Süddeutsche Zeitung

Keeper Andrew Redmayne gegen Peru:Australiens Wackel-Elvis trotzt den Schamanen

Mit schrägen Tänzen auf der Linie bringt "Socceroos"-Torwart Redmayne die Peruaner im Entscheidungsspiel von Doha aus der Fassung - und sorgt für die fünfte WM-Teilnahme der Aussies in Serie.

Von Javier Cáceres

Es ist in Peru vor wichtigen Spielen der Nationalelf zur guten Sitte geworden, dass sich die Schamanen auf einem heiligen Berg in Lima treffen. Dort legen sie gemeinsam, wie am vergangenen Freitag, Kokablätter in einen Keramiktopf und stellen diesen dann auf ein Feuer. Auf dass Vater Sonne alias Tayta Inti und Mutter Erde, besser bekannt als Pachamama, der Mannschaft mit der berühmten roten Schärpe auf dem Trikot Beistand leisten.

Diesmal ging es den Schamanen um das WM-Playoff der Peruaner gegen Australien, das am Montagabend im katarischen Doha ausgetragen wurde. "Wir haben dem Torwart Australiens ein Ritual angedeihen lassen, damit er schlecht steht und das Tor für unsere Mannschaft in Reichweite kommt", erklärte ein Schamane namens Miguel de los Santos der Nachrichtenagentur AFP.

Doch womöglich fallen sie in Peru jetzt vom Glauben ab oder denken, dass die Götter verrückt sind. Denn ein Torwart namens Andy Redmayne ist nachweislich noch verrückter. Redmayne sorgte nach 120 torlosen Minuten in Doha für ein irrwitziges Elfmeterschießen und damit für die WM-Qualifikation Australiens. Peru hat die Weltmeisterschaft verpasst, allen Schamanen zum Trotz.

Ob man den Schamanen deshalb einen Vorwurf machen kann, ist fraglich. Denn im vollklimatisierten WM-Stadion von Ar-Rayyan wandten die Australier einen Trick an, den Louis van Gaal einst bei der WM 2014 zur Aufführung gebracht hatte. Als niederländischer Nationaltrainer hatte der ehemalige FC-Bayern-Coach damals in der letzten Minute der Verlängerung des Viertelfinales gegen Costa Rica einen sogenannten Elfmetertöter namens Tim Krul und damit den Sieg eingewechselt. Australiens Nationalcoach Graham Arnold tat es van Gaal nun gleich - und deaktivierte damit, wenn man so will, die paranormalen Tricks der peruanischen Priester.

Coach Arnold brachte in der 119. Minute den Ersatztorwart Redmayne, einen jenseits Australiens unbekannten Keeper mit Hipster-Bart vom FC Sydney, für Stammtorwart und Kapitän Mathew Ryan in Spiel. Und so erhielt Redmayne die Gelegenheit, in seinem erst zweiten Länderspiel die Show des Jahres hinzulegen.

Nach fußballerisch schauderhaften 120 Minuten zeigte Redmanye den Schamanen, wie Regentanz in Zeiten von Techno geht

Während sich die Peruaner beim Elfmeterschießen auf ihre Schüsse vorbereiteten, tanzte der 1,94 Meter große Redmayne hysterisch auf der Linie herum - mit schlackernden Armen und Beinen, als hätten sie ihm Juckpulver in die Hose geschüttet oder als wollte er den Schamanen im fernen Lima zeigen, wie Regentanz in Zeiten von Techno geht. Redmayne wurde vom Schiedsrichter wiederholt ermahnt. Es ist in der Tat die Frage, ob sein Verhalten noch mit einem Geist namens Fairplay in Einklang stand.

Redmayne jedoch ließ sich in seinem Ganzkörper-Expressionismus nicht zügeln, und das Theater machte die Peruaner nervös. "Ich dachte, es könnte sie mental treffen", erklärte Trainer Arnold später seinen Torwarttausch: "Sie werden wahrscheinlich gedacht haben: Warum bringt der den jetzt? Der muss ziemlich gut sein." Und siehe da: Es wirkte.

