Clásico:Carletto der Große

Clásico: Internationale Meistertitel-Sammlung bald vollständig? Trainer Carlo Ancelotti steht bei Real Madrid vor einer besonderen Krönung.

Internationale Meistertitel-Sammlung bald vollständig? Trainer Carlo Ancelotti steht bei Real Madrid vor einer besonderen Krönung.

(Foto: Gonzalo Arroyo Moreno/Getty Images)

Mit einem Sieg im Clásico gegen den erstarkten FC Barcelona käme Real Madrids Trainer Carlo Ancelotti einem beispiellosen Rekord näher: Er kann in ein paar Wochen der erste Trainer sein, der in allen fünf großen Ligen Europas Meister war.

Von Javier Cáceres

Am Sonntagabend wird sich das Bernabéu-Stadion wieder füllen wie neulich bei der Champions-League-Partie zwischen Real Madrid und Paris Saint-Germain - diesmal aus Anlass eines Clásicos, der so bedeutungsschwanger wie atypisch daherkommt. Atypisch, weil die Mannschaften aus Marketinggründen in seltsamen Farben antreten werden: Real Madrid nicht im klassischen Weiß, sondern ganz in Schwarz. Und der FC Barcelona will nicht in seinen burgundrot-blauem Jersey auflaufen, sondern in Gelb, immerhin mit einer stilisierten katalanischen Fahne auf der Brust.

Schwarz gegen Gelb? Ein Akt der Blasphemie, sagen dazu nicht nur die traditionalistischen Anhänger der beiden Klubs - ein Frevel am Rande der Travestie. Das gibt zu derart vielen Diskussionen Anlass, dass das bedeutungsschwangere Element dieses Clásicos in den Schatten zu treten droht: eine Bestmarke, genauer: der Rekord des Carlo Ancelotti.

Zehn Spieltage vor Saisonende beläuft sich der Vorsprung der von Ancelotti trainierten Madrilenen auf den Tabellenzweiten FC Sevilla auf satte zehn Punkte. Der FC Barcelona hängt als Dritter sogar 15 Zähler hinterher. Niemals in der Geschichte der spanischen Liga ist ein solcher Vorsprung noch verspielt worden. Und das bedeutet, dass Carletto vor einem veritablen Triumph steht: Er kann als erster Trainer überhaupt in allen fünf großen Ligen Europas Meister und als Carletto der Große geadelt werden - als Karl der Große. Wobei es der echte Karl der Große (747 bis 814 n. Chr.) bei seinen Expansionen einst nicht bis auf die britische Insel schaffte.

In seiner ersten Amtszeit bei Real Madrid, von 2013 bis 2015, war Ancelotti der Ligatitel in Spanien versagt geblieben. Zuvor hatte er in Italien mit dem AC Mailand die Serie A gewonnen, 2010 mit dem FC Chelsea die englische Premier League und 2013 mit Paris Saint-Germain die französische Ligue 1. 2017 folgte der Bundesliga-Titel mit dem FC Bayern.

In Madrid konnte sich Ancelotti im Sommer 2014 mit der "Décima" trösten, dem zehnten Champions- League-/Europapokal-der-Landesmeister-Titel der Real-Geschichte, nach quälend langen Jahren des Wartens. Dieser Triumph geriet umso süßer, als er quasi in letzter Minute gegen den Lokalrivalen Atlético Madrid erzwungen wurde (1:1-Ausgleich kurz vor Abpfiff, 4:1 nach Verlängerung). Ein Jahr darauf holte jedoch Erzrivale Barcelona das Triple, und Real-Präsident Florentino Pérez setzte Ancelotti vor die Tür. Ancelotti sei zwar ein Teil der Geschichte des Klubs, sagte Pérez, aber bei Real sei die Anforderung "maximal", er sah daher den Augenblick gekommen, "neu Anlauf zu nehmen".

Der Sieg gegen PSG vertrieb den Groll über die lange Zeit zähe Saison. Im Viertelfinale muss Ancelotti nun gegen Ex-Klub Chelsea ran.

