Süddeutsche Zeitung

Real-Trainer José Mourinho:"Mourinho hinterlässt keine Spuren"

Fußball-Experte Michael Robinson über das Duell der Spitzenklubs Real und FC Barcelona, Madrids demagogischen Coach und den deutschen Nationalspieler Mesut Özil.

Javier Cáceres

Michael Robinson, 52, ist Ire - und doch eine prägende Figur der spanischen Fußballwelt. Der ehemalige Nationalstürmer, der unter anderem mit dem FC Liverpool den Europapokal der Landesmeister gewann, beendete seine Karriere Mitte der achtziger Jahre bei CA Osasuna in Pamplona. Danach wurde er in Spanien zum führenden TV-Experten. Zurzeit arbeitet er als Kommentator für den Pay-TV-Sender Canal+.

SZ: Herr Robinson, Real Madrid und der FC Barcelona spielen derzeit häufig gegeneinander: In der Liga, zweimal in der Champions League, im Pokalfinale. In dem geht es am Mittwochabend um den ersten Titel. Ist das für Real-Trainer José Mourinho die wichtigste der vier Partien?

Robinson: Die Champions-League steht natürlich über dem Königs-Pokal, aber 180 Minuten Halbfinale sind, glaube ich, eine zu lange Brücke, als dass Madrid sie bewältigen kann. Ich habe keinen Zweifel, dass José dem Pokal eine große Bedeutung beimisst. Und er wird noch wichtiger werden, wenn er ihn gewinnen sollte. Der König wird seinen Pokal nicht wiedererkennen.

SZ: In der Liga gab es am Samstag ein 1:1 zwischen den beiden Klubs, und noch immer kreisen die Debatten um die Defensivtaktik von Real. Waren Sie auch so verblüfft?

Robinson: Und wie! Ich bin jetzt seit 25 Jahren in Spanien, und ich hatte das Gefühl, etwas Historischem beizuwohnen. Aber nicht nur, weil Real gewissermaßen eingestand, mit diesem Barça nicht mithalten zu können. Sondern weil die Fans, obwohl Real die Meisterschaft quasi verspielte, auch noch feierten!

SZ: Wie erklären Sie sich das?

Robinson: José Mourinho ist ein Schlangenbeschwörer. Ach was: Ein Dschungel-Beschwörer! Das muss man erst mal schaffen: Eine Mannschaft, die mit Weltmeistern und grandiosen Spielern gespickt ist, davon zu überzeugen, sich zu Duckmäusern zu machen.

SZ: Wie ist das gekommen?

Robinson: Indem Mourinho Angst schürt. Er lässt jeden glauben, alle Welt sei gegen ihn, gegen sein Team. Darin ist er brillant. Nach der 0:5-Niederlage in der Hinrunde beim FC Barcelona im November hat er systematisch die Botschaft ausgegeben, alles habe sich gegen Real verschworen: Cristiano Ronaldo werde mehr gefoult als Messi, Schiedsrichter und Gegner würden dem FC Barcelona Vorteile verschaffen, der Spielplan sei gegen Real Madrids Interessen. Sogar Jorge Valdano, der Generaldirektor, wurde attackiert, weil er nicht die Spieler engagierte, die Mourinho wollte. Das Resultat ist, dass sich alle in einem Schützengraben wähnen.

SZ: Johan Cruyff sagt: Mourinho sei kein Fußball-, sondern ein Titeltrainer. Teilen Sie diese Einschätzung?

Robinson: José ist ein Sniper, ein Scharfschütze. Er kriegt einen Umschlag mit einem Auftrag, erledigt seinen Job und geht. Ohne Spuren, ohne ein Erbe zu hinterlassen. Wann immer er gehen sollte, wird Real Madrid wieder bei Null beginnen müssen. Auch am Samstag ging es ihm um sich - nicht um den Klub. Es war, als sagte er: "So lange ich hier Wache schiebe, passiert uns ein 0:5 nicht noch einmal." Mich umschleichen zwei Zweifel: Erstens, ob er der richtige Mann für Real Madrid ist. Weil er eher ein Trainer für Klubs ist, die Minderwertigkeitskomplexe haben, die sich sagen: "Wir wollen etwas gewinnen, wir rufen Super-M!" Aber Real Madrid hat so viel vorzuweisen.

SZ: Und zweitens?

Robinson: Ob der ganze Radau, den er veranstaltet, nicht überflüssig ist. Ob etwa der FC Chelsea ohne die konstanten Kriege, die José angezettelt hat, auch etwas gewonnen hätte.

SZ: Ist er zu demagogisch?

