Red Bull in der Formel 1:Der Weltmeister hofft auf ein Wunder

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Verliert er noch die Weltmeisterschaft? Max Verstappen kämpft mit seinem Auto - und muss nun auch mehr auf seine Äußerungen achten, als ihm lieb ist. (Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Das Team von Max Verstappen ist noch immer mit der Fehleranalyse beschäftigt – die zähe Aufarbeitung zeigt die Komplexität der Formel 1. Und nun muss der 26-Jährige zur Strafe auch noch gemeinnützige Arbeit leisten.

Von Elmar Brümmer, Singapur

Die Aufgabe für Max Verstappen in Singapur ist heikel gewesen, sein Teamkollege Sergio Perez war gerade daran gescheitert. Der Formel-1-Weltmeister ging deshalb noch ein bisschen konzentrierter zur Sache und bewegte das Lenkrad ganz vorsichtig. Die erste Kurve schaffte er gut, beim nächsten Dreh lief es schon nicht mehr so elegant: Sein Auto überschlug sich. Verstappen aber lachte über diesen Fahrfehler, denn natürlich ist es nicht sein RB20 gewesen, der an der Marina Bay den Crash hatte, sondern nur ein Kinderspielzeug. Als Aufwärmprogramm für den Nacht-Grand-Prix diesen Sonntag hatten sich die Marketingstrategen des Getränkekonzerns diesen Slalom im hell erleuchteten Fahrerlager ausgedacht. Vielleicht sogar mit tiefenpsychologischer Absicht: Auch wenn gerade eine Menge schiefläuft – ist doch alles nicht so schlimm.

Ausgerechnet jetzt, wo McLaren kraft des derzeit besten Rennwagens zum ersten Mal seit 55 Rennen Red Bull Racing von der Spitze der Konstrukteurswertung verdrängt und Lando Norris Verstappens Vorsprung in der Fahrer-WM schon bis auf 59 Zähler abgeknabbert hat, stehen innerhalb von einer Woche zwei Straßenkurse auf dem Programm. Pisten mit langsamen Kurven, die traditionell weder der Champion noch sein Auto mögen. Seit Mitte Juni stand der Titelverteidiger nicht mehr auf dem Podium, nachdem er von den ersten zehn Rennen der Saison sieben gewonnen hatte – und alles nach einer Fortsetzung der Dominanz aussah. Aber jetzt ist da nur diese ungestillte Sehnsucht.

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So poetisch drückt sich ein Realo wie Max Verstappen natürlich nicht aus. Um die Qualität seines Dienstwagens am vergangenen Sonntag in Baku zu beschreiben, benutzte er während der Pressekonferenz das F-Wort. Ausgerechnet kurz nachdem der Automobilweltverband Fia ausgegeben hatte, das überhandnehmende Fluchen der Piloten unterbinden zu wollen. Zur Strafe muss der 26-Jährige gemeinnützige Arbeit leisten. Eine Farce, natürlich. Aber sie passt irgendwie ins derzeitige Stimmungsbild.

Seit 2021 haben fünf Schlüsselfiguren Red Bull verlassen

Ein kleines Wunder müsse schon geschehen, damit er auf dem Marina Bay Circuit gewinnen könne, glaubt der Niederländer. Wäre sein Auto konkurrenzfähig, würde das fürs Erste schon reichen. Um dann in der vierwöchigen Pause zwischen Singapur und Austin auf die Wende zu setzen: mit einem runderneuerten eigenen Auto und einem Gegner McLaren, der gerade seinen flexiblen Heckflügel verboten bekommen hat und damit an Topspeed verliert.

Für diesen rasenden Ingenieurssport, in dem die Technik oft im Zwei-Wochen-Rhythmus korrigiert oder weiterentwickelt werden kann, dauert die Analyse ausgerechnet beim Branchenprimus ungewöhnlich lange. Bereits im Mai hatten Fahrer und Einsatzteam erkannt, dass sich ein Fehler im System des bis dahin so zuverlässig überlegenen RB20 eingeschlichen haben musste. Das, was der Windkanal versprach, hielt der Praxis nicht annähernd stand. „Offenbar können wir unseren Werkzeugen nicht vertrauen“, stöhnte Teamchef Christian Horner, „es ist so, als würde man die Zeit auf unterschiedlich tickenden Uhren ablesen.“