Dem missglückten Experiment mit Rafa Benítez folgte daraufhin bei Real die glorreiche Zeit unter Trainer Zinedine Zidane, der drei weitere Champions-League-Titel holte, sogar in Serie - und ging. Nach den folgenden Wirren unter dem heutigen FC-Sevilla-Coach Julen Lopetegui und einem glücklosen Interregnum von Santiago Solari kehrte Zidane zurück und gewann immerhin eine spanische Meisterschaft. Im Sommer 2021 aber warf Zidane erneut hin. Und Ancelotti kam zurück - unter Umständen, die erst jetzt als geklärt gelten können.

Am vergangenen Wochenende enthüllte die Gazetta dello Sport, dass Ancelotti kurz nach dem Abschied von Zidane die "rechte Hand" von Klubboss Pérez anrief: den Generaldirektor José Ángel Sánchez. Ancelotti, damals noch Trainer beim FC Everton, wollte sich nach überschüssigen Real-Spielern für die neue Saison erkundigen. Dann aber fragte er, eher beiläufig, wie die Fahndung nach einem neuen Trainer laufe. Sánchez druckste herum, und dann unterbreitete Ancelotti seinem alten Freund Sánchez eine Idee: Er, Ancelotti, könne ja nach Madrid zurückkehren. Da ging Sánchez ein Licht auf. Er sah in Ancelotti das, was er schon beim ersten Mal gewesen war: ein erfahrener Coach, der in der Lage ist, einen nervösen Klub zu befrieden. Am Ende war davon auch Pérez überzeugt.

Nicht alles, was sich seit Saisonbeginn zutrug, entsprach dem Konzept von fußballerischer Exzellenz, das man bei Real hat. Es wäre gewiss interessant gewesen, zu sehen (und zu hören), wie ein voll besetztes Bernabéu-Stadion auf manche maue Vorstellung der Mannschaft reagiert hätte. Aber die Ergebnisse stimmten, unter anderem, weil die Rivalen schwächelten, allen voran Titelverteidiger Atlético Madrid und der FC Barcelona, der nach wenigen Monaten Trainer Ronald Koeman austauschte und Xavi Hernández einsetzte.

Clásico: Erholter FC Barcelona mit altbekanntem Anführer: Xavi Hernandez Rückkehr könnte den Clásico wieder spannender machen als im Herbst.

Erholter FC Barcelona mit altbekanntem Anführer: Xavi Hernandez Rückkehr könnte den Clásico wieder spannender machen als im Herbst.

(Foto: Lluis Gene/AFP)

Vor dem Achtelfinale in der Champions League gegen seinen Ex-Klub Paris war zu spüren, wie viel Groll sich bei Ancelotti aufgestaut hatte. Dies sei "die Saison des Aber", weil auf jeden Erfolg, auf jede taktische Umstellung ein "... aber" gefolgt sei. Seit dem grandiosen 3:1-Rückspielsieg gegen PSG, dem im Königsklassen-Viertelfinale nun für Ancelotti ein weiteres Wiedersehen mit einem Ex-Klub folgt (FC Chelsea), ist der Groll aber vergessen. Jedenfalls bis zum Sonntag, der vielversprechender anmutet als der Clásico aus der Hinrunde, den Real im Camp Nou mit 2:1 gewann.

Denn der FC Barcelona hat sich erholt. Das konnte man schon beim jüngsten Clásico spüren, Mitte Januar im Rahmen des spanischen Supercups, als Real knapp mit 3:2 gewann. Am Donnerstag überstand Barcelona nun in der Europa League die Hölle von Istanbul und siegte bei Galatasaray 2:1 (Hinspiel: 0:0), dank eines bezaubernden Tores von Pedri zum 2:1. Nächster Gegner für Xavis Team ist Eintracht Frankfurt.

Was das für den Clásico besage? Nichts, erklärte Xavi, er habe in seiner aktiven Zeit Clásicos "in allen möglichen Farben" erlebt. Einen Clásico zwischen Schwarz und Gelb allerdings noch nicht.

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