Es gab Zeiten in der langen Karriere des Iker Casillas, da zweifelte in Spanien niemand ernsthaft an seiner Heiligkeit. "San Iker" nannten sie ihn, oder einfach nur "El Santo". Wonach er mit seinen Händen griff, nach Bällen vorab, das blieb meist ebendort: in seinen mit dicken Handschuhen bewehrten, relativ kleinen und flinken Händen.
Selbst wenn diese Bälle hart getreten waren, aus nächster Nähe, nicht selten aus elf Metern. Der Torhüter von Real Madrid und der spanischen Nationalmannschaft, Sohn aus einfachen Verhältnissen im Madrider Arbeiterviertel Móstoles, pflanzte in die Herzen der Fans die Zuversicht, dass er Mittel und Wege finden würde. Nicht immer zwar, aber schon sehr, sehr oft. Diese schnellen Reflexe - wohnte ihnen nicht etwas schier Übersinnliches inne?
Nun ist "San Iker" nur noch ein Teilzeitheiliger, eine angekratzte Ikone, ein halbwegs demoliertes Monument. Mit 32. Das ist ja kein Alter für einen Torhüter. In der spanischen Liga, dem Hauptschauplatz seines Vereins, steht Casillas seit mehr als einem Jahr nicht mehr im Tor. Verdrängt hat ihn von dieser Position ein 1,96 Meter großer Galicier, von dem es gemeinhin heißt, er sei "normal gut": Diego López.
Casillas sitzt dann jeweils unter dem Dach der Ersatzbank, mit Vorliebe in der hinteren Reihe, dass Schatten seine Miene verdecken. Seine einzigen Bühnen sind der spanische Pokal, die Copa del Rey, und die europäische Königsklasse, die Champions League. Natürlich ist das nicht schlecht, zumal Real den Cup erst kürzlich gewann und nun auch wieder zum besten Quartett des Kontinents gehört.
Früh war Casillas eine Legende. Dann kam Mourinho
Doch ein Torhüter teilt nun mal seinen Stammplatz nicht gerne, es kommt auch selten vor. Die "Nummer 1" hat auf dieser Position nicht nur eine numerische Bedeutung. Und so wird Iker Casillas an diesem Dienstagabend in der Münchner Arena beim Rückspiel gegen den FC Bayern auch wieder allen beweisen wollen, dass seine Teildemontage ein schrecklicher Fehler ist.
Im Hinspiel in Madrid gelang ihm kurz vor Schluss, als Mario Götze wie aus dem Nichts den Ausgleich auf dem Fuß hatte, frei und mitten im Strafraum, eine dieser Paraden aus seinem gefeierten Repertoire. Götze hätte dem Ball mehr Winkel geben können, dann wäre Casillas wohl chancenlos gewesen. Wichtig aber ist der Reflex im entscheidenden Moment.
Wahrscheinlich rettete Casillas seinem Verein also die Aussicht auf "La Décima", die obsessiv angepeilte zehnte Trophäe in diesem Wettbewerb für Real Madrid. Es wäre Casillas' dritter Erfolg in der Champions League. Er ist auch schon zweimaliger Europameister, Weltmeister, mehrmaliger Welttorhüter. Und immer noch jung. Iker Casillas kam schon mit neun Jahren zu Real, ließ sich in dessen Nachwuchsakademie ausbilden, durchlief alle Kategorien mit Bravour und unüblicher Ernsthaftigkeit.
Mit 19 war er schon Stammtorhüter des Vereins. Für seine Rolle war er zwar vergleichsweise klein, 1,85 Meter nur. Bei hohen Bällen ragt sein Kopf nicht so mächtig aus dem Pulk hochspringender Spieler, wie das bei anderen Keepern der Fall ist. Casillas kompensierte das immer mit seiner unerhörten Reaktionsschnelligkeit auf der Linie, mit seiner Stärke bei eins-zu-eins-Duellen gegen anstürmende Gegner auch.