RB Leipzig:Schlechter Witz

10 NEYMAR JR (PSG) - PENALTY - BUT FOOTBALL : Paris SG vs Leipzig - Ligue des Champions - 24/11/2020 FEP/Panoramic PUBLI

Mit fast aufreizend verzögertem Anlauf: Neymar verwandelt den spielentscheidenden Elfmeter zum 1:0 für Paris gegen Leipzig.

(Foto: PanoramiC/Imago)

Zwei angesäuerte Trainer: Nach dem 0:1 bei erstaunlich defensiven Parisern erregt sich Julian Nagelsmann über die entscheidende Untätigkeit des Videoreferees - Thomas Tuchel explodiert wegen Fragen zur Spielqualität.

Von Javier Cáceres

Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann war noch voll von jenem Adrenalin, das so ein bedeutendes Champions-League-Spiel auslöst. Und auch wenn er es vollbrachte, einer guten Kinderstube sei Dank, die Fassung zu wahren: An markigen Worten kam er nach der 0:1-Niederlage bei Paris Saint-Germain am späten Dienstagabend nicht vorbei. Dafür hatte der niederländische Schiedsrichter Danny Makkelie die Partie mit einer mehr als nur fragwürdigen Strafstoßentscheidung eine Spur zu sehr beeinflusst: "Der Elfmeter war ein Witz!", polterte Nagelsmann also am Spielfeldrand im Sky-Gespräch - "so etwas auf Champions-League-Niveau, das ist schon echt traurig."

Allein: Es half nichts. Mit dem mühsam herausverteidigten Sieg zog PSG in der Tabelle an Leipzig vorbei. Der Finalist der Vorsaison ist nun Zweiter, hinter Spitzenreiter Manchester United, punktgleich mit Leipzig. Sollte der direkte Vergleich entscheidend werden, läge PSG vor RB - wegen des Anfang November beim 1:2 in Leipzig erzielten Treffers. Sollte Leipzig jedoch die letzten beiden Gruppenspiele bei Basaksehir und gegen Manchester United gewinnen, dann würden die Sachsen erneut die K. -o.-Runde der Königsklasse erreichen. Und zwar: hundertprozentig.

Alle übersehen, dass Leipzig ja auch Manchester überholen kann

"Stimmt!", rief Nagelsmann, als auch er diese gar nicht mal so ungünstige Perspektive erkannte, weil er die Tabellenoptionen auf Nachfrage eines Reporters noch mal durchgerechnet hatte. Direkt nach Abpfiff war sich der Trainer da überhaupt nicht sicher gewesen. Nagelsmann hatte Leipzigs Ausgangslage in Interviews zunächst genauso trüb bewertet wie sein Vorgesetzter, Geschäftsführer Oliver Mintzlaff. Beide hatten erläutert, RB habe das Erreichen des Achtelfinales nun leider "nicht mehr in der eigenen Hand", sondern sei sogar bei zwei Siegen auf einen Patzer von Paris angewiesen. Das war ebenso erstaunlich wie falsch - beide hatten übersehen, dass RB ja auch ManUnited überholen könnte.

Ärgern mussten und durften sich die Leipziger aber schon: über die entscheidende Szene, die sich nur neun Minuten nach Spielbeginn zutrug. Nach einem Fehlpass von Dayot Upamecano im Aufbauspiel kam es zum Elfmeter. Dass Upamecano den Ball so nicht in die Füße des Gegners spielen dürfe, das wisse er selber, sagte Nagelsmann, zumal es nicht der erste Bock dieser Art des hochbegabten Verteidigers war. Aber, betonte der Trainer: Das eigentliche Problem sei gewesen, dass sich Upamecano mehr Anspielstationen hätten bieten müssen, mit mehr Intensität im Mittelfeld wäre Upamecanos Verlegenheit gar nicht entstanden, argumentierte Nagelsmann. Den Fehler "vollendet" habe aber nicht RB, sondern der Schiedsrichter aus den Niederlanden, der einige seltsame Entscheidungen traf. Unter anderem ließ er bei harten Attacken von Ander Herrera und dem eingewechselten Marco Verratti auf die Beine von Sabitzer und Nkunku Milde walten - und er traf diese folgenschwere, falsche Elfmeterentscheidung.

