Reaktionen:Silbenpfeile

Rosberg und Hamilton beharken sich derart, dass Mercedes mit Entlassung droht. Wie kam es so weit? Eine Zitatensammlung.

Von René Hofmann und Michael Neudecker

An diesem Samstag trafen sie wieder aufeinander. In Stuttgart. Im Fußballstadion. Vor 35 000 Zuschauern. Zur Feier des Formel- 1-Fahrer- und Konstrukteurstitels gibt Mercedes eine große Party direkt am Stammwerk. Stars and Cars heißt die Sause, bei der sich die Werksfahrer der Firma auf einem Kurs in der Fußball-Arena duellieren. DTM-Champion Pascal Wehrlein fährt und Mick Schumacher, der Sohn des siebenmaligen Weltmeisters Michael Schumacher. Die meiste Aufmerksamkeit aber richtete sich auf Lewis Hamilton und Nico Rosberg, auf den Formel-1-Weltmeister dieses und des vorigen Jahres - und den zweimal knapp Geschlagenen.

Der Brite und der in Monaco aufgewachsene Deutsche ließen zuletzt keine Gelegenheit aus, dem anderen verbal eins mitzugeben. Ihre Rivalität hat inzwischen einen Grad erreicht, der ihrem Arbeitgeber nicht mehr gefällt. "Wenn es für das Team nachteilig wird, würde das bedeuten, dass wir unseren langfristiges Plan in der Fahrerfrage nicht beibehalten werden", drohte Teamchef Toto Wolff vergangenes Wochenende. Heißt: Geht es weiter so, müsste entweder Rosberg, der seinen Vertrag 2015 um mehrerer Jahre verlängerte, gehen - oder Hamilton, dessen Kontrakt in diesem Jahr bis 2018 ausgedehnt wurde.

Wie das Duell dermaßen in den roten Bereich geraten konnte? Hier die beiden Protagonisten im O-Ton:

"Als wir beide dreizehn waren, war Nico im Kart der Beste, er hat alles gewonnen. Das war ein Ansporn für mich. Schon bei meinem ersten Rennen in Italien haben wir gegeneinander gekämpft, das hat sich danach fortgesetzt. Ich glaube, dass unser Verhältnis dadurch gestärkt wurde. Wir waren im gleichen Team, wir sind gegeneinander gefahren, und wir blieben Freunde. Wir hatten eine richtig gute Zeit." Hamilton im Oktober 2012, kurz nachdem bekannt wurde, dass er von McLaren zu Mercedes wechselt und Rosbergs Team- kollege wird.

"Mit Lewis und Nico haben wir die stärkste Fahrerpaarung in der Formel 1. Die beiden sind zwar befreundet, aber das gesunde Maß an Wettbewerb zwischen ihnen wird helfen, das Team voranzubringen." Der damalige Teamchef Ross Brawn bei der Präsentation des Autos für die Saison 2013 Anfang Februar jenes Jahres in Jerez.

"Dass mit Lewis wird sehr gut funktionieren. Damals, im selben Kart-Team, hat es geklappt. Warum sollte es jetzt nicht klappen?" Nico Rosberg bei derselben Gelegenheit.

"Man kann nicht erwarten, dass wir eine ganz besondere Beziehung haben werden, aber wenn wir uns respektieren, werden wir gute Kumpels sein. Ich hoffe, dass Nico weiter Späße mit mir macht - so wie früher." Lewis Hamilton Anfang März 2013.

"Wir kommen gut miteinander aus, haben viel Spaß. Wir haben auch mal hitzige Auseinandersetzungen, aber danach ist alles wieder normal. So war es schon, als wir noch jünger waren." Rosberg neun Tage später.

In der ersten gemeinsamen Saison bleibt es zwischen den beiden weitgehend friedlich. Hamilton beendet das Gesamt-Klassement als Vierter, Rosberg wird Sechster. Den Titel sichert sich Sebastian Vettel, der damals noch Red Bull fährt. Zum Start der Saison 2014 tritt dann ein neues Reglement in kraft. Die neuen Sechszylinder-Turbo-Hybrid-Motoren lassen Rosberg und Hamilton zu WM-Favoriten aufsteigen. Von den ersten fünf Rennen gewinnt Hamilton vier. Ende Mai steht dann ein Saisonhöhepunkt an: der Große Preis von Monaco.

