Real Madrids Pleite gegen Atlético:Vermöbelt vom ärmeren Bruder

Club Atletico de Madrid v Real Madrid CF - La Liga

Nach vielen Strapazen derzeit nicht in bester Verfassung: Cristiano Ronaldo und Toni Kroos.

(Foto: Getty Images)

"Physisch und mental müde": Nach dem monumentalen 0:4 bei Stadtrivale Atlético herrscht bei Real Madrid Alarmstimmung wegen der Formkrise der Mannschaft. Cristiano Ronaldo feiert trotzdem sangesfreudig seinen 30. Geburtstag.

Von Oliver Meiler

Eine Geburtstagsparty mit 150 geladenen Gästen lässt sich nun mal nicht in letzter Minute absagen. Selbst dann nicht, wenn einem der Sinn danach stünde. Und so ging in der Nacht nach der "historischen Erniedrigung" und der "kolossalen Tracht Prügel", wie die spanischen Zeitungen mit ihrem Hang zum Ikonoklastischen titeln, im Madrider Lokal In Zalacaín die Feier für Cristiano Ronaldos 30. Geburtstag dann eben doch über die Bühne - im buchstäblichen Sinne.

Es gibt Videomitschnitte davon, wie der Gefeierte, mit Hut, auf der Bühne steht und in ein mit Glitzersteinen bestücktes Mikrofon singt, das er wohl besser ganz dem kolumbianischen Popstar Kevin Roldán, dem Gaststar des Abends, überlassen hätte. Nur ein dünnes Stimmchen kam dabei heraus, ein gesanglicher Hauch. Es war eine hübsche, wenn auch gänzlich ungewollte Erinnerung an die Leistung des Weltfußballers in dessen angestammtem Fachbereich, Stunden davor, bei der Entgleisung auf dem Rasen des Stadions Vicente Calderón.

Von den sechs Derbys dieser Saison hat Atlético vier gewonnen und keines verloren

Ronaldos dünnes, höchstens gehauchtes und merkwürdig seelenloses Real Madrid unterlag den Stadtrivalen von Atlético de Madrid am Samstag tatsächlich geschichtsträchtig 0:4. Atlético war so diskussionslos besser, in allem, selbst im Genre des spielerischen Spektakels, dass sich die Herren Königlichen ihrem Schicksal schier das ganze Spiel lang mit hängenden Köpfen ergaben. Reaktionslos, ohne stolze Zuckung.

"Atleti" gewann jedes Duell, in der Luft und am Boden, kombinierte sich zuweilen mit schnellem und kunstreichem Direktspiel durch Reals Reihen, was sonst nicht die Art des Hauses ist, störte aufsässig zwischen den Linien, schloss alle Räume. Die Gäste schossen nur ein einziges Mal gefährlich aufs Tor - in der 81. Minute. Mehr ließen die Gastgeber nicht zu. Und wenn nur ein Spieler besonders erwähnt werden müsste, stellvertretend für den Kampfgeist und die Effizienz aller, dann wäre das Mario Mandzukic.

Der Kroate legte zwei Tore auf, erzielte eines selber mit einem Hechtkopfball, war überall, versteckte in potenziell heiklen Situationen den Ball immer mal wieder hinter seiner langen Gestalt, bedrängte Reals Mittelfeldspieler mit Dauerpressing, war dann plötzlich wieder ganz vorne zu sehen, wo er mit dem schnellen und technisch brillanten Franzosen Antoine Griezmann und dem nicht minder talentierten Türken Arda Turan harmonierte, dass es die Ränge zu Wellen animierte.

Sein Vorgänger Diego Costa? Vergessen, ersetzt. Vergessen hat Mandzukic wohl auch die letzte, bittere Zeit beim FC Bayern mit Pep Guardiola, der mit dieser schieren Wucht des klassischen Mittelstürmers wenig anfangen konnte. In Diego Simeone hat Mandzukic nun einen Trainer, der ihn sich genauso wuchtig und bissig wünscht, nach vorne und nach hinten.

