Real Madrid in der Champions League:Das Bernabéu johlt wegen Ancelotti

Real Madrid in der Champions League: Der Mister kann es auch: Carlo Ancelotti hält elegant den Ball hoch, das Publikum freute sich beim 2:0 gegen Chelsea.

Der Mister kann es auch: Carlo Ancelotti hält elegant den Ball hoch, das Publikum freute sich beim 2:0 gegen Chelsea.

(Foto: Florencia Tan Jun/Getty Images)

Beim 2:0 gegen einen angeschlagenen FC Chelsea leistet sich Real Madrid nur am Rande Leichtfertigkeiten - und kann sich nach einer hochseriösen Leistung mit einem weiteren Halbfinale beschäftigen.

Von Javier Cáceres, Madrid

Auswärtige Fans werden im Estadio Santiago Bernabéu im Fondo Norte untergebracht - direkt unterm Dach, in einem Bereich, der vom Rest des Publikums durch Sicherheitskräfte und Gatter abgetrennt ist. Im Volksmund wird er "Gallinero" genannt, Hühnerstall, weil's ein bisschen danach aussieht, als säßen die Menschen wie die Hühner auf der Stange. Am Mittwochabend waren dort für 90 Minuten die Anhänger des derzeit verrücktesten Fußballklubs Europas zu Hause, die Fans des FC Chelsea aus London. Und man konnte in Madrid bestens sehen, in welchem Gemütszustand sie sich gerade befinden.

Zehn, fünfzehn Minuten vor dem Ende des Viertelfinalhinspiels der Champions League bei Real, das für die Engländer 0:2 verloren ging, setzte eine Prozession ein: Zu Hunderten strömten die Chelsea-Fans hinaus, mit hängenden Köpfen, schweigend, deprimiert. So verpassten sie die einzige Frivolité, die sich Real an diesem Abend leistete: Trainer Carlo Ancelotti hielt in der Coaching Zone den Ball drei, vier Mal hoch, als trüge er nicht Straßen-, sondern wie einst in den 1980er-Jahren Fußballschuhe an den Füßen - und kurze Hosen und Funktionskleidung statt eines dreiteiligen Businessanzugs aus der offiziellen Herrenausstatter-Kollektion des 14-maligen Champions-League-Siegers.

Ancelotti spitzelte den Ball zu einem Spieler im weißen Dress: Verteidiger David Alaba lief zu Ancelotti hinaus und umarmte ihn, das Publikum johlte. Was am Ende ein feiner Ausdruck dessen war, mit welcher widersprüchlich anmutenden Mischung aus Ausgelassenheit und Ruhe in Madrid der Abend begangen wurde.

Die Notwendigkeit, die Widerstandsfähigkeit der eigenen Herzen zu testen - wie noch im Vorjahr, als man gegen Paris Saint-Germain, Chelsea und Manchester City gefordert war -, war diesmal nicht gegeben. Als Frank Lampard nach seinem zweiten Spiel als Interimstrainer Chelseas noch sagte, dass "an der Stamford Bridge besondere Dinge passieren können" und dass er selbst "bei ein paar speziellen Nächten dabei gewesen" sei, wirkte dies eher schlecht geschauspielert als überzeugt.

Schon recht: Nach einem 0:2 ist die Tür zur Vorkammer des Halbfinales in der Tat noch nicht verschlossen. Die übergeordnete Wahrheit aber war: Real Madrid ließ gegen ein Chelsea, das zuletzt wettbewerbsübergreifend vier Niederlagen in Serie ohne eigenes Tor hinnehmen musste, Gnade vor Recht ergehen.

Wie wenig bei den Blauen aus London gerade stimmt, konnte man daran ablesen, dass der lange verletzte Franzose N'Golo Kanté in seinem erst vierten Spiel der laufenden Saison unter dem vierten Trainer auflief (Thomas Tuchel, Graham Potter, Bruno Saltor und nun Lampard). Und an einer Episode, die sich Stunden vor Beginn der Partie zugetragen hatte - als ein Reporter des britischen TV-Senders Sky dem US-amerikanischen Chelsea-Eigner Todd Boehly auflauerte und ihm kurz nach dessen Fraternisierungs-Lunch mit Real-Boss Florentino Pérez im Nobelrestaurant Zalacaín ein paar Worte entlockte. "Have faith", "Glaub an uns!", sagte Boehly zum Reporter und ließ sich dann zu einer Prognose hinreißen, die nicht bloß im Nachgang als töricht gelten musste: "Chelsea wird 3:0 gewinnen."