F1 Grand Prix of Abu Dhabi

Lewis Hamilton (hinten) und Nico Rosberg (vorn) beharken sich derart, dass Mercedes einem von ihnen offen mit Entlassung droht.

(Foto: Clive Mason/Getty Images)

Vor dem Rennen sagt Rosberg: "Wir sind beides: Teamkollegen, Freunde, ein Mix aus beidem. Kommt auf die Situation an."

Hamilton sieht die Beziehung in dem Moment so: "Wenn man so miteinander konkurriert, ist es unmöglich, beste Freunde zu sein. Aber der Respekt bleibt immer." Dass Rosberg und er in Monte-Carlo im gleichen Apartment-Haus wohnen, findet Hamilton "cool": "Ich hatte für einige Monate meinen Safe bei ihm gelagert. Das könnte auch andersrum so sein."

Im letzten Durchgang der Qualifikation für den Monaco-Grand-Prix kommt es kurz vor dem Ende zu einer denkwürdigen Szene: Rosberg, der das Klassement anführt, verbremst sich in der Mirabeau- Kurve und fährt in einen Notausgang. Weil gelbe Flaggen geschwenkt werden, die zur Vorsicht mahnen, können die anderen Fahrer ihre Zeiten nicht mehr verbessern. Hamilton entgeht so die Chance auf die Pole-Position. Er ist wütend und unterstellt Rosberg Absicht. Nachdem er im Rennen am Sonntag nur Zweiter wird, sagt Hamilton über sich und Rosberg: "Wir sind keine Freunde. Wir sind Kollegen."

Toto Wolff, seit Saisonbeginn alleiniger Teamchef, sieht es so: "Freunde waren die beiden nie, auch wenn sie es behauptet haben. Wenn zwei Männer um dieselbe Frau kämpfen, dann mögen sich diese beiden nicht mehr. Und die beiden kämpfen um dieselbe Frau - um den WM-Titel.

Nach den Vorfällen in Monaco sucht Hamilton per Telefon die Aussprache. Anschließend verschickt er über den Nachrichtendienst Twitter eine Botschaft: "Wir sind seit einer langen Zeit Freunde&als Freunde hatten wir unsere Höhen&Tiefen. Heute haben wir gesprochen&sind cool, weiterhin Freunde #keinProblem." Dazu setzt Hamilton ein Foto, das die beiden als Teenager auf Einrädern zeigt.

"Die Nadelstiche kommen unentwegt. In den nächsten Rennen werden wir eine Explosion erleben." Formel-1-Experte Gerhard Berger Anfang Juni 2013.

"Wenn sie sich gegenseitig in die Kiste fahren, dann ist das gut für uns, dann nehmen sie sich Punkte weg." Rivale Sebastian Vettel Anfang Juni 2013.

"Psychospielchen werden auf ihn keinen Einfluss haben. Er ist zwar ziemlich emotional, und anfangs wird es ihn vielleicht auch treffen, aber danach kommt er noch stärker zurück." Tipp von Jenson Button, bei McLaren zwei Jahre lang Hamiltons Teamkollege, für Nico Rosberg.

Der Kampf zwischen Hamilton und Rosberg wogt die gesamte Saison 2014 über hin und her. In Kanada treiben die beiden sich dermaßen ans Limit, dass beide Autos kaputtgehen; Hamilton fällt aus, Rosberg kann sich gerade so noch ins Ziel schleppen. In Ungarn ignoriert Hamilton die Aufforderung des Teams am Funk, Rosberg, der auf besseren Reifen unterwegs ist, vorbeizulassen.

Der Deutsche sagt zu dieser Zeit: "Es ist schwieriger jetzt, ganz sicher, weil mehr auf dem Spiel steht. Es ist jedes Wochenende ich gegen ihn, die ganze Zeit. Wir haben den nötigen Respekt, aber die Grenzen werden ganz sicher ausgelotet."

