Red-Bull-Fabrik in England:Wo Vettels Weltmeister-Auto entsteht

Formel 1 Red Bull - Rennfabrik in Milton Keynes

Blick in die Endmontage-Halle von Red Bull im britischen Milton Keynes: Hier werden die Fahrzeuge vor jedem Rennen zusammengeschraubt.

(Foto: dpa)

Im britischen Milton Keynes steht eines der exklusivsten Autowerke der Welt: Dort baut Red Bull seine Rennwagen für die Formel 1. Nur fünf Fahrzeuge sind es pro Jahr, aber nach jedem Wettkampf wird an den Flitzern weiter gefeilt. Dabei hilft auch deutsche Software.

Von Björn Finke

In der Halle steht Fräsmaschine neben Fräsmaschine, hinter Schutzfenstern bringen sie Metallteile in Form. Die Mitarbeiter sitzen neben den großen Kästen an Schreibtischen und überwachen alles am Computer. In der nächsten Halle sind die Öfen - riesige silbern glänzende Röhren, deren Deckel an Bunkertüren erinnern. In den Öfen werden bei Überdruck Bauteile aus Kohlefasern zusammengebacken. Es geht ruhig zu in dieser Fabrik; es gibt keine Fließbänder, die Komponenten rasch von Station zu Station bringen; es gibt keine Roboter, die einmal schnell schweißen, bevor das Teil weiterwandert.

Und doch handelt es sich hier um eine Autofabrik. Wenn auch um eine sehr exklusive: In dem Werk in Milton Keynes, einer ziemlich eintönigen Stadt nordöstlich von London, werden nur fünf Fahrzeuge pro Jahr gefertigt. Die müssen dafür wahnsinnig schnell und wahnsinnig zuverlässig sein - sonst wird der Mann am Steuer mit ihnen kaum zu seinem fünften Weltmeister-Titel rasen können. Es ist die Fabrik, in der das Formel-1-Team "Infiniti Red Bull Racing" die Boliden für Sebastian Vettel und den neuen zweiten Fahrer Daniel Ricciardo baut.

In zwei Wochen beginnt die Saison mit dem Großen Preis von Australien, seit Donnerstag absolvieren die elf Teams in Bahrain Testfahrten. Für Red Bull ist es die zehnte Saison in der Rennserie - die neue komplett überarbeitete Wagen-Generation heißt deshalb RB10. Seit September habe man am Design für RB10 gearbeitet, sagt Al Peasland, einer der leitenden Ingenieure bei Red Bull. "Und parallel haben wir das vorherige Auto, den RB9, während der Saison weiter verbessert." Doch der nagelneue RB10 macht Probleme: In Bahrain streikte bei den Testfahrten - wieder einmal - der Antrieb, wie schon bei den Probeläufen am vergangenen Wochenende oder Ende Januar. In Milton Keynes wird das Team die Autos jetzt noch mal ummodeln müssen.

Auch viele andere Flitzer werden von Bahrain zurück nach Großbritannien fliegen. Acht der elf Rennställe sitzen im Vereinigten Königreich, selbst wenn sie - wie Red Bull - nicht Briten gehören. Der Limo-Hersteller kommt aus dem Salzburger Umland. Vor der Fabrik weht deswegen neben der britischen die österreichische Flagge. Britannien ist unbestrittenes Zentrum der Formel-1-Industrie. Nach Angaben des Branchenverbandes MIA verdienen 4500 Hersteller und Zulieferer an dem Spektakel. Die meisten finden sich im sogenannten Motorsport Valley, einer Gegend rund um Oxford und die Rennstrecke Silverstone. Milton Keynes ist 30 Kilometer von Silverstone entfernt.

Bei Red Bull arbeiten 600 Beschäftigte, fast die Hälfte davon in der Fertigung, der Rest als Designer, Ingenieure oder in der Verwaltung. In einem der blitzsauberen Fabrik-Flure, neben dem Testlabor, steht eine Kohlefaser-Karosserie des RB10 - eine der fünf, die Red Bull für diese Saison gebaut hat. "An der Karosserie ändern wir wenn möglich nichts während der Saison", sagt Ingenieur Peasland. Dafür an so gut wie allem anderen. "Im vergangenen Jahr hatten wir zwischen dem ersten und dem letzten Rennen 30 000 Änderungen beim Design." Damit drehen Vettel und Ricciardo bei jedem Wettkampf in etwas unterschiedlichen Autos ihre Runden, herummontiert um die fünf Karosserien.

