Süddeutsche Zeitung

Champions League:Leipzig fliegt mit Engelsflügeln ins Achtelfinale

RB brilliert beim 3:2 gegen Manchester United, vor allem Angeliño zeigt eine bemerkenswerte Vorstellung. Erst ein skurriler Elfmeterpfiff macht das Spiel wieder spannend.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Die Stadt Leipzig ist eng verbunden mit Johann Sebastian Bach, einem Meister des Barocks. Wer weiß, ob Angeliño sich um derartige Feinheiten seiner aktuellen Wahlheimat schert. Und selbst wenn: Nachdem er am Dienstagabend die Arena betreten hatte, lieferte der Linksverteidiger im abschließenden Gruppenspiel der Champions League gegen Manchester United eine Ouvertüre, die eher an Beethoven erinnerte.

Eine Minute und 50 Sekunden dauerte es, da hatte Angeliño auf seiner linken Angriffsseite eine unendliche Prärie entdeckt. Und genau dorthin servierte ihm Kapitän Marcel Sabitzer den Ball, mit einem präzisen Flankenwechsel. Der Spanier jagte ihn per Direktabnahme in Richtung des zweiten Pfostens und traf - mit einem beethovenschen Tatata-taaaaa - zu einer Führung, die nicht nur einem 3:2-Sieg den Weg ebnete, der das Tor zum Achtelfinale aufstieß. Sondern die auch ein Spektakel entfesselte, das Leipzigs Schmach von Old Trafford (0:5) vergessen ließ - auch wenn die Partie chaotisch endete.

Die einzige Frage, die bei Spielschluss offen blieb: Ob RB Leipzig als Gruppenerster in die K.-o.-Runde einzieht. Wegen eines Eklats im zweiten Spiel der Gruppe H. Die Partie zwischen Paris Saint-Germain und Basaksehir Istanbul war beim Stand von 0:0 unterbrochen. Die türkische Mannschaft warf dem vierten Offiziellen aus dem rumänischen Schiedsrichterteam vor, den Assistenztrainer Basaksehirs, Pierre Webo, rassistisch beleidigt zu haben, nachdem der Kameruner die rote Karte gesehen hatte. Die Partie wurde am Dienstag nicht wieder aufgenommen. Sie wird am Mittwochnachmittag ab 18.55 Uhr zu Ende gespielt.

Das waren atmosphärische Störungen von einer Dimension, die sogar jene in den Schatten stellten, die bei Manchester United für Wirbel gesorgt hatten. Trainer Ole Gunnar Solksjaer hatte auf den französischen Weltmeister Paul Pogba verzichtet, nachdem Pogbas Manager Mino Raiola in einem Interview angekündigt hatte, dass sein Klient noch im Winter Manchester den Rücken kehren will. Doch wer die ersten 25 Minuten der Leipziger und vor allem den völlig entfesselten Angeliño sah, konnte seine Zweifel haben, dass der beste Pogba irgendetwas hätte verhindern können.

Nach der frühen Führung ließ Leipzig dem englischen Rekordmeister nicht nur keine Luft zum Atmen. Schon in der 13. Minute kamen die Leipziger zu ihrem zweiten Treffer, und wieder hatte Angeliño, dessen Name übersetzt Engelchen heißt, seine Füße im Spiel. Diesmal war er es, der die Flanke wechselte und Amadou Haidara bediente - der Rechtsverteidiger traf volley. Angeliño stellte danach die Produktion nicht ein: Er bediente Emil Forsberg, der allein aus kurzer Distanz per Außenrist nur knapp am Tor vorbeizielte. Für kurze Zeit wähnte sich Leipzig dann tatsächlich in Besitz eines dritten Treffers. Doch ein Abstaubertor von Willi Orban wurde vom Schiedsrichter wegen Abseits aberkannt. Erst danach nahm man von Manchester United Notiz - Leipzig verlor die absolute Kontrolle über die Partie. Doch Mason Greenwood vergab bei einem Konter die einzige nennenswerte Chance.

Nach der Pause mühte sich Manchester United redlich, das Spiel in die Hälfte Leipzigs zu verlagern. Klarheit wohnte den Aktionen aber nicht inne, während die Leipziger es sich rund um den eigenen Strafraum einrichteten. Zur 55. Minute reagierte Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann: Er brachte in Yussuf Poulsen und Justin Kluivert zwei frische Offensivkräfte, um die Engländer zu beschäftigen. Solksjaer, der nach der Halbzeit schon van de Beek für den enttäuschenden Alex Telles gebracht hatte, antwortete mit der Hereinnahme von Pogba und Brandon Williams (60.). Zur Beruhigung der Partie trug das nicht bei. Bruno Fernandes versuchte sich daran, die Hauptdarsteller-Rolle an sich zu reißen - erst mit einem Fernschuss, den Leipzigs Torwart Peter Gulacsi parierte (66.), dann mit einem Freistoß aus 17 Metern, der an der Latte landete (68.). Das rief wieder Angeliño auf den Plan.

Erst fegte er in Nähe des englischen Strafraums über den Boden und erkämpfte sich den Ball, dann schoss er ihn ohne erkennbar konkrete Pläne in den Strafraum. Sein Spielkamerad Christopher Nkunku fälschte ihn ab, so dass er im Fünfmeterraum landete. Der eingewechselte Kluivert war dort schneller am Ball als Manchesters Torwart David De Gea und traf zum 3:0 (69.).

Manchester schöpfte in einer wilden Schlussphase Hoffnung, wegen De Geas spanischem Landsmann Antonio Mateu Lahoz, der in der Heimat als Schiedsrichter dafür bekannt ist, skurrile Entscheidungen zu treffen wie diese: Er gab bei einem harmlosen Zweikampf zwischen Leipzigs Konaté und Greenwood Elfmeter. Fernandes verwandelte sicher (80.). Danach verkürzte Pogba, der Verfemte, per Kopf nach einem Eckball zum 2:3 (82.). Und ließ Leipzig leiden. Fast hätte Leipzigs Mukiele in der Nachspielzeit ins eigene Tor getroffen. Doch wegen der Show Angeliños hatte die Partie keinen anderen Sieger verdient als Leipzig.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5141971
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/cca
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.