Dann kommt der Große Preis von Belgien in Spa-Francorchamps . . .

In der zweiten Runde kollidieren Rosberg und Hamilton. Hamilton hatte Qualifying-Sieger Rosberg unmittelbar nach dem Start überholt und war als Erster auf die Rechtskurve "Les Combes" zugefahren. Rosberg dachte sich "Ich bin schneller" und setzte sich außen neben den Teamkollegen. Er kam aber nicht vorbei und schlitzte mit seinem Frontflügel Hamiltons linkes Hinterrad auf. Der Brite ist daraufhin chancenlos.

Kart-WM 2000 - Nico Rosberg und Lewis Hamilton

Als Teenager viel gemeinsam unterwegs: Rosberg (li.) & Hamilton.

(Foto: Jacky Foulatier/dpa)

"Ich verstehe nicht, was da passiert ist. Aber er wird zufrieden sein", gurgelt Hamilton in Richtung Rosberg.

"Unakzeptabel - fürs Team, für Mercedes, für alle Mitarbeiter", urteilt Niki Lauda in seiner Funktion als Aufsichtsratschef des Formel-1-Teams von Mercedes.

"Absolut inakzeptabel", findet die Aktion auch Teamchef Toto Wolff: "Du versuchst nicht, in der zweiten Runde deinen Teamkollegen mit dem Messer zwischen den Zähnen zu überholen und beschädigst dabei beide Autos."

Nach dem Crash fährt Hamilton mit Wut im Bauch. Nacheinander gewinnt er die Rennen in Italien, Singapur, Japan, Russland und Austin/Texas. In Brasilien schafft es Rosberg noch einmal vor ihn, womit die Titelentscheidung zwischen den beiden erst im Saisonfinale in Abu Dhabi fällt. Wegen eines schlechten Starts und eines Defektes an seinem Auto bleibt Rosberg dort letztlich chancenlos. Hamilton gewinnt das Rennen und geht aus dem Duell als Triumphator hervor. Zum zweiten Mal nach 2008 wird er als Weltmeister gekrönt.

Im Moment des Überschwangs lobt Hamilton auch Rosberg: "Nico ist unglaublich gut gefahren." Er habe ihm einen "unglaublichen Kampf" geliefert.

Rosberg gratuliert als einer der Ersten und akzeptiert seine Niederlage: "Das ist schwer und hart, aber auch okay so. Über die Saison gesehen ist Lewis der ein bisschen Bessere gewesen."

Zwei Tage nach dem Rennen sitzt er bereits für Testfahrten wieder im Auto. Hamilton zum dritten, oder Rosberg zum ersten Mal? Bei den Übungsfahrten im Winter wird schnell klar, dass das Titelrennen 2015 wieder auf ein Duell der beiden Mercedes-Fahrer hinauslaufen wird.

Zum Saisonstart im März in Melbourne erklärt Rosberg zurück- und gleichzeitig vorausschauend: "Es war ein großartiger Kampf, und ich erwarte wieder so einen. Den Gegner im eigenen Team zu haben, macht vieles komplizierter. Schließlich muss man zuerst ans Team denken, gerade jetzt, zum Start in die Saison. Und dann aber auch schauen, wo man selbst bleibt. Es wird wieder einfache und schwierige Phasen geben. Aber ich bin mir sicher, dass es eine großartige Saison wird."

Nun, großartig wird sie dann vor allem für Hamilton. Von den 16 Rennen, die bis zum 23. Oktober ausgetragen werden, gewinnt er zehn, dreimal wird er Zweiter, einmal Dritter. Nur zweimal darf er nicht an der Siegerehrung teilnehmen. Kein Wunder, dass er bereits beim Auftritt in Texas seine Titelverteidigung feiern kann. Was den Triumph eine besondere Süße verleiht: Hamilton kann sich so früh freuen, weil Rosberg ihm den Sieg in dem Rennen mit einem Fahrfehler schenkt. Statt mit Glückwünschen bedenkt Rosberg Hamilton nach der Niederlage mit Groll. Sein Vorwurf: Hamilton habe ihn in der ersten Kurve von der Strecke abgedrängt.

