Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:100-Millionen-Deal für Leipzig

Der Getränkekonzern Red Bull erlässt dem Klub eine hohe Summe seiner Schulden - das sei kein Geschenk, betont der Verein. Ein Experte nennt den Vorgang "elegant und rechtskonform".

Von Javier Cáceres, Leipzig

Wenn man sich die aktuellen nackten Zahlen von RB Leipzig anschaut, dann könnte man auf die Idee kommen, dass sie verbesserungswürdig sind. Zumindest, wenn man unterstellt, dass der Herbstmeister gern auch die echte Meisterschaft hätte erringen wollen. Am Samstag war Schlusslicht Paderborn in Leipzig zu Besuch, und weil SCP-Verteidiger Christian Strohdiek in der Nachspielzeit den verdienten 1:1-Endstand erzielte, erlitt Leipzig trotz der 1:0-Führung durch Patrik Schick (27.) bereits das siebte Unentschieden in 13 Rückrundenspielen. Zum Vergleich: Bayern München kam in dieser Zeit auf zwölf Siege und ein Remis, Borussia Dortmund auf elf Siege und zwei Niederlagen. Dennoch lasen sich am Samstag andere Zahlen, die über das Portal "RBlive" der Mitteldeutschen Zeitung publik wurden, noch erschütternder - erschütternd für das Narrativ des Klubs, der seit Beginn seiner kurzen Geschichte im Geschäftsbericht "das besondere Anliegen" betont, den "Jugendfußballsport" zu fördern.

Mitte Januar hatte Leipzigs Geschäftsführer Oliver Mintzlaff in einem Interview versichert, dass RB in Fußballdeutschland zunehmend für nachhaltige Arbeit anerkannt werde. Mit anderen Worten: Das böse Wort vom "Marketingkonstrukt", das sogenannte Traditionalisten RB gerne nachsagen, gerate in Vergessenheit. Doch selbst die Leipziger Volkszeitung, die RB wohlwollend begleitet, kam nicht umhin, nach dem österreichischen Milliardär zu fragen, der das Projekt angeschoben hatte: "RB wird seit vielen Jahren vom reichen Onkel Mateschitz alimentiert", warf der Interviewer ein - Mintzlaff entgegnete: "Das Geld wurde uns nicht geschenkt, das sind Darlehen, die getilgt werden müssen. Unsere Darlehen kommen nicht von der Sparkasse Leipzig, sondern zu marktüblichen Konditionen von Red Bull."

Das war gewissermaßen die Vorlage für die Nachrichten vom Samstag. RBLive hatte im Bundesanzeiger entdeckt, dass der Getränkekonzern des Milliardärs Dietrich Mateschitz dem Verein 100 Millionen Euro Schulden erlassen hat. Oder, wie es formal heißt: Es wurde "eine Umwandlung von Gesellschafterdarlehen in Höhe von 100 Millionen Euro in die Kapitalrücklage" vorgenommen. "Elegant und rechtskonform" seien die Verbindlichkeiten gesenkt und das Eigenkapital gestärkt worden, erklärte Ludwig Hierl, Bilanzexperte und Professor an der Dualen Hochschule in Heilbronn. Dieser Schritt ist für RB von fundamentaler Bedeutung, um den Kader weiter verstärken zu können.

Die 100 Millionen seien aber kein Geschenk, betonte umgehend RB-Finanzdirektor Florian Hopp. Laut dpa räumte er ein, dass es "auf den ersten Blick" so aussähe, als würde dem Schuldenerlass keine Gegenleistung gegenüberstehen. Dann aber würde, führte Hopp aus, "auch eine Schenkungssteuer anfallen, was nicht der Fall ist". Eine Schenkungssteuer auf 100 Millionen hätte es in der Tat in sich.

Es ist ein Unterschied, ob jemand einem Klub Geld pumpt - oder Geld in einen Klub pumpt

Doch woher könnte der genannte "erste Blick" rühren? Red Bull ist 99-prozentiger Anteilseigner bei RB Leipzig, eine Erhöhung der Anteile im Wert von 100 Millionen Euro ist also kaum denkbar. Die definitiv vorhandene Gegenleistung an Red Bull erfolge durch eine Vorzugsdividende, die den Zinsverlust ausgleichen solle, betonte Hopp. Laut kicker liegt sie bei 1,5 Millionen Euro jährlich - was in etwa dem jährlichen RB-Gewinn aus den letzten Bilanzen entspricht. Das ist nicht marktfern, die Zinsen liegen seit Jahren am Boden. 1,5 Millionen Euro jährlich entsprächen 1,5 Prozent auf 100 Millionen. Andererseits ist der Betrag, gemessen an den Risiken im Fußball, niedrig. Denn ein Schuss übers leere Tor, wie ihn Leipzigs Haidara gegen Paderborn in der Schlusssekunde fabrizierte, kann eine ganze Saison in den Orkus reißen.

Eine Interpretation der 100-Millionen-Transaktion lieferte der Experte Hierl: "Red Bull hat die Summe, vereinfacht ausgedrückt, nachträglich auf den Kaufpreis für den Klub draufgelegt." Bei der Gründung der RasenBallsport Leipzig GmbH hatte Red Bull nur 2,5 Millionen Euro Stammkapital zur Verfügung gestellt, ein höheres Stammkapital wäre für die Außendarstellung heikler gewesen. Es ist ein Unterschied, ob jemand einem Klub Geld pumpt - oder Geld in einen Klub pumpt.

Werner soll klauselgemäß rund 50 Ablöse-Millionen einbringen

Die Rendite ist bislang überschaubar - und vor allem eine Frage der Medienwirksamkeit. Der sportliche Erfolg ist dabei unbestritten: Leipzig ist im Viertelfinale der Champions League und kann trotz des Samstagsdämpfers erneut auf eine Königsklassen-Teilnahme hoffen. Zudem fließt wohl bald frisches Geld in die Kassen, sofern Nationalstürmer Timo Werner bei seinem Flirt mit dem FC Chelsea weniger Abschlussschwäche zeigt als bei seinen Großchancen gegen den mutmaßlichen Absteiger Paderborn. Werner soll klauselgemäß rund 50 Ablöse-Millionen einbringen.

Auch Innenverteidiger Dayot Upamecano, der das bittere Remis mit einer ebenso frühen wie überflüssigen gelb-roten Karte (43.) einleitete, gilt als begehrt. Das trifft sich gut, denn auch RB leidet, wie Klubchef Mintzlaff betont, unter der Corona-Krise. Doch das ist Jammern auf alpinem Niveau. Im Geschäftsbericht heißt es, dass "durch eine ausgewogene Fälligkeitsstruktur ein permanenter Liquiditätsfluss gewährleistet und kurz- und mittelfristige Liquiditätsengpässe ausgeschlossen" seien. Denn Mateschitz hat weiterhin Freude an seinem Marketingkonstrukt.

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SZ vom 08.06.2020/tbr
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