Real Madrid in der Champions League: Toni Kroos war mittendrin gegen Chelsea - und in den allermeisten Szenen voller Kontrolle über das Spiel.

Toni Kroos war mittendrin gegen Chelsea - und in den allermeisten Szenen voller Kontrolle über das Spiel.

(Foto: Jose Breton/AP)

Vermutlich war es nicht nötig, das Filmchen mit dem Boehly-Bonmot vor der Partie in der Real-Kabine in Dauerschleife laufen zu lassen, um alle Bewusstseinsressourcen der Belegschaft von Real auf die 90 Minuten zu lenken. Seit Bestehen des Wettbewerbs sind in der Champions League die Sinne der Spieler des spanischen Rekordmeisters von jeher geschärfter als in jedem anderen Wettbewerb. Unwillkommen dürfte es nicht gewesen sein. Zumindest bot Real eine von A bis Z solide Leistung. "Wir haben ein sehr komplettes Spiel geliefert", sagte Madrids Trainer Ancelotti.

Die Notwendigkeit zur Vollkommenheit ergab sich allein daraus, dass Chelsea nicht gerade wenige Fußballer von Talent zusammengekauft hat. Allein in dieser Saison ist der Kader für mehr als 500 Millionen Euro mit feinen Füßen aufgerüstet worden. Die Namen des defensiven Mittelfelds, das Chelsea aufbot, bürgen eigentlich für Qualität und Erfolg: Der erwähnte Kanté wurde 2018 in Russland mit Frankreich Weltmeister, Enzo Fernández tat es ihm 2022 in Katar mit Argentinien nach, der Kroate Mateo Kovacic schaffte es bei den beiden vergangenen Weltmeisterschaften aufs Podium.

Lampard verzichtet in Madrid zunächst auf Kai Havertz

Dass Interimscoach Lampard bis zur 65. Minute auf den DFB-Stürmer Kai Havertz verzichtete, mochte überraschen. Andererseits präsentierte er im Angriff Raheem Sterling und João Félix - nicht die schlechtesten Alternativen. Chelsea war in Madrid auch nicht im Wortsinn chancenlos. Aber bei den beiden besten Torgelegenheiten - durch Félix (2.) und Sterling (23.) - war Real-Torwart Thibaut Courtois mit formidablen Paraden zur Stelle. Madrid ließ ebenfalls ein paar Chancen liegen. Die Spanier gingen in einer überaus anregenden ersten Halbzeit, die phasenweise wie die Schlussphase einer Verlängerung wirkte, dann jedenfalls in Führung - durch ein klassisches Abstaubertor von Karim Benzema (22.).

Den 2:0-Endstand stellten sie durch einen beschämend einfach herausgespielten Treffer des eingewechselten Marco Asensio her (74.). Luka Modric spielte einen Eckball auf den ungedeckten (und so diskreten wie brillanten) Toni Kroos hinaus, der wiederum im Strafraum den gleichfalls unbewachten Vinícius Jr. entdeckte. Und als dieser den Ball aus dem Sechzehner hinaus spielte, hatte Asensio keine Mühe, flach zum 2:0 einzuschießen: Auch der Mallorquiner wurde dabei nicht mal ansatzweise bedrängt (74.). Chelsea hatte so aufreizend schlecht verteidigt, dass das wohl auch Besitzer Boehly auf der Ehrentribüne erkannte, obwohl der auf dem Planeten Fußball verlorener dasteht als Adam am Muttertag.

Chelseas Spieler jedenfalls pressten die Lippen aufeinander. Als fürchteten sie: Das war's. Zumal sie zu diesem Zeitpunkt nur noch zu zehnt auf dem Platz standen, weil Linksverteidiger Ben Chilwell wegen einer Notbremse gegen Real-Stürmer Rodrygo vom ausgezeichneten französischen Schiedsrichter François Letexier vom Platz gestellt worden war. Auf Chilwell würde es allerdings eh kaum ankommen, wenn Chelsea am Dienstag in seinem dann vielleicht sogar bis zum Ende voll besetzten Stadion an der Stamford Bridge versuchen wird, zur Aufholjagd zu blasen. "Ich hoffe, wir bedauern am Ende nicht, dass wir heute nicht mehr Tore geschossen haben", sagte Real- Torwart Courtois.

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