Karriereende von Viktoria Rebensburg:Plötzlich, aber stimmig

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Mit voller Wucht, gerne mit vollem Risiko: die alpine Skirennläuferin Viktoria Rebensburg. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Nach dem Rücktritt von Felix Neureuther verliert der deutsche Skisport seinen nächsten Fixpunkt: Viktoria Rebensburg beendet nach 13 Jahren ihre Laufbahn - scheinbar überraschend. Doch der Schritt entspricht ihrem Charakter.

Von Johannes Knuth

Es herrschte nicht gerade optimales Skifahrerwetter, als Viktoria Rebensburg am Dienstag vor die Kamera trat. Sie trug immerhin eine durchaus wintertaugliche pinke Jacke, hinter der der grüne Hang am Skilift in Kreuth noch etwas schärfer hervorstach. Das Region am Tegernsee ist ein spezieller Ort für Rebensburg, fast ihre gesamte Familie war bis zuletzt am benachbarten Skizentrum in Bad Wiessee aktiv, die Mutter in der Küche des Klubheimes, der Vater als Technischer Leiter, der Bruder schraubte an den Schneekanonen. Rebensburg selbst hatte an den Skiliften am Hirschberg und am Sonnenbichl einst ihren Sport erlernt, "somit schließt sich jetzt ja irgendwie der Kreis", sagte sie nun am Dienstag in ihrem Video, während in ihrer Stimme ein ordentliches Vibrato lag. Als sei Rebensburg selbst ein wenig überrascht von der Wucht ihrer Worte, die ihr da aus dem Mund fielen.

Die Nachricht, die Viktoria Rebensburg dann in die sozialen Netzwerke jagte, traf die Alpingemeinde durchaus unvorbereitet. So bald hatte man das doch noch nicht erwartet: dass die 30-Jährige nach 13 Jahren ihre Karriere als Skirennfahrerin stilllegt, "mit sofortiger Wirkung, schweren Herzens und nach reiflicher Überlegung in den letzten Wochen", wie sie sagte. So war auf einmal das letzte Kapitel in einer Athletenvita zugeschlagen, wie es sie im deutschen Alpinsport nicht allzu häufig gab. Rebensburg hat einen Olympiasieg (2010), eine olympische Bronzemedaille (2014) und zwei WM-Silbermedaillen im Riesenslalom (2015, 2019) auf sich vereint, dazu drei Weltcup-Gesamtsiege in ihrer Lieblingsdisziplin, 19 Einzelerfolge im Riesenslalom, Super-G und der Abfahrt. Es war auch ein Abschied, den man meist nur mit Darstellern aus einer bestimmten Preisklasse assoziiert: Was für ein Verlust, auch wenn man ahnte, dass er allmählich bevorstand.

"Von klein auf war es immer mein Anspruch, um Siege mitzufahren", sagte Rebensburg in ihrer Abschiedsbotschaft: "Diesem Anspruch konnte ich nicht mehr gerecht werden", das habe sie in den vergangenen Wochen im Training auf den Gletschern gespürt. Im Februar hatte sie in Garmisch-Partenkirchen noch ihre erste Weltcup-Abfahrt gewonnen - das sei auch ein schöner Anlass, "die Wintersportbühne zu verlassen", fand sie. Der Triumph und der krachende Unfall am Tag darauf im Super-G - in ihrem letzten Rennen, wie man nun weiß - hatten ihr noch einmal beides vor Augen geführt: ihre Meriten und das, was weiter nötig war, um im Weltcup mitzuhalten. Der ständige Flirt mit dem Risiko und den schweren Verletzungen also, was der nachrückenden Generation deutlich leichter fällt. "Sie hat zuletzt schon gemerkt, dass sie sich sehr schwer tut mit der Überwindung", sagte Wolfgang Maier am Dienstag, Rebensburgs langjähriger Sportdirektor im Deutschen Skiverband (DSV); da habe sie auch gespürt, "dass ihre Zeit in der ersten Reihe abgelaufen ist". Wie eine Kerze, die bei jedem Sportler irgendwann herunterbrennt. Und Olympiasiegerinnen stehen dann doch nicht so gerne in der zweiten oder dritten Reihe, auch so bodenständige wie Rebensburg.

Man vergisst leicht, wie lange Rebensburg sich diesem Spiel ausgesetzt hat: Sie rauschte schon 2007, bei der WM in Are, als pausbäckige 17-Jährige, frech auf Rang acht des Riesenslaloms. Es folgten erste Weltcup-Podeste, 2010 dann schon die Krönung: Vancouver, die olympischen Winterspiele - und Rebensburg lieferte einen dieser Momente, den die olympischen Bildermacher lieben. Da stand eine 20 Jahre alte Skirennfahrerin vom Tegernsee im Ziel, sah ungläubig zu, wie sich eine Favoritin nach der anderen an ihrer Zeit abmühte, ehe sie am Abend auf das Siegerpodium sprang, als habe sie sich all ihre Freude für diesen Moment aufgespart. Der olympische Riesenslalom 2010 war das erste größere Rennen, das Viktoria Rebensburg auf ihre Seite zog - ihren ersten Weltcup gewann sie erst zehn Monate später.

