Leipzig und der Fußball:Die Dose als Puzzlestück

Leipzig und der Fußball: Der Höhepunkt der Vermarktungsmaschine eines Brausefabrikanten: RB-Leipzig-Spieler André Silva präsentiert den Fans den DFB-Pokal.

Der Höhepunkt der Vermarktungsmaschine eines Brausefabrikanten: RB-Leipzig-Spieler André Silva präsentiert den Fans den DFB-Pokal.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Goethe, Luther, friedliche Revolution: Ausgerechnet in der traditionsreichen Stadt Leipzig feiert ein erst 13 Jahre alter Verein seinen ersten Pokal. Das passt allerdings zur Gesellschaft.

Kommentar von Saskia Aleythe

Rot angestrahlt leuchtete am Samstagabend der Leipziger Hauptbahnhof in die Nachbarschaft, darauf ein Schriftzug, mit dem sich RB Leipzig als Pokalsieger feierte: "You can do anything", du kannst alles schaffen. Auch der Uni-Riese, das ikonische Hochhaus neben der fast 613 Jahre alten Universität, trug die Zeilen; es hatte sich jetzt jeder für Fußball zu interessieren. Und dass RB Leipzig "alles schaffen kann", das hatte ironische Nuancen, denkt man an die Entstehungsgeschichte des Konstrukts, das es entgegen allen Statuten in den Profifußball geschafft hatte. Am Sonntag zogen schließlich mehr als 30 000 Menschen durch Leipzig, rote Bullen überall, das war auf den ersten Blick eins: der Höhepunkt der Vermarktungsmaschine von Red-Bull-Eigner Dietrich Mateschitz, der nun eine ganze Stadt in seinen Farben aufleuchten sah. Ein gigantischer neureicher Werbegag vorbei an Goethes Auerbachs Keller und unweit der Thomaskirche, wo Martin Luther einst predigte.

Leipzig hat zahlreiche geschichtsträchtige Orte (den Augustusplatz mit seiner friedlichen Revolution! Das Völkerschlachtdenkmal!); und man kann das so sehen: Die Geschichte prägt nun auch RB mit. In 500 Jahren werde RB nur noch 100 Jahre jünger sein als Borussia Dortmund, hat Ralf Rangnick, einst prägender Sportdirektor des Projekts, mal gesagt. Und es stimmt ja: RB hat ein Gefühl zurück in die Stadt gebracht, das mancher vermisste.

Als der Klub 2009 vom österreichischen Investor geboren wurde, bot der Fußball für feiernde Massen in den Straßen wenig Anlass. Lok Leipzig, einer der erfolgreichsten Vereine der DDR, spielte nach der Wiedervereinigung für ein Jahr als VfB Leipzig immerhin kurz in der Bundesliga, dann folgten gleich zwei Insolvenzen. Auch Stadtrivale Chemie konnte sich nicht wieder im Profifußball etablieren. Der Leipziger Fußball war abgeschlagen und mitunter ein Hort der Abgehängten und der Radikalen, links und rechts durchwandert.

Wer ohne Krawalle ein Spiel auf hohem Niveau gucken wollte, womöglich noch mit Familie, dem fehlten die Optionen. RB hat - mit völlig anderen Zielen - diese Lücke gefüllt und findet deshalb auch seine Anhänger. Dass es dem Brausefabrikanten bei seiner Ansiedlung gar nicht um die Wiederbelebung des Ostens ging, ist mittlerweile allen egal, die am Sonntag die Mannschaft bejubelten, die den DFB-Pokal gegen Freiburg gewonnen hatte. Von 1860 München, Fortuna Düsseldorf und dem FC St. Pauli hatte sich Mateschitz einst eine Abfuhr geholt, sonst würde man nun dort den Pokal durch die Gassen fahren.

Der RB-Geist passt zu Leipzig: Dort wird gut Geld verdient

So wie man den Verein hoch verachtenswert finden kann, ist er doch ein Puzzleteil der gespaltenen Gesellschaft. Er repräsentiert die, die in allen Belangen mitmischen wollen in der Liga der Großen, notfalls mit allen Mitteln. Der RB-Zeitgeist passt zu anderen Entwicklungen in der Stadt. In den vergangenen zehn Jahren hat Leipzig 100 000 Einwohner gewonnen, die Mieten der sächsischen Großstadt sind entsprechend in die Höhe geschossen wie der Umsatz der Brause. Dass sich in Leipzig gut Geld verdienen lässt, hat nicht nur Mateschitz erkannt, sieht man sich die Innenstadt an, selbst im Institutsgebäude der fast 613 Jahre alten Uni wohnen jetzt amerikanische Kaffee- und Modeketten. Gentrifizierung ist auch ein ostdeutsches Phänomen. Gut situierte Intellektuelle haben Leipzig längst für sich entdeckt, sozial Benachteiligte rücken notgedrungen an die Ränder.

RB Leipzig hat viele Anhänger aus den umliegenden Regionen, aber noch mehr Feinde im Osten, die das Projekt aus genannten Gründen ablehnen. "You can do anything" gilt dann eben doch nicht. Vielleicht in 500 Jahren.

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