Süddeutsche Zeitung

RB Leipzig:"Coltooorti!"

Weil der Torwart in letzter Minute trifft, darf Leipzig doch noch vom Durchmarsch in die Bundesliga träumen. Der Schütze sagt: "Tore zu schießen ist schöner als Tore zu verhindern."

Von Guido Schäfer, Leipzig

Als Fabio Coltorti im Sommer 2012 zu RB Leipzig stößt, prallen Fußball-Welten aufeinander. Hier der weit gereiste ehemalige Nationaltorhüter der Schweiz, da ein Viertligist, der auf so spannende Gegner wie Meuselwitz, Neustrelitz und Plauen trifft. Wer anno 2012 wissen will, wie fit und gut der 1,97-Meter-Mann ist, muss das Training der Roten Bullen besuchen. Denn in den meisten Partien hätte Leipzig einen Stuhl ins Tor stellen können. "Coltorti und Regionalliga - das ist wie Bruce Willis und Heidi Kabel", dichtete die Leipziger Volkszeitung, "das passt nicht zusammen." Ein langer Gehaltsstreifen und die Aussicht auf leibhaftigen Profifußball lindert Coltortis Trennungsschmerz von der Familie, die in Marbella residiert.

Zwei Aufstiege später ist Leipzig zurück auf der Fußball-Landkarte, kann Coltorti das tun, was in der Stellenbeschreibung eines Profis seiner (Gehalts-)Klasse steht: Bälle halten, Stürmer ab- und erschrecken, Punkte retten. Dass RB Leipzig noch im Aufstiegsrennen ist, hat viel mit dem Hünen im Kasten zu tun. Torwarttrainer Perry Bräutigam, 51, sagte vor dem Spiel gegen Darmstadt: "Fabio ist in der Form seines Lebens, der kann noch mit 40 spielen."

Vom Gegner freundlich begrüßt

Nach dem Spiel hat die Stadt der Helden einen Helden mehr: einen Fußball-Helden mit Alleinstellungsmerkmal. Die letzte Aktion der Partie: Eckball für RB, es steht 1:1, der Aufstieg ist in weiter Ferne. Der 20-jährige Joshua Kimmich, er wechselt im Sommer zum FC Bayern, winkt Coltorti nach vorne. Der 100-Kilo-Mann setzt sich in Bewegung, wird im Darmstädter Fünfmeter-Raum von Dominik Stroh-Engel begrüßt. Der Darmstädter Stürmer gibt dem Leipziger Keeper einen durchaus freundlichen Klaps und verharrt dann wie angewurzelt am ersten Pfosten. "Dass Stroh-Engel nicht rausrückt, haben wir in der Videoanalyse gesehen", wird Coltorti später zu Protokoll geben.

Die Ecke segelt rein, der Ball fällt dem Ausflügler vor die Füße. Abseits? Nein, Stroh-Engel hebt es auf. Muss Coltorti sich blitzschnell drehen? Nein, er hat jede Menge Zeit, bringt seinen mächtigen Körper in Stellung, guckt Christian Mathenia aus, schiebt zum 2:1 ein. Das Spiel wird nicht mehr angepfiffen, Leipzig, das in dieser Partie 0:1 zurück lag, ist zurück im Aufstiegsrennen.

In einer Reihe mit Lehmann, Rost und Hitz

Coltorti wird von den Kollegen erst begraben, dann auf Händen im Triumphmarsch getragen. Das Stadion bebt, Sportdirektor Ralf Rangnick und Vorstandsboss eilen im Stechschritt von der VIP-Loge aufs Grün. 25.000 Fans feiern noch eine halbe Stunde nach Ultimo ihren "Coltooorti". Der hat den "emotionalsten Moment" seiner Karriere erlebt, ist heilfroh, dass Siegtor und Abpfiff zusammen fielen. "Zurück ins Tor hätte ich es nicht mehr geschafft." Dass er sich in die Geschichtsbücher eingetragen hat, ist dem Mann zunächst nicht bewusst. Jens Lehmann (1997 für Schalke beim 2:2 in Dortmund), Frank Rost (2002 für Bremen gegen Rostock) und Marwin Hitz (in diesem Februar beim Augsburger 2:2 gegen Leverkusen) trafen zwar auch aus dem Spiel heraus, aber Coltorti ist der erste Torhüter der Bundesligen eins und zwei, dem dabei der Siegtreffer gelang. "Dann bin ich wohl jetzt berühmt", sagt er, der Gefallen gefunden hat an seiner neuen Tätigkeit: "Tore zu schießen ist schöner als Tore zu verhindern. Ich bin froh, das erlebt zu haben."

Dass er sich via Blickkontakt das Okay seines Trainers Achim Beierlorzer geholt hatte, ist eine Mär. "Ein Unentschieden hätte uns nix gebracht. Als Jo rief, bin ich losgerannt." Auch bei der Abendgestaltung bleibt der Interimscoach, der beste Chancen auf eine Cheftrainer-Anstellung hat, außen vor. "Die Jungs sollen feiern, das haben sie sich verdient", sagt Beierlorzer. Fabio Coltorti führt seine Truppe ins Leipziger Nachtleben. Wie sich der Ausgleich des Flüssigkeitshaushaltes gestaltet? "Wir werden jedenfalls keinen grünen Tee trinken."

Dass Coltori jetzt zum Wiederholungstäter wird, ist übrigens nicht zu erwarten: "Das sind fast 100 Meter bis nach vorne", sagt der 34-Jährige, "in meinem Alter schafft man das nicht so oft."

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SZ vom 26.04.2015
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