"Das Auto gibt mir keine Chance. Ich kann nur Schadensbegrenzung betreiben, aber das bringt uns nicht weiter", klagt der ehemalige Seriensieger Max Verstappen. (Foto: Clive Mason/Getty Images)

Aufgeflogen war das just an jenem Wochenende, an dem Konstrukteur Adrian Newey, für den der Spitzname Superhirn eine durchaus zutreffende Berufsbeschreibung ist, Red Bull verließ. Der Brite hat bei Aston Martin angeheuert, offiziell, weil er dort als Anteilseigner neue Perspektiven sieht. Eigentlich will Newey aber nichts anderes, als schnelle Autos bauen. Dass ihm das nach fast zwei Jahrzehnten bei Red Bull keinen Spaß mehr bereitet hat, sagt auch etwas über das Klima im englisch-österreichischen Rennstall. Seit 2021 haben fünf Schlüsselfiguren Red Bull verlassen, zuletzt Sportdirektor Jonathan Wheatley zum neuen Audi-Werksteam.

Die atmosphärischen Störungen durch die Machtkämpfe nach dem Tod von Firmengründer Dietrich Mateschitz eskalierten erst zu Jahresbeginn. Sie brodelten aber schon länger und tun es auch nach der Affäre um Teamchef Horner, dem von seiner Assistentin übergriffiges Verhalten vorgeworfen worden war. Der Brite sitzt jedoch fest im Sattel, weil er die thailändischen Mehrheitsbesitzer der Marke hinter sich hat. Der Österreicher Helmut Marko hat nach langem Hin und Her seinen Beratervertrag verlängert. Verstappens Vater Jos hingegen lässt immer mal wieder öffentlich Dampf gegen Horner ab, wenn es sportlich nicht läuft – und kokettiert mit einem vorzeitigen Wechsel seines Sohnes zu Mercedes. Solche Unruhen sind das letzte, was ein Rennstall in der Krise gebrauchen kann.

Bei noch 206 zu vergebenden Punkten ist Lando Norris gefährlich nahe herangekommen

Das aus der Balance geratene Spitzenauto und die zähe Aufarbeitung zeigen die Komplexität der Formel 1. Offensichtlich haben schon minimale Veränderungen bei der Fahrzeugabstimmung gereicht, um den RB20 zwischen Himmel und Hölle pendeln zu lassen. Max Verstappen spricht mal von einem „Monster“, das man sich herangezüchtet habe, mal diskreditiert er die Leistung mit der Bezeichnung „Go-Kart“.

Es zeigt auch, dass das Ground-Effect-Reglement, das 2026 abgelöst wird, ausgereizt ist. Red Bull ist gar nicht so viel schlechter geworden, die anderen haben nur stark aufgeholt. Nun leidet die Newey-Konstruktion unter jenen unerwünschten Eigenschaften, mit denen Mercedes, Ferrari und McLaren in den vergangenen Jahren klarkommen mussten – Autos, die hüpfen und von Strecke zu Strecke starke Formschwankungen zeigen. Der Fehler beim Unterboden, der über den Grip des Rennwagens und damit dessen Schnelligkeit und Balance entscheidet, ist offenbar bereits im Frühjahr 2023 passiert. „Falsch abgebogen“ heißt es im Formel-1-Jargon, wenn die Entwicklungsrichtung nicht mehr stimmt. Dass sich das erst jetzt so frappierend auswirkt, zeigt auch die generelle Überlegenheit des Fahrzeugkonzepts.

„Im Moment habe ich es nicht in der Hand. Das Auto gibt mir keine Chance. Ich kann nur Schadensbegrenzung betreiben, aber das bringt uns nicht weiter“, klagt Verstappen. Er fordert mittlerweile schon über Boxenfunk ein höheres Entwicklungstempo. Denn bei noch 206 zu vergebenden Punkten ist Lando Norris gefährlich nahe herangekommen. Der Verfolger attestierte seinem McLaren zuletzt, dass dieser fliegen könne. In Singapur bemühte sich der Brite wieder um Understatement: „So, wie wir den Turnaround geschafft haben, kann auch Red Bull alles wieder umdrehen“, sagte Norris. „Sie waren anfangs weit überlegener, als wir es jetzt sind, und wir hatten damals mehr Probleme als sie heute.“ Trost vom härtesten Gegner, das müssen die Erfolgsverwöhnten fast als Hohn empfinden.

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