Reit-WM in Herning:"Der peinlichste Moment meines Lebens"

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Am Boden und tief enttäuscht: Springreiter André Thieme nach seinem Sturz. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Dem deutschen Reiter André Thieme unterläuft bei der WM ein seltenes Missgeschick. Die Team-Medaille ist futsch - und Thieme findet deutliche Worte.

Von Gabriele Pochhammer, Herning

André Thieme ist keiner, der sich in ein Mauseloch verkriecht, wenn es mal schlecht läuft. Auch diesmal nicht. Der amtierende Europameister, zudem dreifacher Springderbysieger, war vom Pferd gefallen, im denkbar ungünstigsten Moment seiner Reiterlaufbahn. Mit einem Riesensatz hatte ihn seine Stute Chakaria aus dem Sattel katapultiert, an Sprung drei des für die Mannschaft entscheidenden Parcours.

Ein Mann wie ein Hüne und doch in diesem Augenblick ein Häufchen Elend, den Tränen nahe - so stellte sich der 47-Jährige den Mikrofonen und Kameras nach seinem Sturz, der die deutschen Reiter eine mögliche Medaille bei der Weltmeisterschaft im dänischen Herning kostete. "Dies ist der peinlichste Moment meines Lebens", sagte Thieme. Tatsächlich, ein Sturz des Pferdes, eine Verweigerung - das kann jedem mal passieren. Aber runterfallen, wenn das Pferd das Hindernis fehlerfrei überwunden hat, das geht einem Springreiter an die Ehre.

"Ich bin enttäuscht von mir selbst", sagte Thieme: "Die Stute ist so in die Luft gegangen. Sie ist einfach zu gut gesprungen. Da habe ich einfach eines unter den Arsch gekriegt." Die Zeitlupe zeigt allerdings, dass derselbige schon über dem Hindernis einen Meter über dem Sattel schwebte, der ganze Sitz des 1,90 Meter großen Mannes war irgendwie aus den Fugen geraten, die Beine weit vom Pferd, die Balance war nicht mehr zu halten. Der Reiter kippte in den Sand, blieb unverletzt, genauso wie sein Pferd.

Da kippt er aus dem Sattel: André Thieme kann die Balance nicht mehr halten, wenig später stürzt er. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Chakaria, durch die Situation etwas aufgeregt, nahm Fahrt auf und raste mehrere Runden im gestreckten Galopp um den Platz. Versuche, die Stute zu stoppen, schlugen fehl. Sie rannte an ihrem Reiter vorbei, auch an seinem Teamkollegen Marcus Ehning, der zweimal zur Seite springen musste, zu seiner eigenen Sicherheit. "Ich hatte auch Angst, dass sie über die Bande ins Publikum springt", sagte Ehning. Er griff geistesgegenwärtig die oberste Stange des nächsten Oxers und hielt sie sich quer vor den Körper. Schließlich hatte Chakaria genügend Dampf abgelassen, fiel in den Trab und ließ sich aus der Bahn führen.

Ein Springfehler weniger hätte dem deutschen Team wenigstens zur Bronzemedaille gereicht

Auch Bundestrainer Otto Becker konnte sich den Totalausfall nicht erklären. "Das muss ich erst mal verdauen, ich bin echt sprachlos", sagte er: "So etwas habe ich in 14 Jahren als Bundestrainer noch nicht erlebt. Das ist schon bitter, unsere Medaillenträume wurden jäh beendet. Aber ich mache André keinen Vorwurf, er hat das schließlich nicht mit Absicht gemacht."

Thieme und die zwölfjährige Chakaria zählen normalerweise zu den besten Paaren des deutschen Springsports. Nach dem EM-Titel im vergangenen Jahr punktete Thieme auch in dieser Saison, etwa im Nationenpreis von Aachen und im Großen Preis von Falsterbo. Seine Nominierung für Herning stand keinen Moment in Frage, sein Name ganz oben auf der Liste. Der Reitstil des Mecklenburgers ist ein bisschen speziell, auch der sensiblen Fuchsstute angepasst, die sich im Laufe eines Turniers meist von Tag zu Tag steigert. Sie ist übervorsichtig, will auf keinen Fall eine Stange berühren, dann kommt es manchmal zu solchen spektakulären Sätzen, die Thieme normalerweise aussitzen kann. Wenn es nach Otto Becker geht, soll Thieme möglichst bald wieder eingesetzt werden, am besten im Nationenpreisfinale in Barcelona im September, damit das Desaster von Herning möglichst schnell zurückgedrängt wird.

Die deutsche Springreitermannschaft wurde am Ende Fünfte, ein Springfehler weniger, und es hätte noch zur Bronzemedaille gereicht. Wenigstens die Olympiaqualifikation - ein Platz unter den ersten fünf Teams - wurde aber gesichert. Christian Ahlmann, der trotz guter Runden auf Dominator nichts mehr mit der Entscheidung zu tun hatte, ersparte seinem Hengst die beiden Runden des Einzelfinales, in dem nur noch Jana Wargers und Marcus Ehning die deutschen Farben vertraten. Ehning wurde Fünfter, Wargers landete auf Rang neun. Neuer Weltmeister wurde der Schwede Henrik von Eckermann mit King Edward vor dem Belgier Jerome Guery und dem Niederländer Maikel van der Vleuten.

Doch es gibt nichts Schlechtes ohne Gutes: Wenn er den Kampf um den Weltmeistertitel schon vorzeitig beenden musste, wurde André Thieme immerhin zu Hause freudig erwartet: zur Einschulungsfeier seiner Tochter Johanna. Die hätte er sonst verpasst.

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