RB Leipzig in der Champions League:Ein Höhepunkt der Unternehmenshistorie

Nach dem 3:2 gegen Titelverteidiger Real Madrid fehlt RB Leipzig noch ein Punkt zur K.-o.-Phase der Champions League. Die Mannschaft zeigt, wozu sie fähig ist, wenn Körperspannung und Konzentration stimmen.

Von Thomas Hürner, Leipzig

Es ist nicht bekannt, was sie beim ZFC Meuselwitz davon halten. Der kleine Fußballverein aus Thüringen ist neulich in der Fernsehsendung "Sport im Osten" mit einem großen Fußballverein aus Madrid verglichen worden, und es war offensichtlich, warum der Regionalligist als Referenzgröße herhalten musste: Der ZFC Meuselwitz ist eben nicht Real Madrid. Und weil Glanz und Glamour in diesem Vergleich eindeutig verteilt sind, würde jeder, der die Wahl hat, lieber gegen den zigfachen Europapokalsieger antreten als gegen einen Verein, dessen Anziehungskraft womöglich nur dadurch erhöht wird, dass man in Meuselwitz neben der Fußballsparte noch eine Cheerleading- und Kegel-Abteilung unterhält.

Warum das erwähnenswert ist? Weil am Dienstagabend dann auch der Stadionsprecher in der Leipziger Arena daran erinnerte, dass RB vor gar nicht allzu langer Zeit noch in Ligen herumdümpelte, in denen Spiele gegen jenen ZFC Meuselwitz auf dem Programm standen. Doch ein paar Jahre und weitaus mehr in den Klub gepumpte Brausemillionen später war tatsächlich das königliche Real Madrid zu Gast. Und dieser hohe Besuch, so erläuterte es der Stadionsprecher, sei letztlich nur jenem spendierfreudigen Mann zu verdanken, der solch "wunderbare Fußballabende" überhaupt erst möglich gemacht hat: dem am vergangenen Samstag gestorbenen Unternehmer und Milliardär Dietrich Mateschitz.

Mateschitz, des Erfinders des RB-Sportimperiums, wurde in der Leipziger Arena angemessen gedacht. Es gab eine Gedenkminute, in der Beifall geklatscht wurde, und dann ging es weiter mit einem Champions-League-Gruppenspiel, das vom Publikum ebenfalls mit Applaus belohnt wurde. So ein 3:2-Sieg gegen Real Madrid ist schließlich ein singuläres Ereignis in der noch jungen Unternehmenshistorie von RB Leipzig. "Das war ein toller Abend", sagte RB-Coach Marco Rose und schaute dabei so abgebrüht, als habe man sich gerade mit dem ZFC Meuselwitz oder dem FC Augsburg gemessen.

Duelle mit Real scheinen den Leipzigern besser zu liegen als Spiele gegen Teams mit beschränkten Mitteln

Andererseits: Vielleicht verkniff sich Rose ja das Grinsen, weil nach dem funkelnden Real auch wieder Gegner kommen, die weniger Spaß bereiten. Teams also, die klassischen Außenseiter-Fußball spielen und die Leipziger so oft in unangenehme Nahduelle verwickeln, bis die Edeltechniker vorne die Lust und die Abwehrspieler hinten die Ordnung verlieren. Denn mit solchen Gegnern, daran wurde Rose spätestens beim mühsam erkämpften 3:3 am Wochenende beim FCA wieder erinnert, kommt sein Team nicht wirklich gut zurecht. Duelle mit Real scheinen den Leipzigern ein bisschen besser zu liegen.

Auch im Hinspiel in Madrid war RB mehr als ordentlich aufgetreten, die Gegentore zum 0:2 fielen erst in der Schlussphase, als Real sein Effizienz- und Ernsthaftigkeitslevel auf Maximum hochgefahren hatte. Und wenn Real das tut, ist dagegen nun mal kein Kraut gewachsen. In den 70 Minuten in Madrid und in den 90 Minuten in Leipzig zeigte RB aber, was in der Mannschaft steckt, wenn Körperspannung und Konzentration stimmen. "Wir haben fleißig verteidigt und hatten eine super Zweikampfquote", lobte Rose. Zur Wahrheit gehörte zwar schon auch, dass Real am Dienstag in Luka Modric, Federico Valverde und Karim Benzema drei seiner edelsten Fußballer fehlten, weshalb das sonst so blinde Verständnis im Team zuweilen eher wie ein vorsichtiges Beschnuppern der einzelnen Mannschaftsteile aussah. "Wir haben das Spiel auf eine Art und Weise gespielt, die wir nicht wollten", monierte Real-Coach Carlo Ancelotti.

RB Leipzig in der Champions League: "Heute haben wir die Chance genutzt": Timo Werner (rechts) vollendet einen Leipziger Konter mit dem Tor zum 3:1-Zwischenstand

"Heute haben wir die Chance genutzt": Timo Werner (rechts) vollendet einen Leipziger Konter mit dem Tor zum 3:1-Zwischenstand

(Foto: Matthias Koch/Imago)

Die Leipziger wussten aber schon auch, was sie an diesem Abend machen mussten, um dem Favoriten die erste Saisonniederlage zuzufügen: Sie verwickelten Real fast so konsequent in Zweikämpfe, wie das die Augsburger zuletzt mit ihnen gemacht hatten. Nur dass sich Leipzig nicht an den eigenen Strafraum zurückzog, sondern auf ein stabiles Mittelfeldpressing setzte, das als Basis für hohe Pressinganläufe diente. "Wir haben ein ähnliches Spiel wie im Hinspiel gemacht", sagte der eingewechselte Angreifer Timo Werner, "nur heute haben wir die Chancen genutzt."

Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass die meisten dieser Chancen ein und denselben Urheber hatten: RB-Angreifer Christopher Nkunku hatte bei fast allem, was irgendwie gefährlich wurde, seine feinen Füße im Spiel, und es war fast schon konsequent von ihm, dass er sich nur beim vergleichsweise banalen Abstauber-Tor durch Gvardiol (13. Minute) vornehm raushielt. Nkunkus Aktionen beinhalteten eine derart seltene Mischung an Wucht, Eleganz und Tempo, dass sogar Ancelottis zweite Augenbraue hin und wieder nach oben gezuckt sein dürfte. Den zweiten Leipziger Treffer drosch der Franzose rustikal unter die Latte (18.). Und als Real nach dem zwischenzeitlichen Anschlusstor durch Vinicius Jr. auf den Ausgleich drängte, war es Nkunku, der an der Seitenlinie seinen Gegner austänzelte und den Ball für einen Leipziger Konter durchsteckte, den Werner zum 3:1 vollendete (81.).

Das sah verdächtig danach aus, dass Nkunku den Abend nutzen wollte, um für ein zukünftiges Engagement bei Real vorzuspielen. Doch der Eindruck täuschte: Kurz vor Schluss beging er noch ein plumpes Foul, das mit einem Elfmeter für Real und dem Treffer zum 3:2-Endstand sanktioniert wurde. Kann passieren. Es sollte sich aber in der kommenden Woche nicht wiederholen, wenn im direkten Duell mit Schachtar Donezk über den Einzug in die K.-o.-Phase entschieden wird. Ein Punkt würde den Leipzigern reichen. Und wenn das klappt, wird sicher wieder an den ZFC Meuselwitz erinnert werden.

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