezäumt ist, wirken.

Eine gefühlvolle Hand zeichnet den guten Reiter aus. Das heißt, die Verbindung der Zügel vom Pferdemaul zur Reiterhand muss so fein sein, dass die Hand niemals stört, geschweige denn Schmerzen verursacht, sondern mit geringsten Andeutungen auskommt, um dem Pferd den richtigen Weg zu zeigen. So steht es in allen Reitlehren.

So weit die Theorie. Dazu passt es nicht, dass immer wieder Dressurpferde wegen Blutspuren im Maul aus dem Wettkampf genommen werden. Und dazu passt es nicht, dass Fotos im Netz kursieren, auf denen die Zunge des Pferdes blau angelaufen ist. Auch bei den Olympischen Spielen in Paris. Von Natur aus ist die Pferdezunge in der Regel hellrosa, heller als beim Menschen. „Eine blaue Zunge ist immer ein Zeichen von zu viel Druck auf die Zunge durch das Gebiss, deutet auf einen Blutstau hin“, sagt Reitmeister Martin Plewa, langjähriger Richter und Ausbilder. Was auf das Gegenteil einer gefühlvollen Reiterhand schließen lässt.

Reitsport
:„Die Pferde sagen uns, wann sie so weit sind“

Die Olympiasieger Jessica von Bredow-Werndl und Michael Jung starten bei einem bayerischen Reitturnier – aber mit anderen Pferden als in Paris. In der Ausbildung der Nachfolger gilt es, um Jahre vorauszudenken.

Von Sabine Neumann

Die FEI wurde nun selbst aktiv, um zu zeigen, dass sie es ernst meint mit den Bemühungen um das Wohl des Pferdes. Sie ließ sich mehr als 2500 Bilder zeigen, die professionelle Fotografen während der olympischen Wettbewerbe aufgenommen haben. „Am Ende waren es zwei Reiter, bei deren Pferden deutlich zu sehen war, dass die Zunge blau verfärbt war. Das sind natürlich zwei zu viel“, sagt Henning Lehrmann, der deutsche Richter im Reitstadion von Versailles, der alle Bilder gesehen hat. „Deutsche Reiter und Medaillenträger waren nicht dabei.“

Eine blaue Zunge ist oft für den Richter schwierig zu erkennen. Etwa wenn das Maul geschlossen ist, wie vorgeschrieben, oder das Pferd zu weit weg ist und das Richterauge weniger sieht als das Teleobjektiv des Fotografen. Die Regeln sagen nämlich genau, wie das Pferdemaul aussehen soll während einer Prüfung: leicht kauend, mit etwas Schaum, aber nicht zu viel. Die Lippen dürfen sich bewegen. Mit den Zähnen zu knirschen, ist nicht erwünscht. Zufriedene Pferde knirschen nicht mit den Zähnen, haben keine blauen Zungen, geschweige denn Blut am Maul.

Oft ist es Abwägungssache, wie ein Richter ein offenes Maul bewertet: „Ich ziehe dann einen Punkt ab“, sagt Lehrmann. So etwa bei der späteren Olympiasiegerin Jessica von Bredow-Werndl im Grand Prix Special, der Mannschaftsprüfung, bei der ihre Stute Dalera ein paarmal deutlich der Welt die – nicht blau angelaufene – Zunge zeigte. „Aber wenn ein Pferd ansonsten gehorsam und losgelassen geht, würde ich das nicht allzu streng bewerten“, so Lehrmann.

Isabell Werth geht juristisch gegen Bilder ihrer Pferde mit blauen Zungen vor – sie hält sie für Fälschungen

Für den FEI-Chefveterinär Göran Akerström ist die Kandarenzäumung häufig Ursache für zu viel Druck auf die Zunge. Die Kandare ist eine feste Stange aus Metall, etwa 1,6 Zentimeter dick und zusammen mit einem zweiten Gebiss die Standardzäumung in der höheren Dressur. Noch. Es gibt Bestrebungen innerhalb der FEI, wahlweise auch andere Zäumungen zuzulassen. Das allerdings trifft auf energischen Widerstand, vor allem aus Deutschland.

„Von einem Reiter der höheren Klasse erwartet man, dass er mit der Kandare, die eine feinere Einwirkung zulässt, auch umgehen kann. Das Problem liegt immer an dem, der oben sitzt, nicht an der Kandare. Ein Küchenmesser ist auch nicht per se gefährlich, weil man damit einen Menschen erstechen kann“, sagt Bundestrainerin Monica Theodorescu: „Im Zweifelsfall ist der Reiter dann noch nicht so weit.“ Die Silbermedaillengewinnerin von Paris, Isabell Werth, will sich nicht auf vage Vermutungen einlassen. „Es fehlen wissenschaftliche Beweise, wie eine Kandare und andere Gebisse überhaupt wirken. Die braucht man, bevor man populistischem Druck nachgibt.“ Eine Regeländerung stünde eh erst 2026 an.

Auch zwei ihrer Pferde sind auf den Fotos einer schwedischen Zeitung mit blauen Zungen zu sehen, in beiden Fällen, davon ist Werth überzeugt, handelt es sich um Fälschungen. Mit anwaltlicher Hilfe hat sie erreicht, dass die Fotos nicht mehr veröffentlicht werden dürfen. „Jeder sieht, dass sie bearbeitet wurden, so sind auch die übrigen Farben des Bildes verfälscht.“ Ihrer Forderung, die Originaldaten der Fotos herauszugeben, wurde bisher nicht entsprochen, das Verfahren läuft noch. Bis dahin versucht sich die Dressurszene weiter durch einen Dschungel von Unterstellungen, Lügen und ganzen und halben Wahrheiten zu kämpfen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusReiten
:Knapp, knapper, Dressur

In einem dramatischen Finale setzt sich das Dressurteam mit so wenig Vorsprung wie noch nie bei einem deutschen Olympiasieg vor Dänemark und Großbritannien durch. Isabell Werth ist nun die erfolgreichste deutsche Olympionikin.

Von Gabriele Pochhammer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: