Süddeutsche Zeitung

Rechtshilfegesuch:Fifa-Affäre: Schweiz empfängt diskrete Besucher aus Amerika

Die US-Justiz nimmt Einblick in die Korruptionsakten. Das könnte heikel werden - auch für Sepp Blatter.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Die Amerikaner machten Druck. Sie hatten es eilig. Am 6. Oktober bewilligte das Schweizer Bundesamt für Justiz (BJ) ihre Bitte, einen gewaltigen Aktenkomplex zu sichten - und schon am Montag darauf, am 12. Oktober, fanden sich vier Beamte des US-Justizministeriums sowie des FBI im Städtchen Zug ein, um sich unter der Leitung von dortigen Behördenvertretern durch den Berg aus Unterlagen zu arbeiten. Einige Tage dauerte diese "Triage", wie so eine Aktensichtung in bestem Amtsschweizerisch heißt, das bestätigt das BJ auf Anfrage der SZ. Zwar durften die diskreten Besucher aus Amerika weder Kopien noch Notizen anfertigen, trotzdem ist anzunehmen, dass sie den mehrtägigen Aufenthalt in Zug mit wichtigen neuen Erkenntnissen beendeten.

Denn bei dem Konvolut, das sie durchackerten, handelt es sich um die Akten zum Bankrott der Schweizer Sportmarketingfirma ISL und den folgenden Strafverfahren. Es war einer der umfänglichsten Wirtschaftskrimis des Landes, in dem von 1989 bis 2001 mindestens 142 Millionen Franken von der Agentur in die Taschen korrupter Sportfunktionäre wanderten. Die ISL sicherte sich so lukrative TV- und Werbe-Rechte. Diese Schmiergeld-Rituale hinterließen vielfältige Spuren, aber wegen der laschen Strafgesetzlage zur Privatbestechung wurde die Causa nie wirklich aufgeklärt. Bei einem Großteil des Geldes sind die Empfänger bis heute unbekannt.

Das will die US-Justiz ändern. Sie ermittelt seit mehr als fünf Jahren im Wirtschaftssumpf um den Fußball-Weltverband Fifa. Dass die ISL als regelrechte Blaupause für jene Korruptionsschemen diente, welche die US-Beamten jüngst in zahlreichen Ländern des amerikanischen Kontinents aushebelten, hatten sie früh erkannt. Allein der Zeitablauf der vergangenen Monate zeigt, wie bedeutend ihnen dieser Komplex ist: Seit März stellten die Amerikaner vier Rechtshilfeersuchen an die Schweizer, schon im ersten baten sie offenbar um Herausgabe der ISL-Strafakten. Eine Weile tat sich nichts. Am 25. September erging dann die Bitte, der Triage in Zug beizuwohnen. Kurz danach fand sie statt. Dass die US-Behörden bereits jetzt Informationen über den Akteninhalt haben und wesentliche Teile der Akten wohl bald auch offiziell erhalten, dürfte ihre Ermittlungen um die Fifa befeuern - insbesondere um Sepp Blatter. Der hat die Fifa seit 1998 als Präsident geführt und zuvor als Generalsekretär bei Bieterverfahren dafür gesorgt, dass die ISL ins Geschäft kam. Inzwischen ermittelt die Berner Bundesanwaltschaft gegen Blatter wegen des Verdachts auf ungetreue Geschäftsbesorgung; allerdings nicht im ISL-Komplex.

Mit der 1982 vom damaligen Adidas-Chef Horst Dassler gegründeten ISL begann eine global organisierte Bestechungspraxis. Vor dem Strafrichter in Zug, wo die ISL ansässig und zum Branchenführer aufgestiegen war, gaben die Topmanager im März 2008 zu, dass Korruption die Geschäftsbasis war. Finanzchef Hans-Jürg Schmid klagte: "Das ist, als wenn man Lohn bezahlen muss. Ansonsten wären die Verträge von der anderen Seite nicht unterschrieben worden." Verwaltungsratschef Christoph Malms gestand: "Diese Praxis war unerlässlich, gehörte zum Geschäftsstil. Ohne ging es nicht."

