Reformen des IOC:Dopingvorwürfe stören den schönen Schein

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IOC-Sitzung in Monte Carlo: Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel (Foto: AFP)

Das IOC will sich selbst reformieren, 40 Punkte werden beim Gipfel in Monte Carlo im Sprinttempo durchgewinkt. Dabei stört der Dopingskandal im russischen Sport nur. Für Präsident Thomas Bach müssten die Vorwürfe höchst unangenehm sein.

Von Thomas Kistner, Monte Carlo

Zwanzig Grad an der Küstenpromenade, Palmschöpfe recken sich dem blau leuchtenden Mittelmeer entgegen. Gut gekleidete Menschen mit prallen Einkaufstüten huschen durch glitzernde Luxuspassagen: Monaco präsentiert sich, wie sich das gehört, als vorweihnachtliche Operettenkulisse. Weshalb ein wenig irritiert, dass ausgerechnet Europas teuerste Meile den Rahmen für die Bemühungen des Weltsports liefert, olympische Kosten und Gigantismus zu reduzieren sowie Nachhaltigkeit, Transparenz und all das zu implementieren, was die abtrünnige Kernkundschaft zurückholen könnte.

Die sitzt nicht an Osteuropas Rändern oder in der Golfregion, wo es immer mehr Sport-Events hinzieht, sondern in der westlichen Welt, wo sich in Bürgerentscheiden kaum noch Mehrheiten finden lassen für die Ausrichtung der Spiele. Deshalb muss sich das Internationale Olympische Komitee einem flüchtigen Gut zuwenden: der Glaubwürdigkeit.

Abstimmung über Reform
:IOC erlaubt Olympia in mehreren Ländern

Olympia soll nachhaltiger und günstiger werden: Das IOC erlaubt, dass einzelne Disziplinen außerhalb der Gastgeber-Stadt austragen werden dürfen. Zur Not sogar in einem anderen Land.

Eine zweitägige Reformsession soll sie restaurieren. 40 Punkte ließ IOC-Chef Thomas Bach aufsetzen, die seit Montagmorgen im Sprinttempo durchgewunken wurden. "Hätten wir nur einfach gefragt, ob jemand einen Einwand hat", witzelte der Schweizer IOC-Mann und Ski-Weltpräsident Gianfranco Kasper in einer Rauchpause, "hätten wir um zehn nach neun wieder heimfahren können."

ARD legt nach

Selbstreform also. Dumm nur, dass gerade jetzt die Realität nicht mitspielt. Tage vor dem Sonderkonvent, der auch in Deutschland die Lust auf eine neuerliche Olympia-Bewerbung wecken soll, platzt die triste Realität der Muskelindustrie in die Verputzarbeiten: die Enthüllung eines offenkundig weitflächig angelegten Staats-Dopings in Russland, das neben geständigen Olympiasportlern auch jede Menge Cheftrainer, Anti-Betrugs-Experten, Dopingfahnder und Politiker umfasst.

Am Sonntag hatte die ARD noch mal nachgelegt, sie brachte Papa Diack, den Sohn des Leichtathletik-Weltpräsidenten Lamine Diack, in enge Verbindung mit dem Betreiber einer Strohfirma namens Black Tidings in Singapur. Diese überwies nach Aktenlage 300 000 Euro an die russische Marathon-Läuferin Lilia Schobuchowa - weil die seit April gesperrte Athletin die Rückzahlung von insgesamt 450 000 Euro von ihren Verbandsoffiziellen gefordert hatte. Angebliches Schweigegeld, das Schobuchowa 2012 in drei Tranchen gezahlt haben will, um sich den Zugang zu den London-Spielen zu erkaufen; schließlich lagen seit 2009 auffällige Blutwerte von ihr vor. Die Anschuldigungen sind gut dokumentiert. Die Singapurer Firma wurde nach der Zahlung liquidiert.