So werde für jedes Rennen der Frontflügel getauscht, damit die Aerodynamik zu den Besonderheiten der Strecke passe, sagt Peasland. Dann komme es vor, dass Teile auf der Piste brechen - bis zum nächsten Wettkampf entwickeln die Ingenieure hoffentlich ein stabileres Design. Außerdem wird der Wagen über die ganze Saison hinweg besser gemacht: "Die Rennen am Wochenende dienen zugleich als Testfahrt, bei denen wir viele Daten sammeln", erklärt er.

Red Bull baut 70 bis 80 Prozent der Autoteile selbst

In den Boliden sind Sensoren verbaut, die ständig Angaben über Fahreigenschaften und die Autotechnik zu den Rechnern des Teams funken. Die Ingenieure können mit Hilfe dieser Daten, mit Computer-Simulationen oder auch mit Windkanal-Experimenten zum Beispiel eine Aufhängung so verändern, dass sie zuverlässiger, leichter oder windschnittiger wird.

Red Bull baut 70 bis 80 Prozent der Autoteile selbst in Milton Keynes, zugekauft werden Motor und Getriebe. Zwischen den Rennen liegt manchmal bloß eine Woche; somit bleiben nur wenige Tage, etwa eine gebrochene Achsaufhängung neu und stabiler zu konstruieren, zu testen und dann zu fertigen - in ganz kleiner Stückzahl, aber dafür ganz präzise. Hierbei hilft Software made in Germany: Siemens lieferte Programme, mit denen die Ingenieure Teile am Computer designen und virtuell prüfen können. Gefällt das Ergebnis, hilft das System dabei, die Produktion möglichst intelligent auf die Fräsmaschinen aufzuteilen. Auch das Fräsen lässt sich erst einmal am Bildschirm simulieren. Gibt es keine Probleme, überträgt die Software die Designdaten an die Maschine. Alle Angaben, von der Konstruktionszeichnung über Testwerte bis hin zu Fertigungsschritten, werden zentral abgespeichert, Ingenieure können von überall her darauf zugreifen.

Die gesamte Produktion ist also virtuell abgebildet, sie kann am Rechner durchgespielt und von der Software möglichst effizient gestaltet werden. Das soll Fehler vermeiden und alles beschleunigen. Solche Programme heißen Product-Lifecycle-Management-Software, und Siemens erhofft sich viel davon. Die Industrie-Sparte des Münchner Technologiekonzerns verkaufte immer schon Fabriksteuerungen - nun sollen die Kunden gleich noch die passenden allumfassenden Programme dazu erwerben. Schätzungen zufolge arbeiten inzwischen 9000 Siemens-Beschäftigte in diesem Software-Bereich, in den vergangenen Jahren übernahm das Dax-Mitglied mehrere IT- und Softwarefirmen.

Das Red-Bull-Team ist für die Münchner eine Art Vorzeige-Kunde. Designs müssen ganz schnell entwickelt und fehlerfrei umgesetzt werden, die Maschinen in der Halle produzieren ständig etwas anderes - der Albtraum jedes Fabrik-Managers. Ohne ausgefeilte Software wäre das hoffnungslos. Genau diese Flexibilität und Rasanz werde jedoch heute in immer mehr Industriebranchen erwartet, sagt Siemens-Vorstand Siegfried Russwurm: "Die Formel 1 bringt die Herausforderungen für die Unternehmen auf den Punkt."

Die Herausforderung für Red Bull besteht im Moment darin, den bockigen RB10 innerhalb von zwei Wochen zum Laufen zu bringen. Es gibt in Milton Keynes also einiges virtuell auszuprobieren. Aber dummerweise hält sich die Realität manchmal nicht an Simulations-Ergebnisse.

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