2010 wurde das ISL-Strafverfahren eingestellt - gegen Wiedergutmachungszahlungen von insgesamt 5,5 Millionen Franken durch die Beschuldigten, die zudem die Vorwürfe anerkennen mussten. Drei Millionen zahlten der langjährige brasilianische Fifa-Chef João Havelange sowie sein Schwiegersohn Ricardo Teixeira, die von der ISL mehr als 20 Millionen kassiert hatten; 2,5 Millionen musste die Fifa beisteuern, die im Verfahren wegen mangelnder Kooperation vom Opfer zur Beschuldigten geworden war.

Die Amerikaner interessieren sich nun für die Millionen-Empfänger, Tarnfirmen und zugehörige Konten, die in Teilen offenbar schon in ihrer Hemisphäre registriert wurden. Hier dürfte die ISL-Akte hilfreich sein. So könnte sie auch zeigen, wer hinter dem Kürzel "E16" steckt, das in einer größtenteils anonymisiert veröffentlichten Empfängerliste der Zuger Justiz auftaucht. "E16" ist die Person oder Firma, für die am 5. Juli 2000, am Tag vor der WM-Vergabe 2006 nach Deutschland, von der ISL rasch 250 000 Dollar lockergemacht wurden. Der Verdacht geht um, dass der neuseeländische Wahlmann Charles Dempsey davon profitiert haben könnte, der damals vor der Schlussabstimmung unter fragwürdigen Umständen die Fifa-Wahlrunde verließ und Deutschland einen 12:11-Sieg über Südafrika ermöglichte. Dempsey starb zwar 2008, doch in seinem Umfeld in Ozeanien wächst neuerdings die Aufregung; plötzlich glühen die Drähte zu Fifa-Leuten in der Schweiz.

Nach SZ-Informationen sehen die Amerikaner Anknüpfungspunkte zwischen ihren Ermittlungen und dem ISL-Komplex. Der wichtigste könnte ein beglaubigtes Schreiben Havelanges sein, in dem der Ex-Fifa-Boss mitteilt, dass sein damaliger Generalsekretär Blatter vollumfänglich über alle Aktivitäten Bescheid gewusst habe. Angeblich geht die US-Justiz der Frage nach, ob diese Darstellung Blatter belasten könnte. Der Schweizer, als Fifa-Chef suspendiert, wies stets jedes Fehlverhalten zurück und erklärte jüngst, die Causa ISL sei für ihn abgeschlossen. 2012 hatte er aber unter öffentlichem Druck erklärt, von "Provisionen" gewusst zu haben.

Die Amerikaner prüfen, wie die Schweizer Bundesanwälte, auch den Verdacht ungetreuer Geschäftsführung; das könnte im ISL-Komplex besonders heikel werden. 2004 schloss Ex-ISL-Verwaltungsrat Jean-Marie Weber, als Schmiergeldbote aufgeflogen, einen Korruptionsverdunklungsvertrag. Der ISL-Konkursverwalter hatte bestochene Funktionäre gefunden und Rückzahlungen gefordert - Weber zahlte 2,5 Millionen Franken, im Gegenzug verpflichtete sich der Verwalter, auf Zivilverfahren zu verzichten und die Empfänger geheim zu halten. Die Herkunft dieser 2,5 Millionen blieb ungeklärt; vor Gericht in Zug 2008 hatte sich Weber als mittellos erklärt. Vergebens versuchten die Ermittler, den Anwalt Webers, der auch persönlicher Anwalt Blatters war, zur Herausgabe der Namen zu verpflichten. 2005 lehnte das Bundesgericht den Vorstoß ab.

Auch das könnte sich ändern. Im Hinblick auf ihre Untreue-Ermittlungen könnte die Amerikaner nicht nur die Frage interessieren, wie der angeblich mittellose Weber damals 2,5 Millionen aufbrachte - noch eine weitere Millionenfrage ist offen: Havelange soll auch testiert haben, dass alle Kosten für sein und Teixeiras Verfahren von der Fifa übernommen worden seien. Die beiden hatten neben der Sanktion von drei Millionen Franken ja auch erhebliche Prozesskosten zu tragen. Die Fifa will sich dazu nicht näher äußern, sie verweist nur auf ihre Bilanzen. Immerhin: Die weisen fürs Jahr 2010 einen markanten Anstieg der Rechtskosten gegenüber der Vorjahre aus. Um fast fünf Millionen Franken.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2015
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