Reinhard Rauball im Gespräch:"Es gibt da eine Geisterdebatte"

Reinhard Rauball, Präsident von Borussia Dortmund und der DFL, saß auf der Tribüne, als Anhänger von Dynamo Dresden im Dortmunder Stadion fast für einen Spielabbruch sorgten. Im Gespräch mit der SZ erklärt er, wie sein Verhältnis zur Ultras-Szene ist und warum Pyrotechnik in Stadien nicht zugelassen werden kann.

Freddie Röckenhaus

Reinhard Rauball, 64, ist seit 2004 bereits in seiner dritten Amtszeit Präsident von Borussia Dortmund, des aktuellen Deutschen Meisters. Seit 2007 ist er zudem Präsident der Deutschen Fußball Liga (DFL), dem Interessenverbund der 36 Profiklubs der ersten und zweiten Bundesliga. Am Dienstagabend saß er auf der Tribüne, als Anhänger des Zweitligisten Dynamo Dresden in und um das Dortmunder Stadion für Randale sorgten. Das DFB-Pokalspiel musste von Schiedsrichter Peter Gagelmann wegen des Abbrennens von Feuerwerk drei Mal unterbrochen werden und wäre fast abgebrochen worden.

Reinhard Rauball

Reinhard Rauball: "Es haben mehr oder weniger 4500 Fans mitgemacht. Das ist sehr traurig."

(Foto: AP)

SZ: Herr Rauball, wie haben Sie den Dienstagabend in Dortmund erlebt?

Reinhard Rauball: Ich war zunächst nur auf die Weise betroffen wie viele der anreisenden Zuschauer: Ich musste einen ziemlichen Umweg zum Stadion nehmen, weil die Polizei wegen der Krawalle der Dynamo-Fans ganze Straßen abgesperrt hatte. Ich war aber dann vor allem überrascht über die Brutalität, die nun offenbar auch in die Stadien zurückkehrt. Bisher fanden diese Probleme ja vor den Stadien und im Umfeld statt.

SZ: Was haben Sie von der Tribüne aus mitbekommen?

Rauball: Dass zum Beispiel unsere Ordner direkt vor dem Block der Dresdner Fans mit großen Böllern beworfen wurden, die so lautstark explodierten, dass man sich Sorgen um das Gehör der Leute machen musste. In der nächsten Eskalationsstufe wurden brennende Pyros in den Fünfmeterraum geworfen. Es gab also einen direkten Einfluss auf das Spielgeschehen. Das ist, wenn man von Einzelaktionen wie einem geworfenen Bierbecher in St. Pauli mal absieht, eine neue Entwicklung. Eine neue Qualität hat es auch, dass da 4500 Dresdner Anhänger beteiligt sind. Auch wenn darunter sicher viele Trittbrettfahrer waren, als vor dem Spiel die Stadiontore zur Nordtribüne gestürmt werden sollten.

SZ: Auch im Bundesligaspiel am Sonntag in Hannover und beim Pokalspiel am Mittwoch in Frankfurt gab es Gewalttätigkeiten. Haben die Fußball-Verantwortlichen in den letzten Jahren zu sehr auf Verständnis und gutes Zureden gesetzt, anstatt deutliche Grenzen vorzugeben?

Rauball: Was das Gewaltthema angeht: Da muss man auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen der letzten Jahre blicken. Vielleicht haben wir in unserer Gesellschaft zu sehr auf die falschen Propheten gehört. Die persönlichen Freiheiten standen bei uns jahrzehntelang im Mittelpunkt der Werte - nicht aber Anstand, Respekt vor anderen und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Da lief die gesellschaftliche Wertediskussion in die falsche Richtung.

SZ: Sie haben am Dienstagabend nach dem Spiel gesagt, dass man es nicht mehr darauf reduzieren dürfe, dass da ein paar Idioten am Werk seien.

Rauball: Man muss immer schauen, dass man nicht über eine gesamte Gruppe den Stab bricht. Es gab bei den Dresdner Fans offenbar viele, die den Fußball als Bühne für ihre Aggression und Straftaten nutzten, zumal das Spiel live im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Da mag persönliche Perspektivlosigkeit eine Rolle spielen oder enttäuschte Erwartungen an die Wiedervereinigung. Aber es haben mehr oder weniger 4500 Fans mitgemacht. Das ist sehr traurig.