"Fußball ist manchmal auch Psychologie", sagte Australiens Jackson Irvine vom deutschen Zweitligisten FC St. Pauli. Der Peruaner Luis Advíncula setzte seinen Elfmeter an den Pfosten, Alex Valera katapultierte den Ball an die Hand von Redmayne (der bei vier von sechs peruanischen Versuchen in die richtige Ecke sprang). Australien siegte im Penaltyschießen 5:4 und fährt nun zum fünften Mal in Serie zu einer WM.

Es war das erfolgreiche Ende eines Qualifikationsmarathons, bei dem die Socceroos 20 Spiele absolvieren mussten, 16 davon wegen der Corona-Pandemie auswärts. Im Playoff gab es fußballerisch schauderhafte 120 Minuten gegen die Peruaner, die aber schnell in Vergessenheit geraten werden. Erinnern wird man sich nur noch an den Wackel-Elvis-Torwart Redmayne, der agierte wie 1984 Liverpools Torwart Bruce Grobbelaar beim Elfmeterschießen des Europapokalfinales gegen AS Rom .

"Ich will den Erfolg nicht für mich reklamieren, ich bin den Jungs dankbar, die 120 Minuten auf dem Feld gestanden haben", sagte Redmayne, der 2019 beim A-League-Finale schon einmal mit pittoresken Tänzen aufgefallen war - und so den FC Sydney zum Titel geführt hatte. "Er war immer ein totaler Eisvogel", erinnert sich der frühere Australien-Legionär Thomas Broich, der mit Redmayne einst in Brisbane zusammengespielt hatte. Der Keeper war damals nur die Nummer zwei im Klub, aber "ein junger, verlässlicher, total cooler Torwart, der auch mit dem Ball am Fuß stark war", sagt Broich der SZ. Redmayne habe "nie gekümmert, was die anderen über ihn gesagt haben. Das wird ihm jetzt auch gegen Peru geholfen", glaubt der frühere Bundesliga-Profi Broich, der seit kurzem einen Job in der Nachwuchsakademie von Hertha BSC hat.

Dass Redmaynes Einwechslung gegen Peru nötig werden könnte, sei schon nach der Nominierung erwogen und dann auch trainiert worden: "Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht", betonte der Torwart, aber: "Ich bin kein Held. Ich habe nur meine Rolle ausgefüllt, wie alle anderen auch."

Zu den australischen Spielern, die vom Punkt die Nerven behielten, zählte Eintracht Frankfurts Europa-League-Sieger Ajdin Hrustic, der alles schon gewusst haben wollte: "Ich habe ihm vorher gesagt: Du wirst der große Mann sein, wir brauchen dich", erzählte er aus einem Gespräch mit Redmayne. "Wovon ich als Kind geträumt habe, das habe ich nun erreicht, ich will aber mehr. Zur WM zu kommen, ist toll. Wir wollen nun aber auch den nächsten Schritt machen und in Katar zeigen, wie gut wir wirklich sind", fügte Hrustic hinzu. Die Australier wandern in die WM-Gruppe D, mit Titelverteidiger Frankreich, Dänemark und Tunesien.

"Mein Leben wird nicht lang genug sein, um um Vergebung zu bitten", sagt Fehlschütze Advíncula

Für die Peruaner brechen nun ungewisse Zeiten an. Ob der seit 2015 amtierende Trainer Ricardo Gareca weitermacht, ist offen, sein Vertrag läuft aus. Fehlschütze Advíncuala, der auf dem Platz weinend zusammenbrach und einer der prominenteren Spieler einer derzeit tragisch schlechten Mannschaft ist, kündigte seinen Rücktritt aus dem Nationalteam an - und lebenslange Scham: "Ich bin der einzige, der für dieses Debakel verantwortlich ist. Mein Leben wird nicht lang genug sein, um um Vergebung zu bitten", sagte Advíncula.

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