Dass nun der Sohn des mächtigen IAAF-Chefs Diack auftaucht in diesem Betrugskrimi, in dem auch der russische Verbandschef und IAAF-Schatzmeister Walentin Balachnitschew eine dubiose Rolle spielt, bringt die Affäre an einen Punkt, an dem es schwierig wird, noch ernsthaft über Reformen im Sport zu reden. "Die Russland- Affäre ist ein riesiges Problem", sagt IOC-Mitglied Richard Pound in Monaco, "weil es diesmal keine Gerüchte sind, sondern sehr gut dokumentierte Vorgänge." Der Kanadier ist Gründungspräsident der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, er geht davon aus, "dass diese ernste Angelegenheit auch in der IOC-Exekutive diskutiert wird".

Immerhin ist Lamine Diack ein Ehrenmitglied des IOC. Und er wurde schon einmal, 2011, im Zuge IOC-interner Korruptionsermittlungen, verwarnt. Zugleich regiert er seit 15 Jahren den Kernsport Leichtathletik. Bekannt ist auch, dass der Präsidentensohn für die IAAF gegen Provision Sponsoren heranschafft; ein fester Brauch in der Familie des Weltsports.

Nun könnte dem Clan aus Senegal auch die enge Verbindung Papa Diacks mit Russland - er hat die staatsnahe Bank VTB an die IAAF gebunden - auf die Füße fallen. IAAF-Pressechef Nick Davies ("Wir sind tief schockiert") sagte in Monaco, die Affäre besitze höchste Priorität. Auch bestätigte er, dass Papa Diack Geschäftsverbindungen mit dem Chef der Singapurer Zahlstation habe. Nicht aber, so behauptet Papa Diack gegenüber der ARD, mit dessen Firma Black Tidings.

Für Davies ist klar: "Wir müssen schnell handeln." Stunden nach der ersten Enthüllung sei eine Übersetzung samt Fragen- katalog an den russischen Verband gegangen, ein weiterer folgte Sonntagnacht, nach der Zuspitzung auf den Präsidentensohn. Neben der IAAF-Ethikkommission, die sich den Korruptionsfragen widmet, geht eine Verbandsabteilung den Dopingvorwürfen nach.

Ein hoher IAAF-Vertreter stellt Balachnitschews Suspendierung in Aussicht: "Es geht um unsere Glaubwürdigkeit, er ist als Schatzmeister der Mann, der unser Geld verwaltet." Seit Montag glühen die Drähte unter den Vorstandsmitgliedern. Und falls Diacks Exekutive den Russen nicht antastet, sei ein Vorstoß aus dem Council geplant. Dort sitzt Sebastian Coe, Topanwärter auf Diacks Nachfolge 2015.

Verschwörungstheorien als Verteidigung

Für die meisten Olympier findet in Monte Carlo also ein konzertierter Verdrängungsprozess statt. Für IOC-Chef Bach ist die Affäre auch deshalb unangenehm, weil sie von deutschen Medien enthüllt wurde. Am Freitag hatte er die hochaktuellen Vorgänge, die sogar die 800-m-Olympiasiegerin von London betreffen, als ein Problem aus der Vergangenheit abgetan.

Und nachts an der Bar des Fairmont-Hotels diskutieren Funktionäre empört den Zeitpunkt der Enthüllung. Mit politischem Verschwörungsgeraune setzen sich auch die Russen zur Wehr. "Nach unseren Ermittlungen", fand der schwer belastete Balachnitschew im Zuge einer Blitzrecherche heraus, "sind alle Anschuldigungen falsch!"

Ski-Präsident Kasper hingegen ist erleichtert, dass in seinem Weltverband Fis "gerade erst vor zwei Jahren viele Russen rausgeflogen sind". Er sagt, was viele denken: "Diese Sache ist sehr beunruhigend für den ganzen Sport." Und für die Glaubwürdigkeit; der Umgang des IOC mit der Staatsaffäre in der weltgrößten Wintersportnation wird zeigen, was all die frommen Regeln wert sind, wenn ihre Anwendung den Geschäftsbetrieb stören könnte.

Der verlief in Monaco reibungslos. Nicht eine Gegenstimme gab es am Montag, als am Nachmittag manchem Vertreter schon der Sekundenschlaf zusetzte, brachten Bach und Mitstreiter auch flott ihr Herzensprojekt durch: einen olympischen TV-Kanal. In rauen Zeiten ist auch mediale Kontrolle ein hohes Gut.

© SZ vom 09.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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