Rebellengruppe im Radsport:Armstrongs Intimfeind steht bereit

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Greg LeMond 1990, nach seinem dritten Tour-Sieg. (Foto: Getty Images)

"Jetzt ist es Zeit, um etwas zu ändern": Die Kritikergruppe "Change Cycling Now" will die Führung des Weltverbands UCI stürzen und den Radsport neu regulieren. Namhafte Vertreter der Branche sind darunter, an der Spitze steht der frühere Tour-de-France-Gewinner und Armstrong-Gegner Greg LeMond.

Von Thomas Kistner

Aus Sicht des Rad-Weltverbandes UCI durfte man die Lage bis zum Wochenende als entspannt bezeichnen. Gewiss, Lance Armstrong ist die sieben Tour-Titel los, aber alles Systemrelevante in dieser Affäre - organisiertes Doping, das wirtschaftliche Umfeld und die politischen Hintermänner, die zur Absicherung des gigantischen Langzeitbetruges beitrugen - wurde in einer Lösung verborgen, die dem Publikum als "schwarze Ära" angedreht wird. Sie soll den Eindruck schüren, der böse Lance und seine Leute seien von 1999 bis 2005 eine Einzelerscheinung in einem eigentlich sauberen Sport gewesen. Und seither sei alles in Ordnung.

Der Schwarze-Ära-Trick ist eine klassische sportpolitische Vertuschungs-Strategie: Augen zu und durch, bloß nicht in diesem Minenfeld herumstochern, das der 1000-seitige Report der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada offengelegt hat. Diese Strategie zu zerstören, hat sich jetzt aber eine neue Allianz aufs Banner geschrieben, die am Sonntag und Montag in London ihren Gründungskonvent abhielt. Change Cycling Now heißt die Interessensgruppe mit namhaften Branchenvertretern.

Sie zielt auf eine Neu-Regulierung des weitflächig pharmaverseuchten Radsports und erhebt drei Kernforderungen: Dopingtests unabhängig von der UCI, eine Wahrheits- und Versöhnungskommission für geständige Doper - und der Rücktritt von UCI-Boss Pat McQuaid und Vorgänger Hein Verbruggen. Unter den Rebellen in London erklärte sich auch einer bereit, das Amt McQuaids zu übernehmen. "Ich wurde gefragt und habe akzeptiert", sagte der dreimalige Tour-Sieger LeMond. Er ist der prominenteste unter den neuen UCI-Kritikern. "Jetzt ist die Zeit, um nach dem Erdbeben um Armstrong etwas zu ändern", fand er. Sich selbst sieht er als Übergangspräsident; Dauerlösung sollte aus seiner Sicht Richard Pound sein, vormals Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada.

Change Cycling meint es ernst. Zehn Stunden tagte die Gruppe am Sonntag, initiiert von Jaimie Fuller, dem Chef des Radsponsors Skins, der seinerseits die UCI auf zwei Millionen Dollar Schadenersatz verklagt. Zu den Aktivisten zählen die Ex-Profis Jörg Jaksche, Eric Boyer, Paul Kimmage, Armstrongs langjähriger Rennstallgefährte Jonathan Vaughters, heute Chef der Teambetreibervereinigung AIGCP, sowie Gianni Bugno, zweimaliger Straßen-Weltmeister und seit 2009 Präsident der Radprofivereinigung CPA. Unter den Wissenschaftlern sind Blutdoping-Pionier Michael Ashenden (Australien) und John Hoberman von der Universität Austin. In London besuchte auch Wada-Generaldirektor David Howman die Kritiker-Gruppe.

Alle Forderungen der Change-Gruppe rühren an die Grundfesten der UCI-Führung. Unabhängige Tests bei der Tour gab es zuletzt 2008; damals spürten die Pariser Laborfahnder ein neues Blutdopingmittel auf, Cera, das unter Spitzenfahrern verbreitet war und die Rundfahrt einmal mehr an den Rand eines Abbruchs führte. 2009, bei Armstrongs Comeback, fiel unter dessen Freund und Gastgeber im Élysée-Palast, Staatschef Nicolas Sarkozy, die Testhoheit an die UCI zurück. Und das Pariser Labor erlitt empfindliche Etat-Kürzungen.

Dopingfälle bei der Frankreich-Rundfahrt
:Die Tour-Täter

Nun also Lance Armstrong: Betrug bei Tour de France gibt es schon seit vielen Jahren. Nur wenige Sieger seit 1960 blieben im Endeffekt sauber. Viele wurden des Dopings überführt, nachträglich gesperrt - oder stark verdächtigt. Ein Überblick der bekanntesten und zwielichtigsten Gewinner.

Verheerend aus UCI-Sicht dürfte auch eine Wahrheits-Kommission unter Regie der Wada sein, bei der Profis straffrei auspacken: Finge einer an, wäre ein Dominoeffekt abzusehen. Auch hier ist der UCI-Standpunkt klar: McQuaid beschimpfte erst kürzlich die Kronzeugen in der Armstrong-Affäre als "Drecksäcke". Das größte Übel aber für ihn und seinen Wegbereiter Verbruggen dürfte der Ruf nach ihrer Demission sein. In London wurde neben einer neuen Führung überdies die Aufdeckung von Bank- und Geschäftsverbindungen der beiden UCI-Granden diskutiert, die den Weltverband seit 22 Jahren im Griff haben und sich immer wieder unangenehmer Fragen über mögliche wirtschaftliche Vernetzungen erwehren mussten.

Betrug bei der Tour de France 1999 bis 2005
:Armstrongs gedopte Rivalen

Der Betrüger ist überführt: Lance Armstrong muss auf seine sieben Titel bei der Tour de France von 1999 bis 2005 verzichten. Zu einer Neuverteilung der Erfolge kommt es nicht - wohl aus gutem Grund: Schließlich ist keiner der einstigen Armstrong-Rivalen sauber geblieben. Ein Überblick über die Radprofis auf dem Tour-Podium an der Seite des Amerikaners - und deren Doping-Vergangenheit.

Während sich die Konferenzteilnehmer einig darin waren, dass die UCI in einem Sumpf der Korruption stecke, lieferten aktuelle Meldungen aus der Radsport-Branche die passende Begleitmusik. Italiens Behörden halten den nationalen Radsport für komplett dopingverseucht. Schwerpunkt-Staatsanwalt Benedetto Roberti aus Padua sagte im Fachblatt TuttoBici: "Man müsste das ganze System sofort stoppen." Roberti ermittelt unter anderem gegen Armstrongs Dopingarzt Michele Ferrari.

Derweil wurde in Spanien José Luis Lopez Cerrón zum neuen Radverbandschef gekürt. Der Geschäftsmann lieferte bei der Tour 2010 angeblich mit dem Wirkstoff Clenbuterol verseuchtes Rindfleisch an Alberto Contadors Team Astana. Contador verlor den Titel und wurde gesperrt; niemand glaubte seine Version, er habe den Dopingstoff über ein verunreinigtes Steak aufgenommen. Das soll ihm ausgerechnet der Mann besorgt haben, der jetzt spanischer Verbandsboss wird: Werden da alte Netzwerke sichtbar? Willkommen in der Radsport-Familie.

© SZ vom 04.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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