Ihre Eltern erfuhren davon übrigens erst am Tag darauf, am Flughafen in München. Die Finalläufe hatten sich wegen Wetterkapriolen auf zwei Tage verteilt, und die Rebensburgs hatten den Rückflug am zweiten Tag nicht mehr umbuchen können.

Rebensburg etablierte sich in den Jahren darauf in der Weltspitze, 2011 gewann sie zum ersten Mal die Gesamtwertung im Riesenslalom, 2012 zum zweiten Mal. Sie sei ein "Bauchmensch", hat sie mal gesagt, keiner, der bis in die Nächte seine Schwünge am Computer analysiert, immer mit einem etwas eigenen Kopf, immer die eigene Fahrspur entlang. Mal hörte sie vor allem auf Herbert Renoth, einen Disziplintrainer, mit dem sie sich manchmal so weit absonderte, dass sie im Verband arg verstimmt waren. Mal pochte sie auf ihr eigenes kleines Team (das ihr der DSV gewährte), im vergangenen Winter war Rebensburg dann schwer verärgert, als die Sportdirektion von ihr mehr Trainingseifer forderte. Zu letzterer Sache möchten beide Seiten nichts mehr sagen, aber so viel sagt Wolfgang Maier dann schon: "Vicky ist schon eine sehr eigene Sportlerin, aber ich habe das immer wertgeschätzt, bei allen Auseinandersetzungen. Ich mag solche Athleten", letztlich sei es ja so: "Nur starke Charaktere setzen sich am Ende durch."

Nicht immer führte das Rebensburg zum Ziel, vor allem im Herbst ihrer Karriere. Die medaillenlose WM 2017 bereitete ihr "schlaflose Nächte", ihre dritte Olympiamedaille verpasste sie 2018 als Vierte, obwohl sie damals die beste Riesenslalomfahrerin des Winters war. Aber ein paar Bringer waren schon noch dabei, zuletzt die Silbermedaille im WM-Riesenslalom 2019, mit der nicht viele im Team gerechnet hatten, so erratisch hatte sie beim Einfahren gewirkt. "Sie ist halt eine 100-Prozent-Frau", hatte Jürgen Graller, der österreichische Cheftrainer der DSV-Frauen, zuletzt gesagt; mit 80 Prozent Schaffenskraft durchmogeln, das gebe es bei ihr nicht.

Goldener Nachmittag in Kanada: Der Höhepunkt ihrer Karriere kam früh und unerwartet - als 20-Jährige wurde Viktoria Rebensburg in Vancouver Olympiasiegerin im Riesenslalom. (Foto: imago)

In diesem Licht wirkt das plötzliche Karriereende schon stimmiger. Im Gesamtweltcup, ihrem letzten großen Sehnsuchtsziel, war zwar kein Vorbeikommen an der überragenden Amerikanerin Mikaela Shiffrin, Rebensburgs Gesamtwerk kann sich aber auch so allemal sehen lassen. So richtig wird man das erst im kommenden Winter spüren: Sie haben im DSV zuletzt zwar einige Junge Richtung Weltklasse geführt, aber die kämpften zuletzt mit zarten Rückschlägen (Kira Weidle) oder Kreuzbandrissen (Marlene Schmotz). Das Schutzschild, das Rebensburg die vergangenen Jahre geboten hatte, sagt Sportdirektor Maier, sei jetzt jedenfalls weg. Zumal in Felix Neureuther und Fritz Dopfer zuletzt weitere Führungskräfte zurückgetreten waren.

Rebensburg wollte dem allen am Dienstag auf Nachfrage nichts hinzufügen, aber sie hatte zuletzt ja ohnehin schon viele Antworten gegeben. Das Wichtigste, hatte sie vor der WM 2019 gesagt, seien für sie nicht die letzten fünf Prozent, die man beim Tüfteln an der Skibindung herauspresse. Sondern: "Dass man es genießt, jeden Tag da raus zu gehen, den Sonnenaufgang am Berg zu sehen. Dass man den Flow im Training bewahrt, auch wenn es hart ist. Dass man Spaß am Fahren hat. Das ist es, was für mich am Ende das Ganze ausmacht." Und wohl auch: dass man rechtzeitig den Absprung schafft. Das kann manchmal ja mehr wert sein als jeder Riesenslalomsieg.

© SZ vom 02.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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