"Ich finde, ich habe ein Recht auf ein Stück Strecke. Dass mein Teamkollege extra versucht, mich verhungern zu lassen und sogar so weit geht, dass er in mich reinfährt, das ist ein Schritt zu weit", brodelt es aus Rosberg heraus.

Als Hamilton ihm vor der Siegerehrung eine Schildkappen zuwirft, die Rosberg bei der Champagnerdusche tragen soll, feuert dieser sie umgehend zurück. Das aber ist nur der Auftakt zu einer Reihe immer schärfer werdender Scharmützel, die nach der Titel-Entscheidung entbrennen.

IMAGES OF THE YEAR 2014 - SPORT - F1 Grand Prix of Russia

Duell am Limit: die Mercedes-Fahrer Nico Rosberg und Lewis Hamilton.

(Foto: Paul Gilham/Getty Images)

Am 1. November 2015 gewinnt Rosberg den Großen Preis von Mexiko, am 15. November siegt er in São Paulo/Brasilien und wieder zwei Wochen später ist er auch beim finalen Auftritt in Abu Dhabi der Schnellste. Sein Teamkollege, der nun dreimalige Weltmeister Lewis Hamilton - wird dreimal bloß Zweiter.

Die Stimmung zwischen den beiden ist nicht nur bei den Siegerehrungen eisig. "Selbst Boxer geben sich nach der letzten Glocke die Hände - nicht aber Hamilton und Rosberg", notiert die englische Zeitung Daily Mirror.

Hamilton spielt seine Formdelle zum Saisonende herunter. "Ich denke, Weltmeister klingt viel besser als Rennsieger", sagt er nach dem Saisonabschluss auf die Frage, wer glücklicher in den Winter gehe, er oder Rosberg?

Rosberg wiederum gibt sich keinerlei Mühe, seine Genugtuung zu verstecken: "Ich gebe zu, es erfreut mich zu sehen, wie mein Teamkollege zuletzt einige kleine Verzweiflungsaktionen gebracht hat", äußert er einen Tag nach dem letzten Rennen in einer Kolumne für die Bild-Zeitung.

Hamiltons Konter lässt sich lange auf sich warten. Zwei Tage später sagt er der BBC: "Man hat gesehen, dass er über viele Dinge jammert. Aber das lässt man an sich vorbeiziehen, denn das ist seine Art."

Das wiederum lässt Rosberg nicht auf sich sitzen. In der nächsten Sport-Bild-Ausgabe ist zu lesen: "Das ist ja echt zu seinem Lieblingsargument geworden. Die beste Antwort auf solch ein Statement gebe ich aber am besten auf der Rennstrecke. Und da habe ich einen Riesenhunger aufs Gewinnen."

Das mit der Freundschaft hat sich inzwischen offenbar endgültig erledigt. "Als Kinder waren wir mal Freunde, das ist alles": So sieht Hamilton das jetzt.

Mercedes stellt das zunehmend vor Probleme. 2016 erwartet das Team einen Angriff von Ferrari, wo Sebastian Vettel unumstritten der Fahrer Nummer eins ist.

"Manchmal bereitet es uns Probleme, dass wir an den Sonntagen Rennen gewinnen und immer einer der Fahrer verärgert ist", hat Toto Wolff beobachtet: "Wir haben eine riesige Geschlossenheit innerhalb des Teams, aber die schwierige Beziehung der Fahrer ist eine unserer Schwachstellen." Der Teamchef mahnt deshalb vor der Feier am Wochenende: "Das muss aufhören!" Was sonst droht, sagt der Österreicher auch: "Wenn es für das Team nachteilig wird, würde das bedeuten, dass wir unseren langfristiges Plan in der Fahrerfrage nicht beibehalten werden."

Quellen u.a.: auto, motor und sport; autosport; Bild; Daily Telegraph; formula1.com; motorsport.com; Sport-Bild; Sky.

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