Nach Upamecanos Fehlpass war der Ball zum Pariser Ángel Di María gelangt, und der Argentinier ging, kaum, dass er den Strafraum betreten und Leipzigs Kapitän Marcel Sabitzer in der Nähe gewähnt hatte, zu Boden. "Das war eine klare Schwalbe!", sagte Nagelsmann mit Ornithologen-Blick, "es gab nullkommanull Kontakt." Nagelsmann ereiferte sich allerdings nicht nur über Referee Makkelie, sondern vor allem über die Teilnahmslosigkeit des Videoschiedsrichters: "Wenn das keine klare Fehlentscheidung ist ...", haderte Nagelsmann, "wenn wir den VAR nicht nutzen, dann können wir das auch wieder abschaffen. Dann lassen wir die Schiris eben wieder alleine." Womöglich, mutmaßte Nagelsmann spitz, habe der Videoschiedsrichter während besagter Elfmeterszene "gerade ein anderes Spiel angeschaut".

Die Pariser werden seit geraumer Zeit von Personalproblemen geplagt

Sich vom Geschehen im Prinzenpark abzuwenden, wäre im weiteren Verlauf des Abends mitunter nachvollziehbar gewesen. Denn sehenswert geriet die Partie in Paris selten. Leipzig dominierte, kreierte aber nur sporadisch Gefahr. Und PSG kaprizierte sich nach der frühen Führung auf eine Defensivtaktik, die man von Thomas- Tuchel-Teams eigentlich nicht kennt. Das freilich hatte seine Gründe - vor allem einen: die angeschlagene Physis von PSG.

Die Pariser plagen seit geraumer Zeit massive Personalsorgen: "Das Schwierigste ist es zurzeit, elf Spieler zusammenzubekommen, wir haben fast hundert verletzte Spieler", sagte Tuchel. Neymar etwa habe null Trainingsrhythmus, für die Partie gegen Leipzig habe man zwei Spieler fitspritzen müssen, mögliche Alternativen wie die deutschen Nationalspieler Kehrer und Draxler saßen auf der Tribüne. Unter solchen Umständen auch fußballerisch das beste PSG zu erwarten, sei fern jeder Realität, argumentierte Tuchel, dessen Elf nur wenige Tage nach der Finalniederlage gegen die Bayern im September schon wieder in den Ligabetrieb einsteigen musste und seither personell am Stock geht.

Nach dennoch insistierend mäkelnden Fragen der französischen Reporter zur Qualität des PSG-Spiels ging Tuchel dann in die Luft: "Ich hab's satt. Satt!", rief er - und lud einen Journalisten in die Pariser Tabuzone ein: "Wenn Sie die Eier haben, dann gehen Sie in die Kabine und stellen Sie da ihre Frage ...", blaffte er den Journalisten an, "meine Spieler sind tot! Tot!" Dennoch hatten sie ein Resultat erzielt, das nun keine schlechten Aussichten aufs Weiterkommen bietet: "Wir haben gewonnen. Ich werde nicht um Pardon für den Sieg bitten", sagte Tuchel. "Das war nichts, worauf man stolz sein kann", entgegnete ihm anderntags die Zeitung Le Parisien.

Errungen wurde das 1:0 mit defensivem Geschick und Hingabe. Den Leipzigern fiel es schwer, ihren fast erschlagenden Ballbesitz (62 Prozent) in Chancen umzumünzen, dafür gruppierten sich die Franzosen zu eng um den eigenen Strafraum. Die besten Gelegenheiten vergaben Sabitzer unmittelbar nach Neymars Tor - und Emil Forsberg zu Beginn der zweiten Hälfte, sein Volleyschuss ging knapp am Tor vorbei. Auf der anderen Seite stand bei Leipzig eine mehr als solide Abwehrleistung. Neymar, Mbappé und Di María fanden nie Räume, um das Tor des beschäftigungslosen Peter Gulacsi in die Bredouille zu bringen.

"Am Ende wäre es zumindest verdient gewesen, wenn wir uns mit einem Unentschieden belohnt hätten", sagte Julian Nagelsmann. Das stimmte, aber: Die Chancen auf das Erreichen des Achtelfinales sind weiterhin intakt - und besser als gedacht.

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