Als Benjamin Henrichs im Sommer 2018 nach Monaco wechselte, war Leonardo Jardim dort Trainer, ein Portugiese. Henrichs war aber kaum in Monaco angekommen, schon erwischte es diesen Trainer, der ihn hatte haben wollen. Jardim wurde im Herbst 2018 entlassen und vom Franzosen Thierry Henry ersetzt, der sich gerade ein Bild von Benjamin Henrichs gemacht hatte, als es ihn auch erwischte. Nach nur drei Monaten wurde Henry wieder entlassen, im Januar 2019 folgte ihm: Leonardo Jardim, der Portugiese, der somit Henrys Vorgänger und Nachfolger war. Als dann im Januar 2020 Anfragen für Henrichs eingingen, bestand Monacos Trainer darauf, dass Henrichs bleibt. Monacos Trainer war da aber schon nicht mehr der Vorgänger und Nachfolger. Trainer war jetzt Roberto Moreno, ein Spanier.
Das klingt kompliziert und ist es auch, und aus Gründen der Wahrhaftigkeit sollte man vielleicht noch mal kurz checken, ob man da nichts durcheinander gebracht hat. Benjamin Henrichs muss wahrscheinlich auch immer noch kurz überlegen, wer genau bis wann genau sein Trainer war.
So eine Zeit hat Henrichs also hinter sich, mit Abstiegskampf, Verletzungen und Trainern, die als Vorgänger noch gar nicht wussten, dass sie bald auch Nachfolger sein würden. Und jetzt freut sich Henrichs auf Leipzig und Julian Nagelsmann.
Leipzig leiht Henrichs für ein Jahr aus
Nagelsmann habe sehr um Henrichs gekämpft, sagt Christian Nerlinger, der frühere FC-Bayern-Manager, der inzwischen Spieler wie Henrichs berät. Dieser Satz kommt im Handbuch der geflügelten Branchenworte weit vorne, man hört ihn oft, wenn Spieler wechseln. Verein und Trainer X hätten den Spieler Y unbedingt gewollt, heißt es dann, und deshalb habe der Spieler Y beschlossen, bei Verein X "den nächsten Schritt zu machen" (dieser Satz steht im Wörterbuch ganz, ganz vorne, die Pressestellen haben ihn vermutlich im Stehsatz und müssen bei Bedarf nur Spielernamen und Vertragslaufzeit eintragen).
Aber nun, manchmal stimmen die Stehsätze halt auch. Nagelsmann hat wirklich viel vor mit Henrichs, er wollte ihn schon im Winter sehr dringend haben. Und spätestens seit der Zeit in Monaco weiß Henrichs, wie schön Bundesliga sein kann - und wie wichtig der richtige Trainer ist.
Für ein Jahr haben die Leipziger den deutschen Nationalspieler aus Monaco ausgeliehen, ein bisschen Vorsicht macht sich in Corona-Zeiten immer gut, dennoch darf sich Henrichs, 23, fast wie ein vollwertiger RB-Profi fühlen. Die integrierte Leipziger Kaufklausel sei keine allzu hohe Hürde, so ist zu hören, der Spieler muss nicht 50 von 34 Spielen machen, damit sie greift. Der Vertrag sei ein gegenseitiges Bekenntnis: Leipzig und Henrichs sind sich, auch in Corona-Zeiten, gegenseitig etwas wert.
Es ist beruhigend zu wissen, dass selbst Nagelsmann älter wird, demnächst wird er tatsächlich schon bedenkliche 33, aber das ändert nichts an seiner Rolle: Noch immer gilt er als Guru der jungen Spielergeneration, und so zeigt auch die Henrichs-Personalie, was Leipzig mit der Anwerbung dieser hippen Trainerbegabung bereits erreicht hat. Es gab Zeiten, da haben sich die Leipziger heimlich beschwert, dass junge deutsche Spieler nicht nach Leipzig gehen, beispielsweise Serge Gnabry, der den nächsten Schritt (Handbuch!) damals lieber in Hoffenheim machen wollte. Warum er das wollte? Weil Nagelsmann dort Trainer war. So wie Henrichs jetzt nach Leipzig wollte, weil Nagelsmann dort Trainer ist.
Der ehemalige Leverkusener Henrichs gilt seit Jahren als Hochbegabter, aber auch als einer, der durchaus ein bisschen Führung verträgt. "Wenn Julian Nagelsmann den Spieler hinbekommt, ist das ein Toptransfer für RB", sagt Michael Reschke, "und die Wahrscheinlichkeit, dass er ihn hinbekommt, halte ich für sehr hoch." Reschke, zurzeit Kaderplaner auf Schalke, war zuvor ein paar Jahrhunderte in Leverkusen, und in seiner Eigenschaft als Zeitzeuge ist er zuletzt oft nach den Qualitäten des jungen Kai Havertz befragt worden. Reschke hat dann geantwortet, er habe selten so einen begabten 12-, 13-Jährigen wie Havertz gesehen, "außer Benni Henrichs".
In seiner Zeit als Kaderplaner beim FC Bayern hat Reschke mal versucht, den sehr jungen Henrichs nach München zu holen, als Multifunktionstalent, das rechter Verteidiger, linker Verteidiger und im Mittelfeld spielen kann. Henrichs hatte da mit Joachim Löws gemischter A-/B-Nationalelf gerade den Confed Cup in Russland gewonnen, aber die Bayern haben es am Ende doch nicht gemacht. Guter Spieler, fanden sie, aber: kein erhöhter Bedarf.
Henrichs kultivierter Spielstil passt gut in Löws Schönheitsideal
Trainer wie Nagelsmann lieben Spieler, die sie von rechts nach links oder in die Mitte schieben können, gerne auch innerhalb eines einzigen Spiels. Bei RB ist Henrichs wohl vor allem für die rechte Flanke vorgesehen, Lukas Klostermann könnte dann weiter innen spielen. Mit der ihm eigenen gepflegten Neugier dürfte Jogi Löw verfolgen, wie gut der Kollege Nagelsmann den Henrichs hinbekommt, für die Außenverteidigung bezieht Löw sein Personal ohnehin vorwiegend aus Leipzig (Klostermann, Halstenberg). Henrichs kultivierter Spielstil passt gut in Löws Schönheitsideal, und so könnte der neue Leipziger zu jenen Profis gehören, die von der coronabedingten Verlegung der Europameisterschaft profitieren. Beim DFB, heißt es, stünden Henrichs alle Türen für eine Rückkehr offen.
So haben die Leipziger ein Geschäft gemacht, das sich geradezu als Schnäppchen in der Corona-Krise verkaufen lässt. Für einmal Geld haben sie gleich drei Spieler geholt, den Rechtsverteidiger Henrichs, den Linksverteidiger Henrichs, den Mittelfeldspieler Henrichs. Und im Preis inbegriffen war auch noch der Dolmetscher für die Abwehrkollegen Upamecano und Konaté: Dank seiner Zeit in Monaco spricht Henrichs ausgezeichnet Französisch.