Schiedsrichter-Brandbrief von Real Madrid„Jede Toleranzgrenze für menschliche Fehler überschritten“

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Immer wieder Ärger mit den Schiedsrichtern: Carlo Ancelotti, der Trainer von Real Madrid.
Immer wieder Ärger mit den Schiedsrichtern: Carlo Ancelotti, der Trainer von Real Madrid. (Foto: Jose Breton/NurPhoto/Imago)

Eigentlich steht Real im Ruf, von Referees begünstigt zu werden. Doch nach dem jüngsten Fall in der Liga verfasst der Rekordmeister ein Beschwerdeschreiben – und fordert die „totale Renovierung“ des Schiedsrichterwesens.

Von Javier Cáceres, Berlin

Auch an diesem Mittwoch wird es einen Prozess gegen einen spanischen Fußballverbands-Präsidenten geben. Nach dem Auftakt des Strafverfahrens gegen Luis Rubiales (Verbandschef von 2018 bis 2023) am Montag wegen der sogenannten Kuss-Affäre  – und wenige Wochen vor der Verhandlung einer mutmaßlichen Korruptionsaffäre gegen Ángel María Villar (1988 bis 2018) – nimmt sich Spaniens Oberster Gerichtshof nun der Berufung von Rafael Louzán an. Er amtiert seit Dezember als Boss des spanischen Verbandes RFEF.

Dem früheren „Baron“ der konservativen Volkspartei PP war im Jahre 2022 von einem Gericht wegen Amtspflichtverletzung für sieben Jahre die Fähigkeit aberkannt worden, öffentliche Würden zu bekleiden. Die Augen der spanischen Nation ruhen derzeit aber nicht wegen dieser Geschichte auf Louzán. Sondern weil er mittelbar auch Chef der spanischen Schiedsrichter ist, die gerade mal wieder der „Verkommenheit“, der „Korruption“, „Willkür“ und „Manipulation“ geziehen werden. Ausnahmsweise aber, voilà: von Real Madrid. In einem vierseitigen, offenen Brief des Klubs, der voller Empörung verfasst wurde und Flammen warf wie ein Molotow-Cocktail.

Bemerkenswert war die von einem Real-Vizepräsidenten unterzeichnete und vom Vorstand einstimmig abgesegnete Epistel auch deshalb, weil der Klub seit den Zeiten des Schwarz-Weiß-Kinos im Ruf steht, von Referees regelmäßig begünstigt zu werden. Ob berechtigt oder nicht, ist subjektiven Empfindungen unterworfen; die belastbaren objektiven Fakten sprechen oberflächlich gegen eine systematische Diskriminierung Madrids. Real ist mit 31 nationalen Titeln Rekordmeister – und hat in der laufenden Saison eine beispiellose Elfmeterquote von 10:0. „Die können in Sachen korrupte Systeme nur wenige Lektionen erteilen“, schrieb Ligachef Javier Tebas. Was andererseits nicht heißt, dass der Anlass für den am Montagabend verschickten Brandbrief banal oder nichtig wäre.

Im Gegenteil: Am Sonntag wurde Real im Spiel beim abstiegsgefährdeten Espanyol Barcelona vom Referee tatsächlich benachteiligt. In der 60. Minute sprang Espanyols Carlos Romero dem Real-Angreifer Kylian Mbappé von hinten in die Kniekehle, und obwohl Romero nicht Rot, sondern nur Gelb sah, blieb der Videoschiedsrichter stumm. Mbappé muss vorerst verletzt pausieren, und ausgerechnet Romero schoss danach den 1:0-Siegtreffer – und löste eine weiße Empörungslawine aus. Anonyme Gewaltandrohungen gegen Romero inklusive.

Eskaliert der Streit sogar so weit, dass die spanischen Schiedsrichter streiken werden?

Zwar beeilte sich der Verband, den Referee vorerst „in die Gefriertruhe zu stecken“, wie man in Spanien die niemals öffentlich bestätigten Sperren für Schiedsrichter nennt. Dennoch erklärte Real Madrid, die Geschehnisse aus dem Espanyol-Spiel hätten „jede Toleranzgrenze für menschliche Fehler oder richterliche Interpretationen überschritten“. Mehr noch: Sie seien „der Gipfel eines völlig diskreditierten Schiedsrichtersystems, in dem die Entscheidungen gegen Real Madrid ein Niveau an Manipulation und Wettbewerbsverzerrung erreicht haben, das nicht mehr ignoriert werden kann“. Eine „totale Renovierung“ des Schiedsrichterwesens sei geboten, fordert der Klub, zumal im Hintergrund noch immer jene „Enthüllungen“ waberten, „die mit Transparenz und Unparteilichkeit inkompatible Praktiken offengelegt“ hätten. Dies war eine Anspielung auf die millionenschweren Honorare, die ein früherer Vizepräsident des Schiedsrichterkomitees, José María Enríquez Negreira, von 2001 bis 2018 vom Real-Erzrivalen FC Barcelona erhalten hatte. Womit wir wieder bei Louzán wären.

Grätsche des Anstoßes: Espanyols Carlos Romero rauscht ohne Rücksicht auf Verluste in Kylian Mbappé hinein – der nun verletzt ausfällt.
Grätsche des Anstoßes: Espanyols Carlos Romero rauscht ohne Rücksicht auf Verluste in Kylian Mbappé hinein – der nun verletzt ausfällt. (Foto: Nacho Doce/Reuters)

Denn es ist notorisch, dass Real-Präsident Pérez den aktuellen Verbandschef immer wieder auf die juristisch nicht aufgearbeitete Causa Negreira anspricht. Louzán selbst verriet dies soeben in einem Interview mit einem spanischen Trash-TV-Journalisten aus dem Pérez-Dunstkreis. Dort sagte Louzán auch, dass Pérez ihm „rundweg“ erklärt habe, „sich von den Schiedsrichtern benachteiligt zu fühlen“. Louzán scheint das beeindruckt zu haben: „Ich habe ihm gesagt, dass wir die Uhr auf null stellen sollten.“ Vor allem aber lieferte Louzán ein Indiz, das Reals Hysterie erklären könnte: „Florentino hat mir gesagt, dass er Schiedsrichter aus England holen wolle.“ Hat da etwa jemand Panik vor dem Kontrollverlust – und Lust auf Schiedsrichter-Söldner aus dem Ausland, die man idealerweise selbst rekrutiert?

Spaniens Schiedsrichter wiederum sind von den ganzen Debatten mäßig amüsiert. Seit Monaten werden die meisten von ihnen von Reals Klub-TV geteert und gefedert – wegen echter und angeblicher Fehlleistungen. Medienberichten zufolge weisen die verärgerten Referees derzeit die kleinen Aufmerksamkeiten zurück, die Real den Schiedsrichtern überreicht, einen Beutel mit einem Trikot und Nepp wie Schlüsselanhängern mit dem Real-Wappen. Doch längst macht das Gerücht die Runde, dass der Moment näherrückt, an dem jemand aus dem Kreise der Schiedsrichter zum Streik aufruft.

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