Robinson: Für ihn sind all diese Spielchen ein Mittel, um eine Drohkulisse aufzubauen: für den Schiedsrichter, den spanischen Verband, die europäische Fußball-Union Uefa. In einem Interview sagte er mir einmal: Für mich beginnt das Spiel nicht mit dem Anpfiff, sondern mit der Pressekonferenz.

SZ: Hat er als Trainer fußballerisch für etwas Neues gesorgt?

Robinson: Etwas Besonderes sehe ich nicht. Da und dort erkennt man ein paar Details, die Anordnung der Spieler bei Eckstößen des Gegners, solche Dinge. Er hat aber, und das ist in der Tat eine große Tugend, die Eigenschaften eines Chamäleons. Ein so defensives Spiel wie am Samstag etwa hat er nie aufgezogen - außer im vergangenen Jahr mit Inter Mailand beim FC Barcelona im Champions-League-Halbfinale, aber damals spielte sein Team in Unterzahl.

SZ: Das Duell Real gegen Barcelona wird vom Duell Lionel Messi und Cristiano Ronaldo geprägt, den zurzeit wohl besten Fußballern der Welt. Wen bevorzugen Sie?

Robinson: Messi. Manchmal sehe ich Ronaldo und denke: Was für eine Verschwendung. Ich habe nie ein solch brillantes Phantom eines Fußballers gesehen. Es hat nie einen Spieler gegeben, der so beschenkt worden ist. Wenn jemand ein Modell für den Spieler der Zukunft sucht, hat er es in Ronaldo gefunden.

SZ: Aber?

Robinson: Ich bin mir nicht sicher, ob er versteht, wie man Fußball spielt. Manchmal habe ich das Gefühl, ein Talent ohne Sinn zu sehen, das mich gleichzeitig blendet und enttäuscht. Ihm passiert das, was vielen talentierten Spielern passiert. Er hat nie die Motorhaube dieses Sports aufgemacht, um zu schauen, wie es funktioniert. Deshalb spielt er auch in einem permanenten Interessenkonflikt - zwischen seinen Interessen und denen der Mannschaft.

SZ: Und deshalb ist ihm Messi voraus?

Robinson: Um Meilen. Selbst wenn Messi am Ball ungeschickter wäre, er wäre immer noch ein brillanter Fußballer. Das Besondere am Fußball ist ja, dass der Körper genau dann streikt, wenn du das Spiel endlich begriffen hast. Als meine Karriere zu Ende ging, hatte ich das Gefühl, als hätte ich endlich ein Buch verstanden, das ich mein Leben lang gelesen hatte. Wenn ich Messi sehe, denke ich manchmal, dass das Hirn eines 35-jährigen Ex-Spielers in seinen Kopf gewandert ist. Er trifft immer die richtigen Entscheidungen.

SZ: Kann Madrids deutscher Spielmacher Mesut Özil ähnlich gut werden?

Robinson: Vielleicht begehe ich einen Fehler, wenn ich das sage; ich will ihm keinen Druck aufbürden und ihn auch nicht vergleichen: Aber die subtile Kreativität, die er verkörpert, habe ich im Bernabéu-Stadion seit Zidane nicht mehr gesehen.

SZ: Verblüfft Sie seine Souveränität?

Robinson: Ein wenig, ja. Ich unterscheide Fußballer in solche, die sich ihrer Rolle bewusst sind, und solche, die sich dessen völlig unbewusst sind. Wenn ich mir bewusst gewesen wäre, was der Fußball gesellschaftlich bedeutet - ich hätte mir die Schuhe nicht zubinden können. Als ich nach Spanien kam, schlug ich deshalb ein, weil ich nichts verstand. Die Leute grüßten mich, kniffen meinem Sohn in die Wange - muss ja gut laufen, dachte ich. Ich kenne Mesut nicht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich darüber im Klaren ist, was mit ihm passiert, dass er weiß, was auf dem Spiel steht. Das Bernabéu-Stadion ist eine der schwierigsten Bühnen der Welt. Er ist mit den Fans auf Flitterwochen. Er hat mittlerweile ein solch' großes Guthaben auf dem Konto, dass ihm bei Real Madrid viel verziehen werden wird.

SZ: Wie gefällt Ihnen der zweite deutsche Nationalspieler Reals, Sami Khedira?

Robinson: Er hat mir bei der WM besser gefallen. Er war da ein freierer Geist, hatte mehr Drang zum Tor, war ein Box-to-box-Spieler, wie man in England sagt. Es gibt Register, die er hier noch nicht hat ziehen können. Wegen Mourinho.

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Quelle:
SZ vom 20.04.2011/tabs
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