Süddeutsche Zeitung

Regionalliga Bayern:Ein Dorfverein schockt die Favoriten

Lesezeit: 3 min

Der SV Schalding hat nach Burghausen und Bayern II auch Unterhaching geschlagen - mit 5:4. Ein Spiel mit vielen Aufs und Abs - sinnbildlich für die Saison der Niederbayern.

Von Jonas Kraus

Am vergangenen Samstag deutete nichts auf das Spektakel hin, dass sich nur drei Tage später an selber Stelle ereignen sollte. Die Spieler des SV Schalding-Heining schlichen mit hängenden Köpfen vom Platz, gerade eben hatten sie mit 1:3 gegen Illertissen verloren. Nicht chancenlos, aber vollkommen verdient. Und dennoch sagte Trainer Stefan Köck nach dem Spiel: "Gegen Unterhaching wollen wir die Überraschung schaffen."

Drei Tage später lagen sich nach Abpfiff alle in den Armen. Trainer Köck herzte seine Spieler, die Spieler umarmten ihre Freundinnen und Frauen. Vorstand Wolfgang Wagner eilte ins Vereinsheim und holte den XXL-Weißbierhumpen. Die Zuschauer standen Spalier, die Anwesenheit von Hachings Startrainer Sandro Wagner rückte kurz in den Hintergrund. Im spektakulärsten Spiel seiner jüngeren Geschichte hat der SVS am Dienstagabend die SpVgg Unterhaching besiegt: 5:4, das Siegtor fiel in der 89. Minute. Ein Spiel mit unzähligen Aufs und Abs - und damit ein Sinnbild der bisherigen Saison der Niederbayern.

Ein sichtlich stolzer Trainer Köck stand nach Abpfiff bei der Pressekonferenz neben Wagner und war bemüht, die Euphorie nicht zu groß werden zu lassen. "Wir haben diszipliniert gespielt, mit einer guten Ordnung", analysierte er nüchtern einen alles andere als normalen Spielverlauf. Nachdem es zur Halbzeit noch 1:1 stand, wurde es im zweiten Durchgang kurios. Zunächst ging Haching in Führung, der SVS drehte das Spiel aber durch Markus Gallmaier und Dreifach-Torschütze Fabian Schnabel, der einen Patzer von Haching-Keeper Alexander Weidinger nutzte. Die Gäste schlugen zurück, Schnabel brachte Schalding per Elfmeter aber wieder in Führung, ehe Patrick Hobsch vom Punkt erneut den Ausgleich schaffte (84.). Als es dann schon zunehmend düster wurde - der Hauptplatz in Schalding hat keine Flutlichtanlage - setzte Martin Tiefenbrunner kurz vor Schluss zum Solo an und erzielte das 5:4.

Siege gibt es bislang nur gegen Topteams, es fehlt an Konstanz, um sich im Tabellenmittelfeld zu etablieren

Für den einzigen Regionalligisten Niederbayerns - und mithin den höchstklassigen Fußballklub des Bezirks - ist es der dritte Coup der Saison gegen ein Topteam. Am ersten Spieltag besiegten die Niederbayern Wacker Burghausen mit 1:0, vor zwei Wochen überraschten sie Tabellenführer FC Bayern II und setzten sich mit 2:1 durch. Das Problem aus Sicht der Schaldinger: Die Erfolge gegen die Topteams sind bislang die einzigen Siege, es fehlt die Konstanz, um sich im Tabellenmittefeld zu etablieren.

Dass seine Mannschaft ihr Potenzial nicht jeden Spieltag gleichermaßen auf den Platz bekommt, begründet Köck mit der langen Corona-Pause - und den vielen Änderungen im Kader. "Wir waren vorher auf einem richtig guten Weg, haben uns auch spielerisch stark verbessert", erklärt der 36-Jährige. Dann aber kam die Pandemie, die Regionalliga Bayern pausierte. Wichtige Spieler wanderten in der Zeit ab, nicht selten zur zahlungskräftigeren Konkurrenz. Torwart Markus Schöller etwa ging nach Burghausen, Toptalent Tobias Stockinger spielt jetzt in Bayreuth.

Obwohl der SVS seit Jahren zum festen Inventar der vierten Liga gehört, operiert er - getragen von vielen regionalen Sponsoren - mit einem Mini-Etat. Kaderplaner Markus Clemens musste einmal mehr improvisieren, holte vor allem junge Spieler und scoutete bis hinunter in die Kreisklasse, aus der im vergangenen Sommer Marco Pledl, 20, nach Schalding wechselte - er stand in dieser Saison schon zehnmal auf dem Platz.

Viel Zeit, den neuen Spielern die Liga und das System beizubringen, hatte Köck nicht. Der August war voll mit englischen Wochen. "Jetzt haben wir etwas mehr Luft, da wollen wir uns im Training was erarbeiten", sagt Köck. Seit 2017 ist der Realschullehrer Übungsleiter beim Passauer Stadtteilverein, damals wurde er zum ersten Spielertrainer der Regionalliga befördert. Nach einer schweren Knieverletzung beendete der Verteidiger seine Karriere, gibt aber weiter die Kommandos von draußen. Im Frühjahr verlängerte der Verein geräuschlos mit dem Trainerteam.

"Die Liga ist knüppelhart", sagt Trainer Köck. Deshalb gehe es für den SVS nur um den Klassenverbleib

Es gehe auch in dieser Saison einmal mehr um nichts als den Klassenerhalt, sagt Köck: "Die Liga ist knüppelhart." Vorne die Profiteams, dahinter viele Mannschaften mit ähnlich guten Kadern. Als große Stärke sieht der Trainer den Zusammenhalt im Verein, der auch am Dienstag sichtbar wurde. Nach dem Spiel versammelten sich die Spieler im Vereinsheim, es gab Pizza, dazu viele Schulterklopfer der Fans. Gespielt und trainiert wird seit Jahren auf Viertliga-Niveau, das Dorfverein-Image hat sich Schalding dennoch bewahrt.

"Wir haben aber nicht zu lange gefeiert", versichert Köck. Zum einen, weil die meisten Spieler am nächsten Tag zur Arbeit mussten. Zum anderen, weil es bereits am Freitag weitergeht. Auswärts in Rosenheim, auf dem Papier ein schlagbarer Gegner. "Wir müssen umschalten, von diesem Highlight-Spiel in den normalen Betrieb", fordert der Trainer, der dieses Szenario kennt. Wenige Tage nach dem Sieg über den FC Bayern II reiste Schalding nach Pipinsried - und holte sich dort eine 0:3-Abfuhr ab. Das, so Köck, solle sich auf keinen Fall wiederholen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5399356
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.