Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Lorenzo Sanz:Der einsame Tod des Königsmachers

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Als Präsident führte Lorenzo Sanz einst Real Madrid um Trainer Jupp Heynckes zurück an die Spitze Europas. Im Alter von 76 Jahren ist er nun an den Folgen einer Coronavirus-Infektion gestorben.

Nachruf von Javier Cáceres

Wenn man Jupp Heynckes, 74, am Sonntag auf den am Vortag verstorbenen Lorenzo Sanz anspricht, der ihn zu Real Madrid holte, senkt sich seine Stimme. Denn sein erster Gedanke gilt weniger dem Präsidenten, der ihn 1997 engagierte und mit dem er 1998 die legendäre "Séptima" gewann - den siebten Königsklassenpokal der Geschichte für den Rekordsieger im wichtigsten Klubwettbewerb der Welt. Sondern Heynckes denkt zuerst an einen Mann und eine Familie, für die er das Wort "nobel" verwendet.

In den Tagen nach dem Sieg damals in Amsterdam, so erzählt es Heynckes, "erkrankte meine Frau, und die Ersten am Krankenbett waren Lorenzo Sanz und seine Frau. Frau Sanz bot an, bei meiner Frau im Krankenzimmer zu übernachten. Das ist etwas, was wir nie vergessen haben und nie vergessen werden".

Vor dem Hintergrund dieser Erinnerung sagt Heynckes, dass es "eine Tragödie ist, dass die Angehörigen sich in Italien und Spanien nicht von ihren Lieben verabschieden können". So erging es nun auch der Familie Sanz, den Söhnen Fernando, der damals Profi bei Real war und heute für die spanische Fußball-Liga LFP arbeitet, und Lorenzo Junior, der Basketballprofi wurde. "Er hatte so ein Ende nicht verdient", schrieb Lorenzo Sanz Jr. bei Twitter, als sein Vater nach Tagen auf der Intensivstation der Corona-Tote Nummer 1422 in Spanien geworden war. Er musste alleine sterben, wie es das Protokoll in diesen zunehmend inhumanen Zeiten verlangt.

Es gab kaum eine größere Erfüllung für Sanz, als 1995 Real-Madrid-Präsident zu werden, als Nachfolger von Ramón Mendoza. "Anders als Mendoza glaube ich nicht, dass ein Präsident dieses Klubs wichtiger wäre als ein Minister der Regierung, aber ich habe einen meiner Träume realisiert, und heute ist einer der glücklichsten Tage meines Lebens", sagte er damals. Sanz galt als "Selfmademan", der es als Sohn eines Mannes, der sich mal als Preisboxer, dann wieder als Schreiner und Wächter im Retiro-Park verdingte, zum Multimillionär brachte. Als er ein Bub war, verkaufte er mit der Mutter am Bernabéu-Stadion Wasserflaschen, und wenn das Trinkgeld reichte, löste er ein Ticket, um dem großen Alfredo Di Stéfano beim Dribbling zuzusehen.

Nach seiner Zeit als Präsident bei Real, die im Jahr 2000 endete, ging er finanziell fast zugrunde. Er kaufte den FC Málaga, wurde 2008 unter Betrugsverdacht festgenommen, zehn Jahre später wegen Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt, das Gefängnis blieb ihm erspart. In jenen Jahren näherte er sich Real Madrid wieder an. Beziehungsweise seinem Nachfolger Florentino Pérez, obwohl er von diesem vermuten musste, dass er viel mit seiner Ablösung als Präsident zu tun gehabt hatte. Sanz geriet ins Wanken, weil eine Zeitung gesteckt bekommen hatte, dass Sanz, ein Freund der Pferderennen und der dicken Zigarren, sich Reals Tageskasse kommen lassen hatte, um mit Atlético-Präsident Jesús Gil am Kartentisch zu zocken. Eine Lüge, sagte Sanz zeitlebens.