"Anständige Fans müssen Randale-Macher ausgrenzen"

SZ: Wie gehen Sie mit den Entwicklungen nun um? Gibt es realistische Möglichkeiten von Sanktionen?

Mitgliederversammlung Borussia Dortmund

Seit 2004 ist Reinhard Rauball der Präsident von Borussia Dortmund.

(Foto: ddp)

Rauball: Patentrezepte gibt es sicher nicht. Gleichzeitig darf es aber auch keine Denkverbote geben. Ich werde jetzt zusammen mit Theo Zwanziger (DFB-Präsident/Anm. d. Redaktion) das Gespräch mit den General-Staatsanwälten und dem neuen General-Bundesanwalt suchen. Am 14. November gibt es einen Runden Tisch mit dem Bundesinnenminister, den Landesinnenministern und der Polizei. Man muss sehen, was wir an Strategien entwickeln können. Letztlich wird es aber nur so gehen, dass die anständigen Fans die Randale-Macher auch selbst ausgrenzen.

SZ: Glauben Sie, dass das funktioniert? Brauchen Sie nicht auch relativ kurzfristige, klare Sanktionen? Die Vorfälle im DFB-Pokal in Dortmund und Frankfurt sind doch Irrsinn.

Rauball: Man muss leider konstatieren: Die ordentliche Gerichtsbarkeit, die sich mit Straftaten zu beschäftigen hat, hat nicht unbedingt mitgezogen. Man braucht nun wirklich keine Stammtische, um in der Bevölkerung zu hören, dass die Nachsicht sehr verständnisvoller Gerichte sehr weit geht. Deshalb wollen wir ja auch mit den Staatsanwälten in den Dialog treten.

SZ: Was können die Verantwortlichen der Verbände und Vereine tun?

Rauball: Die Diskussion ist jetzt zu führen. Natürlich ist zum Beispiel eine Reduzierung der Auswärtskontingente bei manchen Klubs denkbar. Bis hin zu einem kompletten Ausschluss von Gästefans. Das erzeugt bei dem jeweiligen Heimverein Einnahmeverluste bei den Ticketverkäufen, die finanziell von dem Klub kompensiert werden müssen, dessen Fans gesperrt werden. Das DFB-Sportgericht hat es im Falle Hansa Rostock exerziert. Damals musste Rostock 25 000 Euro an den Heimverein kompensieren. Man sieht aber dabei auch: Es findet da immer eine Strafenverschiebung statt. Ein Verein wie Dynamo Dresden ist an den Straftaten der Fanszene unschuldig, muss aber womöglich die Zeche zahlen. Das ist problematisch. Heribert Bruchhagen von Eintracht Frankfurt schlägt offenbar vor, die Ticketkontingente für Ultra-Fans einzuschränken.

SZ: Die Ultras sind eine heterogene Gruppe, die meisten Choreographien auf den Tribünen werden von Ultra-Gruppierungen organisiert, ein großer Teil des Stadionerlebnisses geht auf die Ultras zurück. Unter derselben Flagge sind intelligente Leute unterwegs wie auch stumpfe Schläger, wie im Fall von Dynamo. Kennen Sie die Szene zu wenig?

Rauball: Wir haben seit 2004 im BVB eine Fanabteilung. Im Abteilungsvorstand sitzt bei uns auch ein Ultra. Ein anderer Wortführer der Ultras hat mich jüngst angerufen, weil er sich für einen vergleichsweise harmlosen Zwischenfall bei uns im Stadion entschuldigen wollte. Dabei hat er unser durchaus ordentliches Verhältnis angesprochen. Am Dienstagabend haben sich, das muss man auch sagen, alle Fans auf der BVB-Südtribüne vorbildlich verhalten. Sie haben sich in keiner Weise provozieren lassen.

SZ: Haben Sie eine Vorstellung, wie Ultra-Fans ticken?