"El Cholo", wie sie den argentinischen Coach nennen, wandelt sich endgültig zum Volksheiligen der Colchoneros, der Matratzenmacher vom Manzanares. Er passt da mit seiner Art einfach hin, spiegelt und bedient die Vereinsseele mit seinem Narrativ des aufopfernden Arbeiterfußballs, der Antithese zu den Schönspielern aus dem Norden der Stadt.

Von den sechs Madrider Derbys der laufenden Saison, alle Wettbewerbe gerechnet, hat Atlético vier gewonnen und zwei unentschieden gespielt. Nie zuvor in der anekdotisch üppig befrachteten Geschichte dieser Rivalität, die ja im letzten Jahr auch der Champions League eine schöne Finalgeschichte bescherte, waren die ärmeren Brüder aus dem Süden Madrids besser. Und zwar nachhaltig. Die "Goleada" am Samstagabend war nur die markanteste Illustration davon.

Ancelotti hadert mit allen

Nun hätte Real Madrid natürlich viel Grund, sich in einem Lamento über sein eigenes Verletzungspech zu ergehen. Fünf Stammspieler gingen im Derby ab, unter anderem drei Viertel der Abwehr, inklusive deren Leader Sergio Ramos. Außerdem fehlte James Rodríguez, einer der Offensivgestalter: Der 80-Millionen-Euro-Mann aus Kolumbien brach sich vergangene Woche den rechten Mittelfuß.

Doch Reals Trainer Carlo Ancelotti mochte sich nicht beklagen, das Pech entschuldigt nicht alle Unzulänglichkeiten. Immerhin spielte der Galasturm: Bale, Benzema, Cristiano - Reals BBC. Alle lau und flau. Ancelotti sagte nach dem Spiel: "Wir haben alles falsch gemacht. Alles, einfach alles. Es gab kein Spiel. Nicht ein einziger unserer Spieler war gut. Einfach keiner. Als Trainer nehme ich die Verantwortung auf mich."

Nun muss man sich bei solch einer virulenten Selbstkritik ja immer fragen, ob sie vor allem dazu dienen soll, die Außenkritik mit zerknirschter Einsicht präventiv zu entkräften. Gerade in Madrid kann die Woche nach einer Monumentalniederlage nämlich sehr unangenehm sein. Die Medien verhandeln dann nicht das Spiel allein, sondern die Fundamente insgesamt.

"Carletto" wird der Kritik nicht entkommen. Marca zum Beispiel schreibt: "Dieses Spiel war ein typisches Trainerspiel." Ancelotti hatte angesichts der Personalprobleme die Gelegenheit, die Not für einen originellen Wurf zu nutzen, das Spiel umzustellen, etwa mit dem Zugang Lucas Silva, einem Brasilianer.

Man hätte ihm die Courage nicht übel genommen, gerade im Mittelfeld. Stattdessen setzte er auf Sami Khedira, der zuletzt von vielen Blessuren geplagt wurde und Madrid mental schon verlassen hat. Der Deutsche spielte mehr mit den Armen und den Ellbogen als mit den Beinen und Füßen. In der Pause musste er raus, erneut mit muskulären Problemen.

Unter Niveau agierte auch Toni Kroos, den sie in Spanien den rentabelsten Transfer des vergangenen Sommers nennen: das beste Preis-Leistungs-Verhältnis. Kein neuer Spieler der Liga hat mehr Spielminuten absolviert als der frühere Münchner. Man merkt es. Real, Gegner von Schalke 04 im Achtelfinale der Champions League, wirkt müde, in allen Abteilungen.

Bevor Ronaldo zu seiner Party fuhr, redete er noch mit der Presse. Auch er gab sich verdächtig zerknirscht: "Wir sind physisch und mental müde", sagte er, "Real Madrid darf nicht 4:0 verlieren, gegen keine Mannschaft der Welt." In Spanien ist nun plötzlich wieder alles offen, eine Meisterschaft mit drei Anwärtern bei erfreulich erfrischender Ebenbürtigkeit.

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