Red Bull in der Formel 1:Selbst ist die Dose

Photo4 / LaPresse 26/10/2019 Mexico City, Mexico Grand Prix Formula One Mexico 2019 In the pic: Max Verstappen (NED) Re

Red Bulls Spitzenfahrer Max Verstappen wird es letztlich egal sein, wer seine Motoren zusammenschraubt.

(Foto: Photo4/LaPresse/imago)

Weil dem Rennstall sein Hersteller Honda entlaufen ist, schraubt Red Bull ab 2022 dessen Antriebe als Lizenznehmer zusammen. So bleibt Zeit für die wegweisende Motorenbalz - bis 2025 möchte die Formel 1 ökologisch unangreifbar sein.

Von Philipp Schneider, München

Es ist ja nicht so, als hätten sie beim Getränkehersteller Red Bull nicht Erfahrung mit dem Nachahmen von Ideen. Was in der Zoologie Mimikry genannt wird, also die Fähigkeit, die Gestalt oder Farbe anderer Tiere anzunehmen, gehört gewissermaßen zum Gründungsmythos von Red Bull.

Im Jahr 1982 orderte ein der Welt weitestgehend unbekannter Handelsvertreter für Zahnpasta an einer Bar in Hongkong ein asiatisches Getränk namens "Krating Daeng". Das ist thailändisch und bedeutet "roter Stier". Der Drink beinhaltete Koffein und Taurin, eine Säure, die aus der Galle eines Ochsen isoliert wurde. Der Handelsvertreter trank den flüssigen Stier, und siehe da: sein Jetlag war (angeblich) überwunden! Er nahm Kontakt zu den Besitzern auf, passte die Rezeptur um ein paar Nuancen an, füllte das Getränk in Billionen von Dosen ab, schrieb dessen Namen auf Fußballtrikots, Rennwagen und Menschen, die unbedingt mit dem Fallschirm aus der Stratosphäre springen wollten - und zack! Schon war Dietrich Mateschitz Multimilliardär.

Wie bei der Limonade hält sich auch diesmal die innovative Eigenleistung in Grenzen

Was Mateschitz 1982 an einer Bar in Hongkong sicher noch nicht ahnte: Dass er mit seiner Firma exakt 40 Jahre später nicht nur einen Drink mit simpler Rezeptur nachbauen würde. Sondern fortan auch einen hochkomplexen 1,6 Liter Turbo-Hybridmotor, der die Rennwagen in der Formel 1 antreibt. Aber doch: Mateschitz wird diese Aggregate ab 2022 tatsächlich fertigen, in einer eigens zu diesem Zweck gegründeten Firma namens "Red Bull Powertrains Limited".

Wie bei der Limonade hält sich auch diesmal die innovative Eigenleistung der Österreicher in Grenzen. Red Bull wird schlicht die Technologie seines aktuellen Motorenpartners Honda nachbauen; der nach der kommenden Saison aus der Formel 1 aussteigt. Diesen Schritt, den die Japaner mit der verstärkten Hinwendung zur Entwicklung alternativer Antriebskonzepte begründeten, hatte Honda im Oktober kundgetan - seither musste Red Bull nach einer Lösung fahnden, die seinen Verbleib in der Formel 1 sicherstellen würde.

Und dennoch ist dieser Wurf eine unternehmerische Meisterleistung wie einst die Adaption der Limonade: Um nach dem Ausstieg von Honda weiter wettbewerbsfähig zu sein, musste Red Bull den Konkurrenten zunächst die Zustimmung abringen, dass sämtliche Motoren in der Formel 1 schon nach dem Ende der Saison 2021 nicht mehr weiterentwickelt werden dürfen. Nicht erst ein Jahr später, wie ursprünglich geplant. Denn eines war der Truppe um Teamchef Christian Horner sofort bewusst: Motoren nachzubauen, das ist eine Aufgabe für Schrauber. Motoren zu verbessern und deren Effizienz zu steigern, das ist eine Aufgabe für die Ingenieurs-Abteilungen von Automobil-Konzernen, die jährlich dreistellige Millionenbeträge in ihre Entwicklungsstuben investieren.

Ab 2025 wird in der Formel 1 mit neuen Motoren gefahren

Nun ist es so: Nach dem Ausstieg von Honda werden ab 2022 sämtliche Motoren in der Formel 1 außer von Red Bull nur noch von Mercedes, Ferrari und Renault gebaut. Hätte Red Bull keine Übereinkunft mit den Konkurrenten über den vorgezogenen "Engine-Freeze" gefunden, und mit Honda darüber, dass die Österreicher die Technologie der Japaner weiter verwenden dürfen - so hätte das Reglement vorgesehen, dass Red Bull ein Triebwerk jenes Herstellers beziehen muss, der am wenigsten Rennställe beliefert. Das wäre Renault gewesen. Aber mit den Franzosen hatte Red Bull erst 2018 gebrochen - und war zu Honda gewechselt.

Drei Saisons lang wird Red Bull nun mindestens selber schrauben, ab dem Jahr 2025 wird in der Formel 1 ohnehin mit neuen Motoren gefahren. Diese Antriebe, das ist der gemeinsame Wunsch aller Hersteller, werden weniger kompliziert und somit günstiger sein. Die gegenwärtigen Hybrid-Motoren, die seit 2014 im Einsatz sind, besitzen, um sich einen grünen Anstrich zu geben, gleich zwei Elektromotoren: der eine gewinnt Leistung aus kinetischer Energie, der andere aus Hitze im Abgasstrahl. Von der Komplexität her gehören sie eher auf Weltraumbahnhöfe als in den Rennsport, geschweige denn: unter die Hauben gewöhnlicher Autobahn-Flitzer.

Die neue Technologie könnte Motorenhersteller in der Formel 1 locken, die deren Schmuddel-Image derzeit scheuen

Die Träumereien über den Antrieb ab 2025 gehen nun dahin, dass dieser CO2-neutral betrieben werden soll. Die Formel 1 träumt diesen Traum selbstverständlich nicht aus altruistischen Gründen, sondern aus reinem Selbsterhaltungstrieb. Sollte es gelingen, dauerhaft CO2-neutralen Kraftstoff zu verbrennen in der Formel 1, so wäre ihr Betrieb aus ökologischer Sicht nicht länger gesellschaftlich angreifbar. Zur Produktion dieses synthetischen Benzins müsste überschüssiger Wind- oder Solarstrom genutzt werden, um Wasser per Elektrolyse in Sauerstoff und Wasserstoff zu spalten. Mit letzterem wird dann während der Produktion des Sprits so viel CO2 aus der Umgebungsluft gebunden, wie während seiner Verbrennung entsteht.

Diese Technologie ist in der Praxis noch ziemlich aufwendig - könnte zukünftig aber sogar Motorenhersteller in die Formel 1 locken, die deren Schmuddel-Image derzeit scheuen. Das Gerücht, Audi könnte zurückkehren in die Rennserie, hält sich seit Jahren sehr hartnäckig. Im Zuge der Nöte der Truppe von Red Bull, die ja für 2025 wieder auf Motorenbalz gehen muss, ist es beliebt wie nie. Auto, Motor, Sport berichtete, Honda habe vor dem Übergangsdeal mit Red Bull zunächst zurückgescheut, weil sie den Technologie-Diebstahl eines künftigen Partners befürchten. Es habe sich "offenbar bis nach Tokio herumgesprochen, dass Audi an einem Formel-1-Einstieg ab 2025 interessiert ist", schrieb das Fachblatt.

Die Formel 1 wäre dann nicht nur nicht tot. Sondern lebendig wie lange nicht.

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