Süddeutsche Zeitung

Regionalliga Bayern:Geplanter Wahnsinn

Würzburg steuert souverän auf die Aufstiegsspiele zur dritten Liga zu. Trainer Bernd Hollerbach bemüht sich, die Erwartungshaltung zu dämpfen.

Von Johannes Knuth

Der Fußballtrainer Bernd Hollerbach denkt an Freitag, am Freitag (19 Uhr) empfangen seine Würzburger Kickers den FV Illertissen, und in Hollerbachs Stimme legt sich jetzt eine große Vorfreude. Denn wenn seine Würzburger im Spitzenspiel am Freitag gegen den Tabellenvierten nur einen Punkt holt, stehen sie vorzeitig als bayerischer Amateurmeister fest. Als beste Mannschaft der Regionalliga Bayern, die keinem Profiklub entspringt. "Das wäre natürlich überragend, Wahnsinn", sagt Hollerbach. Und dann?

Die Würzburger Kickers sind derzeit Tabellenerster der Regionalliga Bayern. Sechs Punkte beträgt der Vorsprung auf den FC Bayern II, und wenn in den letzten sieben Spieltagen der Saison nicht noch ein mittelgroßes Wunder geschieht (oder Hollerbach kurzfristig als Trainer beim Hamburger SV anheuert), werden die Kickers ihre Spitzenposition bis zum Saisonfinale behaupten. Als nächste Aufgabe wartet dann die Relegation zur dritten Liga. Der Deutsche Fußball-Bund loste vor Kurzem aus, dass Würzburg dort auf einen Vertreter aus der Südwest-Staffel treffen würde, Kandidaten sind derzeit klangvolle Namen wie die Offenbacher Kickers oder der 1. FC Saarbrücken. Hollerbach ist hörbar bemüht, die Vorfreude zu dimmen, den Fokus aufs Tagesgeschäft zu lenken - was gar nicht so einfach ist, wenn im Tagesgeschäft noch Gegner warten wie der VfR Garching oder der SV Seligenporten. "An die Relegation verschwende ich gerade keinen Gedanken", beteuert Hollerbach, er ergänzt: "Dass wir jetzt Tabellenführer sind, das sollten wir genießen. Wo standen die Würzburger Kickers denn vorher?"

Vorher, da standen die Würzburger Kickers einmal in der Landesliga, sieben Jahre ist das her. Vor einem Jahr schlossen sie die Regionalliga als elftbeste Auswahl ab, irgendwo zwischen Amateur- und Profitum. Sie entschieden sich, künftig ein vollständiger Profiklub zu sein, riefen das Projekt "3 mal 3" aus, in drei Jahren in die dritte Liga, das war das Ziel. Sie aktivierten Sponsoren und Spender, trugen 3,6 Millionen Euro zusammen, mit einer Mischung aus Lokalpatriotismus und Beziehungen des ehemaligen Würzburger Nachwuchsfußballers Hollerbach.

Jetzt, da die Kickers früher als geplant auf ihr großes Ziel zusteuern, spürt der 45-jährige ehemalige Bundesligaprofi, dass er ab und zu an die Anfänge im Kleinen erinnern muss. Hollerbach will nicht, dass ihm ein Nichtaufstieg als Enttäuschung ausgelegt wird, er sagt: "Wir wissen, wie schwer es ist, aus der Regionalliga rauszukommen."

Vor einem Jahr scheiterten die Bayern in wortwörtlich letzter Minute der Relegation an Fortuna Köln. Dass der Meister einer Regionalligastaffel eine derartige Extraschicht einlegen muss, "das widerspricht meinem sportlichen Grundverständnis", sagt Hollerbach, aber es hilft ja nichts. Am Zuspruch der Anhänger dürfte es nicht scheitern, im Schnitt rund 2600 Zuschauer kommen in dieser Saison zu den Spielen der Kickers. "Das wäre vor einem halben Jahr undenkbar gewesen", sagt Hollerbach, "das Sportliche hat uns schon ein wenig überholt, aber damit können wir gut umgehen."

Kürzlich haben die Kickers die Lizenzunterlagen für die dritte Liga eingereicht. Sie müssen jetzt einiges am Stadion verbessern, eine neue Beschallungsanlage installieren, eine Einsatzzentrale für die Polizei bauen, alles ein wenig früher als geplant. Wobei: Dass sie derzeit so gut dastehen, ist auch nicht gerade zufällig passiert. Hollerbach verpflichtete vor der Saison 15 neue Spieler, das Trainingslager im Winter hielt er in Namibia ab, mit vierter Liga ist das alles nur noch entfernt verwandt. Die Spieler, versichert Hollerbach, seien mental aber noch durchaus in der Liga präsent, als Fallstudie zitiert er das Toto-Pokal-Viertelfinale gegen Burghausen (9:8 im Elfmeterschießen). "Da ging es für den Gegner um viel mehr. Wir haben trotzdem ein Wahnsinnsspiel gemacht. Die Spieler sind unheimlich hungrig."

Ein wenig profitieren sie in Würzburg bis heute auch von der Kraft der Enttäuschung. Bernd Hollerbach hatte vor der Saison vornehmlich Ergänzungsspieler einbestellt, die bei höherklassigen Klubs (noch) nicht reüssiert hatten, Spieler wie Nico Gutjahr (SC Freiburg), Dominik Nothnagel (Borussia Dortmund) oder Dennis Schmitt (Mainz 05). "Die haben sich unheimlich gut entwickelt", sagt Hollerbach, ihr Ehrgeiz sei bis heute groß, er ergänzt: "Über die Mentalität kann man im Fußball sehr viel erreichen." Zum Beispiel den Gewinn der bayerischen Amateurmeisterschaft.

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SZ vom 16.04.2015
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