Real Madrid nach der Niederlage:Ausflug in den Jurassic Park

Mesut Özil bekommt einen fingierten Anruf von Bundestrainer Löw, Diebe klauen Trikots und Schuhe aus der Kabine, Trainer José Mourinho muss mit der Presse reden - und dann verliert Real Madrid das neunte von zehn Gastspielen in München. Dennoch wollen die Spanier noch einmal in diese unheimliche Stadt zurückkehren.

Thomas Hummel

So schnell wird selbst der Weltklub aus Madrid diesen Ausflug nach München nicht vergessen. Das liegt nur bedingt daran, dass man ein Champions-League-Halbfinale normalerweise länger in Erinnerung behält. Real Madrid und seine Abgesandten erlebten in den Tagen von München so viele seltsame, unheimliche Dinge, dass es ihnen wie eine Fahrt in den Jurassic Park vorgekommen sein muss.

Es begann am Tag vor dem Spiel, als Trainer José Mourinho nach zwei Wochen Medienboykott bei der offiziellen Pressekonferenz auf dem Podium saß. Aber ausdrücklich unter Zwang: "Wenn ich nicht müsste, würde ich nichts sagen. Aber bei der Uefa muss ich", sagte der 49-Jährige. Würden Blicke weh tun, die Journalisten im Saal hätten danach allesamt ins Krankenhaus fahren müssen.

Etwa zur gleichen Zeit erhielt Mesut Özil auf seinem Hotelzimmer einen Anruf von Bundestrainer Joachim Löw. "Hallo Herr Löw, äh, hallo Trainer", meldete sich der überraschte Nationalspieler von Real Madrid. Löw fragte Özil, ob er denn schon aufgeregt sei vor dem großen Spiel ("Hm, geht schon.") und bat den Mittelfeldspieler, sich doch im Hinblick auf die Europameisterschaft ein bisschen zu schonen.

"Ned zu viel, ned zu stark, ned übertreiben, die Bayern wollen natürlich auch ins Finale", erklärte der Bundestrainer. Der nette Mesut Özil sagte nur noch "hm, hm", bis nach gut einer Minute der Reporter und Stimmenimitator von Antenne Bayern sich offenbarte.

In der Münchner Arena angekommen, stellten die Spanier bald fest, dass sie beklaut worden waren. Ein paar Trikots waren aus der Kabine verschwunden, dazu einige Schuhe, darunter drei Paar von Cristiano Ronaldo. "Das ist eine Schande. So etwas würde im Stadion Bernabéu nie passieren", schimpfte Mourinho. Woraus man immerhin lernen kann, dass Cristiano Ronaldo für jede Partie drei paar Schuhe benötigt, und "für alle Fälle" ein Ersatzpaar im Rucksack dabei hat, wie der klubeigene Fernsehsender realmadrid.tv berichtete.

Tja, und dann folgte noch das Fußballspiel. Und auch das lief überhaupt nicht so, wie es die Weltauswahl aus Madrid gewohnt ist. Real war zuvor in 20 Pflichtspielen ungeschlagen geblieben, hatte in der Champions League in dieser Spielzeit noch gar nicht verloren. Überhaupt konnten in dieser Saison zuvor nur das Überraschungsteam UD Levante und zweimal der FC Barcelona diese Mannschaft besiegen. Und nun der FC Bayern.

Das Tor in letzter Minute von Mario Gomez zum 2:1 für die Münchner lässt in Madrid unangenehme Erinnerungen aufkommen. Der FC Bayern trägt in Madrid den Beinamen "La bestia negra" - die schwarze Bestie, und die hat nun wieder zugebissen. "Es gibt Dinge, die ändern sich nicht und die Deutschen bleiben die Deutschen. Die Bayern hören nicht auf, der ewige Alptraum von Real Madrid zu sein", schreibt das Sportblatt Marca. Zum zehnten Mal reiste eine Mannschaft von Real Madrid nach München, zum neunten Mal flog sie mit einer Niederlage nach Hause. So eine miese Bilanz hat nicht einmal der FSV Mainz 05.