Als Real-Präsident erlebte Sanz viele Momente des Glücks und den einen oder anderen Moment der Scham. Unter letzteren war keiner so groß wie der 1. April 1998, als Borussia Dortmund im Bernabéu-Stadion zu Gast war, im Halbfinale der Champions League, und die Geschichte Real Madrids stärker auf der Kippe stand, als man hätte vermuten können. Mitglieder der "Ultras Sur", einer rechtsextrem wirkenden Truppe, hatten den Zaun vor der Stehtribüne erklommen, der wiederum mit dem Tor vertäut war, und sie rüttelten, bis die im Rasen verankerten Pfosten brachen. Das Spiel stand kurz vor dem Abbruch; die Rettung besorgte Agustín Herrerín, unlängst verstorbener Stadiondelegierter bei Real: Er raste ins drei Kilometer entfernte Trainingsgelände des Klubs und ließ einen Lkw-Fahrer so lange gegen die Pforte des Trainingsplatzes fahren, bis sie niedergerissen war. Mit einem Tor auf der Ladefläche eilten sie ins Bernabéu-Stadion. Mit Blaulicht und Polizeieskorte.

Die Heldentat verhindert nicht Heynckes' Aus

Das Spiel begann mit 76-minütiger Verspätung, bis dahin boten Günther Jauch und Marcel Reif bei RTL beste Stand-up-Comedy: "Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gut getan ..." Real Madrid siegte 2:0, holte im Rückspiel ein 0:0 und stand damit im Finale von Amsterdam gegen Juventus Turin. Dort siegte Real durch einen einsamen Treffer von Pedja Mijatovic mit 1:0 - unter dem deutschen Trainer Jupp Heynckes.

"Was wir geschaffen haben, er als verantwortlicher Präsident, ich als verantwortlicher Trainer, ist ein Vermächtnis, das bestehen bleibt", sagte Heynckes am Sonntag. Und fürwahr, es war ein besonderer Triumph: Es war der erste Sieg nach 32 Jahren der Dürre; die Möglichkeit, ein Siegerfoto in Farbe zu machen, als die Schwarzweißfotos der 1950er und 1960er Jahre längst vergilbt waren. Diese Heldentat verhinderte nicht, dass Heynckes nach dem Triumph von Amsterdam gehen musste; er wusste es schon, als in der Kabine noch gefeiert wurde. Narben blieben nicht. "Wir haben persönlich immer ein ausgezeichnetes Verhältnis gehabt", sagte Heynckes - mit der Betonung auf dem Wörtchen "immer".

Zumal Heynckes Teil einer illustren Galerie war. In den fünf Jahren seiner Präsidentschaft verschliss Sanz viele Trainer: Jorge Valdano, Vicente Del Bosque, Arsenio Iglesias, Fabio Capello, Heynckes, José Antonio Camacho, Guus Hiddink, John B. Toshak und wieder Del Bosque, der im Sommer 2000 Reals achte Copa de Europa holte. "Trainer waren immer mein nicht bestandenes Fach", sagte Sanz einmal. Er kompensierte es mit einem klinischen Auge für fußballerisches Talent. 1996 holte er die Basis des 98er-Teams, unter anderen: Bodo Illgner, Christian Panucci, Roberto Carlos, Clarence Seedorf, Davor Suker und eben Mijatovic, den Siegtorschützen von Amsterdam. Später kamen Christian Karembeu, Fernando Morientes, Nicolas Anelka, Steve McManaman, Míchel Salgado und Iván Helguera hinzu. Sie alle trugen dazu bei, dass Real die Champions-League-Titel sieben und acht holte, den Lorbeer wieder grün werden ließ. Mit Lorenzo Sanz, "dem Präsidenten, der die Copa de Europa für Real Madrid zurückeroberte", wie Marca am Sonntag titelte. Er wurde 76 Jahre alt.

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SZ vom 23.03.2020
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