Rauball: Ultras sehen sich als die wahren Fans, vielleicht die einzig wahren. Ich glaube, dass die anderen 70 000 BVB-Fans im Stadion aber genauso glühende Fans sind. Ultras legen auf Tradition wert, auf Dinge wie den alten Stadionnamen oder die Musik, die vor dem Spiel gespielt wird. Ihre Choreographien sind einfallsreich und mitunter meisterlich.

"Feuerwerk darf nur ein ausgebildeter Feuerwerker machen"

SZ: Ultras machen sich stark gegen die weitere Kommerzialisierung des Fußballs, für maßvolle Eintrittspreise, für die 50-plus-1-Regel, nach der deutsche Klubs nicht von Konzernen oder Investoren kontrolliert werden dürfen.

Rauball: In der 50-plus-1-Sache bin ich kompromisslos auf der gleichen Seite. Da bin ich ebenfalls Traditionalist. Und in Deutschland haben wir die günstigsten Eintrittspreise aller Topligen, zudem mit Stehplätzen. Dies darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.

SZ: Verstehen Sie diese schillernde Ultra-Szene, der Fanforscher generell eine relativ hohe Aggressionsbereitschaft unterstellen? Gibt es Strategien, wie man mit solchen extrem unterschiedlichen Fangruppierungen der neuen Art umgeht? Haben sich Polizei und DFL zu wenig bemüht, diese neuen Mentalitäten zu verstehen?

Rauball: Wenn es um Gewaltanwender geht, steckt da oft schlicht Frust dahinter. Ein anderer Teil der Ultras ist durchaus konstruktiv. Wir akzeptieren alle Zuschauer. Jeder Fan ist frei, sein Bekenntnis so auszuleben, wie ihm das gefällt. Aber Gewaltanwendung ist und bleibt ein Straftatbestand. Und in der Einhaltung geltender Vorschriften ist die Grenze.

SZ: Es gibt auch eine Rückkehr der bengalischen Feuer, also von Pyrostäben, die im Block abgebrannt werden. Das ist sehr gefährlich, weil die Menschen dicht beieinander stehen und keine Chance haben, den sprühenden, ätzenden Funken auszuweichen. Wie will die Liga damit umgehen?

Rauball: Es gibt da eine Geisterdebatte, dass DFB und Liga die Pyros doch "legalisieren" könnten. Schon die Gesetzeslage verhindert das. Laut Versammlungs- und Ordnungsrecht darf Feuerwerk nur ein ausgebildeter Feuerwerker machen - und das ganz sicher nicht im Bereich einer dicht besetzten Tribüne im Stadion. Das ist verboten. Die Vereine können daran nichts ändern.

SZ: Die Deutsche Polizei-Gewerkschaft stellt die Frage, ob solche Polizei-Großeinsätze wie in Dortmund gegen die Dresdner Fans nicht vom Fußball bezahlt werden müssten.

Rauball: Die Forderung kennt man. Der Chefpopulist der Deutschen Polizei-Gewerkschaft, Herr Wendt, stellt sie öfters auf. Das liegt an einer Verkennung der Rechtslage: Man kann Störer zum Kostenersatz heranziehen, aber der Verein und die Bundesliga stören ja nicht. Ich hätte gerne dann auch eine Antwort, wer denn für die Kosten von Castor-Transporten aufkommt. Wird da die Atomindustrie zur Kasse gebeten für die endlosen Polizeieinsätze?

SZ: Noch einmal: Wie realistisch können Polizei, Klubs und Liga Schläger wie jene von Dynamo Dresden tatsächlich von Auswärtsspielen fernhalten?

Rauball: Das muss man mit Fachleuten besprechen, also mit Fanvertretern, Polizei, Ticketing-Leuten. Die DFL hat dazu einen Beirat mit hochkarätigen Wissenschaftlern eingerichtet. Man weiß nie, an wen Eintrittskarten weitergegeben werden. Ganz einfach ist das in der Praxis nicht. Man muss auch eine gewisse Verhältnismäßigkeit beachten. Im Falle von Dresden wird der Kontrollausschuss dem Sportgericht zeitnah ein Strafmaß vorschlagen - und das DFB-Sportgericht wird entscheiden.

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