Süddeutsche Zeitung

Reitsport:Selbst die Jockeys reiten mit Masken

Unter strengen Hygienemaßnahmen findet das Hamburger Derby statt. Publikum ist nur sehr begrenzt erlaubt - die Wetterlöse bleiben so aus. Doch die Solidarität ist groß in der Szene.

Von Gabriele Pochhammer, Hamburg

Albert Darboven erinnert sich noch gut an seinen ersten Besuch beim Hamburger Derby. Er war 14, man schrieb das Jahr 1950, und als das Feld an den Tribünen vorbeidonnerte, sprangen die Zuschauer von den Sitzen und brachen, alle vornehme Zurückhaltung hinter sich lassend, in den "Hamburger Roar" aus - am besten übersetzt mit "Hamburger Gebrüll". Für diesen Ausbruch der Leidenschaft - einmal im Jahr - sind die Hanseaten berühmt. "Und in diesem Jahr sind wir allein mit unseren Pferden", sagt Darboven, Zweiter Vorsitzender des Hamburger Rennclubs (HRC), selbst erfolgreicher Vollblutzüchter und Großsponsor des Derbys. Aber so ganz allein sind Reiter und Pferde doch nicht. 1000 Menschen dürfen sich auf dem Rennbahngelände aufhalten, aber auch die sind schnell beieinander. Anders als ursprünglich angekündigt, dürfen jetzt auch die Pferdebesitzer mit einer Begleitperson kommen.

Keine Zuschauer - das heißt nicht nur, keine derbywürdige Atmosphäre, es heißt vor allem: keine Wetten auf der Bahn. An diesen verdient der Rennclub normalerweise 25 Prozent, während bei Buchmachern und Internetplattformen noch zehn Prozent abgezweigt werden. Aber auch hier ist jetzt alles anders. Die Buchmacher und Internetanbieter haben auf ihre Provision verzichtet, nur eine Facette der großen Solidarität, die dem Rennsport in Corona-Zeiten beim Überleben hilft.

Eine andere Facette ist die Initiative dreier Rennsportenthusiasten namens "Wetten dass". 118 Leute, alle aus der Szene, verpflichteten sich, an jedem Renntag in Deutschland in jedem Rennen mindestens 50 Euro auf den Sieger zu setzen. Dieser Marketing-Gag kostet den einzelnen Wetter elf- bis zwölftausend Euro. Mit Glück und Geschick gibt's was zurück.

Der Hamburger Rennclub musste sich zu einem strengen Hygienekonzept verpflichten. Keiner kommt am Eingang am Fieberthermometer vorbei, Maskenpflicht herrscht auf dem gesamten Areal. Die Jockeys tragen den Mund-Nasenschutz sogar im Rennen, so lange er nicht verrutscht. "Aber da haben wir sowieso reichlich Fahrtwind und genug Abstand voneinander", sagt Andrasch Starke, 46, der den hohen Favoriten Wonderful Moon reitet und am Sonntag (live ab 16.10 Uhr, Sport1) sein achtes Derby gewinnen kann.

Die Derbywoche wurde auf drei Tage eingedampft. "Zuerst hatten wir Angst, ob überhaupt Pferde kommen", sagt Hans-Ludolf Matthiesen vom HRC. Hamburg liegt ja nicht gerade im Zentrum, sondern eher am Rande der europäischen Rennsportszene. Die Sorge war unbegründet, 421 Pferde gehen in den 35 Rennen an den Start. Die Gewinne wurden auf 70 Prozent reduziert, bis auf das Derby am Sonntag, da gibt es das volle Preisgeld von 650 000 Euro, davon 390 000 für den 151. Sieger.

Zwei späte Nachnennungen haben die Kassen des HRC extra gefüllt, 65 000 Euro, zehn Prozent des Gewinngeldes, mussten die Besitzer von Soul Train und Kellahen jeweils bezahlen. "Aber bereits vorher war unser Etat ausgeglichen", betont der HRC-Vorsitzende Eugen-Andreas Wahler. Die beiden Spätberufenen heben in seinen Augen noch einmal die Qualität des Starterfeldes: "Wir können wirklich sagen, dass die besten Pferde hier am Start sind." Nichts wäre ärgerlicher, als wenn ein guter Dreijähriger, anstatt im Derby zu starten, anderswo ein großes Rennen gewinnt. Das würde das Blaue Band nachträglich entwerten. So bleibt es, vor allem aus Züchtersicht, das wichtigste Rennen für dreijährige Pferde, die alle dasselbe Gewicht, nämlich 58 Kilo tragen.

Der Hengst Wonderful Moon hat sich seine Favoritenrolle erkämpft. Für ihn spricht außer überzeugenden Vorleistungen, dass er den besten deutschen Jockey im Sattel hat. Andreas Starke ist Stalljockey bei Trainer Henk Grewe in Köln. Er durfte sich einen der vier Aspiranten aussuchen, mit denen Grewe seinen ersten Derbysieg anstrebt, im Stall hat er auch einen weiteren Mitfavoriten: Dicaprio.

Der nachgenannte Kellahen könnte diese Pläne vereiteln. Während Wonderful Moon ersten Lorbeeren bereits als Zweijähriger errang, dachte 2019 bei Kellahen noch niemand an den Derbystart. Dann explodierte der Hengst geradezu in diesem Frühjahr, gewann alle vier Rennen, in denen er lief, drei vom Start weg, das letzte mit Längen Vorsprung. Das bewog den Besitzer des Rennstalles Salzburg, den 88-jährigen Hans-Gerd Wernecke, sich den Senkrechtstarter zu kaufen, um seinen Traum vom Derbysieg zu erfüllen.

Die Namen der prominenten britischen Jockey sucht man im Feld der 19 Starter vergebens. Bis Freitag war die Rückreise nach Großbritannien mit einer 14-tägigen Quarantäne verbunden. Als diese aufgehoben wurde, war der Nennungsschluss verstrichen. Dadurch bekommen andere Reiter ihre Derbychance, Sibylle Voigt zum Beispiel, erst die dritte Frau, die im Deutschen Derby in den Sattel steigt, und die erste, die bereits zum zweiten Mal einen Derbyritt bekommt. Ihr Pferd Anatello ist noch nie gegen so starke Konkurrenz gelaufen. Da kommt der olympische Gedanken ins Spiel: Dabeisein ist alles.

Dass Sibylle Voigt von Erfolgen nicht nur träumt, zeigte sie am Freitag im dritten Rennen des Tages. Mit dem sechsjährigen Wirbelsturm fegte sie als Erste am Zielpfosten vorbei. Das ist schon mal ein gutes Omen.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2020
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