Real in der Champions League:Kroos dirigiert das Orchester

Champions League: Toni Kroos (Real Madrid) im Spiel gegen den FC Liverpool

Toni Kroos hält sich Liverpools Diogo Jota vom Hals: Der Deutsche lieferte erneut eine glänzende Vorstellung ab - und steht mit Real nun im Viertelfinale der Champions League.

(Foto: Susana Vera/Reuters)

Gegen ihn kann Jürgen Klopp einfach nicht gewinnen: Beim 1:0 gegen Liverpool führt Toni Kroos wieder einmal seine ganze Klasse vor - bei Real Madrid feiern sie ihn längst als Institution, auch sein Trainer schwärmt.

Von Sven Haist, Madrid

Toni Kroos hat in seinen mittlerweile mehr als 400 Einsätzen für Real Madrid schon unzählige Tore bejubelt. Verständlich also, dass der Siegtreffer durch Karim Benzema zum 1:0 gegen den FC Liverpool im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League bei Kroos keine besonderen Emotionen hervorrief. Nachdem der gebürtige Greifswalder seine Arme in der 78. Minute kurz in die Luft gestreckt hatte, verzichtete er als einziger Real-Feldspieler darauf, das Tor gemeinsam mit seinen Kollegen zu feiern.

Stattdessen lief Kroos zur Seitenauslinie, um die Unterbrechung als Verschnaufpause zu nutzen. Danach wechselte ihn Trainer Carlo Ancelotti unter den Beifallsbekundungen der Fans im Estadio Santiago Bernabéu aus. Damit signalisierte er seinem Team und allen Zuschauern, dass Real zu diesem Zeitpunkt sicher sein konnte, zum elften Mal in dreizehn Jahren das Viertelfinale dieses Wettbewerbs zu erreichen.

Aufgrund des komfortablen 5:2-Hinspielerfolgs hatten ohnehin nur noch die wenigsten Beobachter Zweifel am Weiterkommen gehabt. In den Vorsaisons lief zwar auch Real ab und zu Gefahr - in Duellen mit Juventus und Chelsea -, klare Vorsprünge zu verspielen. Aber eine solche historische Wendung ließ man diesmal nicht zu. Auch dank Kroos beherrschte das Heimteam die Partie - und damit auch Liverpool. Die eigene Leistung brachte Kroos die Anerkennung seines der Übertreibung unverdächtigen Trainers ein. Kroos habe "sehr gut" gespielt und den Rhythmus des Matches so bestimmt, wie es geplant gewesen sei, stellte Ancelotti sachlich fest.

Wesentlich überschwänglicher würdigten Spaniens Medien die Aufführung des Deutschen. Die in Madrid ansässige Zeitung ABC schrieb, der 2014-Weltmeister habe ein "unerschöpfliches Orchester" dirigiert. Auch das Sportblatt As titelte: "Kroos lenkt, Klopp legt die Waffen nieder." Gar mit einem Smoking verglich La Voz de Galicia Kroos: Der sei für Real ein "außergewöhnliches Stück", das "Eleganz, Selbstvertrauen und Macht in höchstem Maße" ausstrahle und bei "großen Anlässen immer" funktioniere. Speziell Auseinandersetzungen mit Liverpool liegen Kroos offenbar besonders.

Schon im Kabinengang vor Anpfiff ließ sich in gewisser Weise erkennen, was Kroos ausmacht

Mit fast keinem anderen Spieler tun sich die "Reds" von Trainer Jürgen Klopp derart schwer wie mit Kroos, 33, der quasi immun wirkt gegen den Powerfußball der Engländer. Weder lässt er sich in Ballbesitz durch Liverpools hochintensives Forechecking aus der Ruhe bringen, noch verliert er je die Übersicht. In allen sechs Partien mit Real gegen Klopps Liverpool stand Kroos auf dem Platz, nur beim Hinspiel vor drei Wochen war er grippegeschwächt nicht in der Startelf. Die Bilanz: fünf Siege und ein Remis, darunter die Champions-League-Finalsiege 2018 und 2022.

Schon vor dem Anpfiff ließ sich im Kabinengang erkennen, was Kroos ausmacht. In beneidenswerter Gelassenheit zog er sich vor dem Einlaufen der Mannschaften eine Trainingsjacke übers Trikot und strahlte in der Reihe seiner Mitspieler eine Selbstsicherheit aus, über die kaum ein anderer Spieler vor einer bedeutenden Partie verfügt. Selbst gestandene Profis schauen in solchen Moment meist angespannt und wippen nervös hin und her. Kroos dagegen stand einfach da und blickte unaufgeregt drein - so, wie er anschließend spielte.

Er ließ den Ball kreiseln, sah stets den freien Mitspieler und hielt auch großem Gegnerdruck stand. Immer wieder verlagerte er das Spielgeschehen, mit kurzen und langen Pässen, die so plausibel und ungezwungen aussahen, als könnte sie jeder so nachmachen. Das Sportblatt Marca empfand es als "Privileg", mitzuerleben, wie "das blonde Metronom ein millimetergenaues Kurzpassspiel mit abgemessenen langen Zuspielen" kombiniere. Manchmal wirkte es tatsächlich so, als wäre Kroos wegen seiner Fehlerlosigkeit ein mechanischer Ballverteiler.

Dies dürfte auch mit seinem riesigen Fundus an Spielerfahrung zusammenhängen, aus dem er schöpfen kann, um richtig zu bewerten, welche Aktion jeweils gefragt ist. Ähnlich wie Benzema im Angriff den viel jüngeren Vinicius als seinen Nachfolger einführt, scheint Kroos zudem sein Wissen an Real-Mittelfeldspieler Eduardo Camavinga weiterzugeben. Marca riet dem 20-Jährigen deshalb: "Sieh zu und lerne, Junge!" Angeblich soll Kroos bereit sein, seinen auslaufenden Vertrag nochmals um ein Jahr zu verlängern.

Carlo Ancelotti findet, die "Menschlichkeit der Veteranen" sei der Schlüssel des Real-Erfolgs, sie hätten einfach "kein Ego". Auch wenn es Kroos und einigen Mitspielern im fortgeschrittenen Profialter nicht mehr kontinuierlich gelingt, in jeder Partie Spitzenniveau abzurufen, ist seine Erfahrung in der Champions League von unschätzbarem Wert. Sie macht Real als Titelverteidiger zum erneuten Favoriten auf den Henkelpokal. Vermutlich umgibt allein den FC Bayern aus den verbliebenen Klubs eine ähnliche Siegeraura wie den Europapokalrekordgewinner aus Madrid. Aktuell hat Real fast keine Schwachstelle im Team, auf jeder Position verfügt der Kader über mindestens einen Ausnahmekönner. Und die zuletzt fünf Königsklassentitel in neun Jahren nehmen Druck.

Nach seiner Auswechslung setzte sich Toni Kroos auf die Ersatzbank. Er hielt sich einen Eisbeutel auf den rechten Oberschenkel und sah ziemlich müde und geschafft aus - aber auch sehr zufrieden.

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