Auch in Madrid neigt der Januar dazu, kalt und ungemütlich zu sein, aktuell zeigt er sich auch noch von seiner nassen Seite. Was unter anderem dazu führte, dass Carlo Ancelotti am Dienstagvormittag die Kapuze seines babyblauen Anoraks tief ins Gesicht und den Reißverschluss bis zum Anschlag hochgezogen hatte, als er das Trainingsgelände von Real Madrid betrat. Aus Anlass der letzten Vorbereitungen auf das vorletzte Champions-League-Gruppenspiel, bei dem Real Madrid auf RB Salzburg trifft. Für den Titelverteidiger dürfte das Duell mit den Österreichern a priori wie aktive Erholung wirken. Doch als sich Ancelotti, 65, nach dem Training im Pressesaal vor die Journalisten setzte, schien er lauter Wolfsohren zu erblicken, wie man in Spanien sagt, wenn man Gefahren wittert: „Vielleicht muss ich morgen gehen“, sagte der frühere Bayern-Trainer.
Ancelotti sagte das auf die ihm eigene Art, nonchalant, halb im Scherz und halb im Ernst. Halb im Scherz, weil er nicht die Titanic kommandiert, sondern den Tabellenführer der spanischen Liga, und vor ihm nicht ein Eis-, sondern allenfalls ein Aludosenberg liegt. Salzburg ist in der uferlosen Champions-League-Tabelle Fünft-Letzter. Ancelotti sprach aber auch halb im Ernst, weil er feine Antennen für die Störgeräusche hat, die rund ums Bernabéu zu hören sind, die Spanier haben dafür den lautmalerischen Begriff „runrún“ erfunden.
In der Nacht auf Montag hatte der Moderator des Radiosenders Onda Cero das „runrún“ lauter gedreht. Ancelotti habe „entschieden“, den Trainerposten bei Real Madrid zum Ende der Saison aufzugeben, er werde damit Platz machen für seinen früheren Spieler Xabi Alonso (derzeit Leverkusen), hieß es in dem Rundfunksender. Ohne jede Quellenangabe, und obschon er sich nicht die Mühe gemacht hatte, Ancelotti selbst zu fragen.
Im kleinen Kreis fand Ancelotti dazu drastische, am Dienstag öffentlich immerhin deutliche Worte. „Ich möchte hier ganz klar sein“, setzte Ancelotti an: „Das Datum meines Weggangs werde niemals ich festlegen. Nie im Leben. Wann das sein wird? Ich weiß es nicht. Denn das entschiede nicht ich. Es kann morgen nach dem Spiel sein, am Tag danach, in einem Jahr – oder in fünf.“ Er empfinde es überdies als einen „objektiven Vorteil“, dass Vereinsboss Florentino Pérez soeben für vier weitere Jahre als Präsident von Real Madrids bestätigt wurde. „Er kennt mich sehr gut. Ich will die vier Jahre von Florentino erreichen – und mich mit ihm zusammen verabschieden“, sagte Ancelotti; dies aber erkennbar ausschließlich im Scherz und nicht einmal ansatzweise im Ernst. Denn die durchschnittliche Verweildauer von Trainern bei Real Madrid – sie liegt kaum über einem Jahr – hat er durch die Addition seiner beiden Amtszeiten (2103 bis 2015 und seit 2021) längst überschritten.
Leverkusens Trainer Xabi Alonso weilt umständehalber in Madrid, das nährt die Gerüchte um Ancelottis Zukunft
Was Ancelotti ebenfalls weiß: dass seine Worte nicht das Ende der Gerüchte bedeuten werden. Dass die dieser Tage besonders intensiv waren, hatte auch damit zu tun, dass Alonso in Madrid weilte, aus Anlass der Champions-League-Partie der Leverkusener am Dienstagabend bei Atlético. El Periódico beteuerte, „verlässlich“ erfahren zu haben, dass Ancelotti spätestens in der kommenden Spielzeit nicht mehr Coach in Madrid sein werde; das Online-Portal Relevo punktete im Netz mit der Sensation, Xabi Alonso habe sich im Dezember persönlich um die Aktivierung der Gebäudeautomatik seines Madrider Domizils gekümmert.
Das „Runrún“ um Ancelotti ist aber auch deshalb erklärbar, weil Real Madrid neulich im Finale des spanischen Supercups vom FC Barcelona verprügelt wurde (2:5). Andererseits kann sich Real Madrids bisherige Saison sehen lassen. Der Klub ist im Pokal ins Viertelfinale eingezogen, hat die Tabellenführung in der Liga inne und ist in der Champions League weiter auf K.-o.-Runden-Kurs. Das liegt auch daran, dass Star-Zugang Kylian Mbappé nach dem verschossenen Elfmeter bei Athletic Bilbao von Anfang Dezember seinen Tiefpunkt überwunden hat – und in elf Spielen acht seiner bislang 18 Saisontore erzielt hat.
Am Dienstag sah Mbappé, 26, vielleicht auch deshalb die Zeit gekommen, seine erste Pressekonferenz seit seiner Vorstellung im Sommer 2024 zu geben. Sie geriet zu einer Art Rechtfertigungsveranstaltung, denn er musste viel Zeit aufwenden, um die Umstände der Anfangsmonate zu schildern. „Ich bin von Tag eins an glücklich gewesen!“, rief Mbappé, im Bernabéu aufzutreten und bei Real Madrid zur Arbeit zu gehen sei für ihn weiterhin „jeden Tag ein Traum“ – und eine „Ehre“ zugleich.

Sorgen hatte man sich deshalb machen müssen, weil er über Wochen nicht der überragende Spieler gewesen war, den man aus Frankreich kannte. „Ich war nicht schüchtern, so ein Spieler werde ich nie sein“, sagte Mbappé. Aber ein wenig „Demut“ habe er eben doch an den Tag legen müssen, denn er sei in eine Mannschaft gekommen, die „alles gewonnen“ habe: „Da geht man nicht hin und ordnet an: ‚Gib mir den Ball!‘“
Auch er hatte in den vergangenen Wochen viel „runrún“ ertragen müssen, er quittierte das am Dienstag mit großer Gelassenheit. „Wenn man ein Spieler ist wie ich, und an all die Erwartungen denkt, die an mich gestellt werden, ist es normal, dass die Leute reden. Ich nehme das nicht persönlich. Ich wusste, dass ich die Situation ändern kann, und das habe ich getan. Ich bin sehr froh, der Mannschaft helfen zu können.“
Zwei Botschaften hatte Mbappé aber noch, beide in die Zukunft gerichtet. Er kündigte an, sich auf seine im März bevorstehende Rückkehr in die französische Nationalelf zu freuen, die er im vergangenen Semester gemieden hatte. Und er sagte, dass er immer davon träume, „dass mein jeweils nächstes Spiel mein bestes wird“. Könnte sein, dass Salzburg am Mittwoch ein kleineres Problem bekommen könnte.