MeinungBundesliga:Leipzig ringt mit der Hauskultur

Kommentar von Christof Kneer

Lesezeit: 2 Min.

Ihn wollen sie bei Leipzig nicht mehr: Jesse Marsch. (Foto: motivio/imago images)

Nach der Entlassung von Trainer Jesse Marsch geht es bei RB Leipzig um die größten Fragen: Welchen Fußball will der Verein eigentlich spielen? Und wer entscheidet darüber?

Wer auch immer diese Pointe in die große Soap Opera des Fußballs hineingeschrieben hat, muss über einen Hang zum Sarkasmus verfügen. An genau jenem Tag, an dem sich der große Fußballideologe Ralf Rangnick mit seinem Trainerdebüt in England einen Jugendtraum erfüllte, wurde seine Ideologie an genau jenem Ort abgewickelt, an dem sie besonders erfolgreich war: in Leipzig. Jenen speziellen Fußball, den Rangnick an den RB-Standorten in Leipzig, Salzburg und New York installierte, verkörperte ja in Reinkultur der Trainer Jesse Marsch, der diesen Fußball an den RB-Standorten in New York, Salzburg und Leipzig weisungsgemäß aufführen ließ.

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Es ist kein Namenswortspiel, sondern schlicht und ergreifend die Wahrheit: Bis zu seiner Entlassung hatte der Coach aus Amerika genau jenen Marsch durch die Instanzen hinter sich, den die Firmenphilosophie idealerweise vorsieht. Marsch hatte sich von RB-Filiale zu RB-Filiale hochgedient, aber der perfekte Plan passte dann leider nicht zu jener Realität, die er in Leipzig vorfand. Er übernahm nicht nur ein Team, das drei prägende Spieler verloren hatte (Dayot Upamecano, Marcel Sabitzer, Ibrahima Konaté), sondern auch eine Planstelle, die noch schwerer auszufüllen war als befürchtet. Er wurde Nachfolger von Julian Nagelsmann.

Weitet RB die Suche auf andere Trainer aus und läuft damit Gefahr, den Klub ideologisch zu entkernen?

Mit dieser Lesart der Geschichte könnten die Verantwortlichen von RB Leipzig vermutlich noch leben. Es ist ja auch ein Kompliment für den Verein, einen Trainer erkannt und besessen zu haben, der am Ende einfach zu gut war. Aber das Problem ist nicht nur, dass Leipzigs Spieler dem Trainer Nagelsmann so hinterhertrauern, wie man in der Schule dem Lateinlehrer hinterhergetrauert hat, der den Stoff viel cooler erklärt hat als der Nachfolger. Das Problem ist, dass Nagelsmann seinen Spielern eine Welt gezeigt hat, die sie bisher nicht kannten. Und die sie jetzt wiederhaben wollen.

In der kurzen Zeit seines Bestehens hat der Klub aus Leipzig seinen Kritikern eines immer entgegenhalten können: dass er sich vorbildlich an einer klar definierten Spiel- und Stilschule orientiert. Nagelsmann hat diese engen ideologischen Grenzen (Gegenpressing! Umschaltspiel!) bei RB allerdings ausgeweitet und den Blick hinüber zum Klassenfeind (Spielkontrolle! Ballbesitz!) geöffnet, und viele Spieler haben sich schnell angefreundet mit der ehemals feindlichen Idee. Sie finden es gar nicht so schlecht, auch mit dem Ball zu spielen und nicht nur gegen ihn - und so konnten sie wohl nicht warm werden mit dem Trainer Marsch, der ihnen den Ball gemäß Hauskultur wieder wegnehmen wollte.

Bei RB müssen sie jetzt Fragen beantworten, die größer kaum sein könnten. Suchen sie einen Trainer, der für den RB-Stil steht und laufen damit Gefahr, ihren Spielern wieder die alte Lehre aufzuzwingen? Weiten sie ihre Suche auf andere Trainer aus und laufen damit Gefahr, den Klub ideologisch zu entkernen? Und wer entscheidet das eigentlich in einem Klub, der gerade gar keinen Sportdirektor hat? Die Antworten auf diese Fragen dürften darüber entscheiden, ob die Leipziger das bleiben werden, was sie vorübergehend waren: ein echter Gegner für Borussia Dortmund und ein Herausforderer für den FC Bayern.

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