Mourinho ohne Verschwörungstheorien

Trainer Mourinho musste sich auch nach dem Spiel der Öffentlichkeit stellen. Er setzte dabei das missmutigste all seiner Gesichter auf. Dabei hatte er eine wichtige Botschaft zu verkünden: Alles nicht so schlimm, alles normal, nur keine Aufregung. "Es ist Halbfinale. Wir haben in München gespielt. Es ist keine Schande, hier zu verlieren", sagte er.

Bayern Muenchen v Real Madrid - UEFA Champions League Semi Final

Erst unauffällig, dann enttäuscht: Cristiano Ronaldo erlebte einen schlechten Abend in der unheimlichen Stadt München.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Nicht einmal gegen den Schiedsrichter zeterte er, obwohl das Team von Howard Webb aus England das Abseits von Luiz Gustavo beim 1:0 der Münchner durch Franck Ribéry übersehen hatte. Vielleicht hielt sich Mourinho auch deshalb zurück, weil sonst die Debatten begonnen hätten, ob nicht seine Spieler Marcelo und Sergio Ramos nach heftigen Fouls eine rote Karte verdient gehabt hätten.

Der Verschwörungstheoretiker Mourinho wischte alle Nebenschauplätze beiseite, wollte nur ja keine schlechte Stimmung aufkommen lassen nach dem bitteren Last-Minute-Gegentor und beteuerte: "Es bleiben keine negativen Gefühle." Um im Rückspiel am kommenden Mittwoch das Ergebnis noch zu drehen, müsse sein Team keine historische Leistung vollbringen, "sondern nur eine gute".

In jedem Fall müsste die Leistung besser sein als in München. Real Madrid gilt ja ob seiner 107 Tore in der Primera Division als historische Tormaschine - dank Spielern wie Cristiano Ronaldo, Mesut Özil, Karim Benzema und Ángel di María, Gonzalo Higuaín kam dann noch von der Bank. Doch in München kam diese edle Offensive genau zweimal zur Geltung: Nach sieben Minuten spielte Özil einen wunderbaren Pass auf Benzema, der Franzose scheiterte an Torwart Manuel Neuer.

Und als nach 53 Minuten Bastian Schweinsteiger am gegnerischen Strafraum den Ball verlor, überfiel Madrid mit einem Konter den Gegner im Tempo einer Mittelstreckenrakete, die Münchner verloren vollkommen die Orientierung und am Ende musste Özil den Ball nur noch zum 1:1 über die Linie lenken.

Sonst war von Madrid praktisch nichts zu sehen. Von Cristiano Ronaldo schon gar nichts. Dennoch verweigerten sich die vier Offensiven weitgehend der Abwehrarbeit, was im Zeitalter des gruppendynamischen Spiels kaum mehr für möglich gehalten wurde. Hinten mussten deshalb die defensiven Mittelfeldspieler Sami Khedira und Xabi Alonso ackern bis zur Erschöpfung, um all die Räume zuzulaufen, die sich auftaten. Und auf den Außenpositionen wurden Álvaro Arbeloa und Fabio Coentrao zusehends zermürbt vom ewigen Kampf gegen gleich zwei Bayern. Coentrao gilt nun in Madrid als Sündenbock, weil er vor dem 1:2 den Zweikampf gegen Philipp Lahm verlor.

"Der Rhythmus in den 90 Minuten war ziemlich hoch", erklärte Abwehrspieler Sergio Ramos nach dem Spiel. Und der Rhythmus wird nun nicht nachlassen. Am Samstag folgt das für die Meisterschaft vorentscheidende Spiel beim FC Barcelona, am Mittwoch kommen die Bayern zum Rückspiel ins Stadion Santiago Bernabéu.

Mesut Özil will da schlechte Gedanken gar nicht aufkommen lassen. Wie immer betonte er seine Überzeugung, dass sich alles zum Guten wende für sein Real Madrid. Und dann sagte er im Hinblick auf das Champions-League-Finale in der gleichen Arena einen Satz, der in Madrid normalerweise nicht die schönsten Gefühle auslöst: "Wir sehen uns wieder in München."

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