Zum Tod von Ray Kennedy:Der Junge aus der Bonbonfabrik

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"Sein linker Fuß hätte Pythagoras zum Nachdenken gebracht": Ray Kennedy im Trikot des FC Liverpool. (Foto: Imago)

Ray Kennedy war ein Fußballer, der das Meer wogen ließ - ehe er 35 Jahre gegen die Parkinson-Krankheit kämpfen musste. Einer der wahren Helden des FC Liverpool ist nun gestorben.

Nachruf von Holger Gertz, München

Auch der eine oder andere Bayern-Fan, der schon länger dabei ist, könnte sich wenigstens im Tiefenrauschen an diesen Spieler erinnern. Ray Kennedy hat ihnen schließlich einmal sauber den Abend versaut, im April 1981. Europapokal-Halbfinale, Bayern vs. Liverpool, ein Klassiker zu Zeiten, als diese Spiele noch nicht Standardprogramm in der Champions League waren, sondern rare Highlights. Hinspiel 0:0, alles drin für Bayern, aber dann war es Kennedy, der in der 83. Minute den Ball mit der Brust annahm und an Walter Junghans vorbei in den Kasten beförderte.

"Das ist eine Enttäuschung", sagte Dieter Kürten live im ZDF: "Spontan springt alles auf und verlässt das Stadion." Es war die Zeit, als das selbstbewusste deutsche Publikum sich wunderte über den starken englischen Vereinsfußball - wo doch die englische Nationalmannschaft immer so berechenbar erfolglos war.

Raymond "Ray" Kennedy aus Northumberland, in seiner Jugend Arbeiter in einer Bonbonfabrik, war eine Stütze der Liverpooler Mannschaft jener Epoche. 1974 war er für knapp 200 000 Pfund von Arsenal London gekauft worden und unterschrieb seinen Vertrag an jenem Tag, an dem Trainergott Bill Shankly zurücktrat, der ihn allerdings noch selbst gecastet hatte und vermutete: "Vielleicht wird man irgendwann sagen: Das Letzte, was ich für den Verein getan habe, war, diesen großartigen Spieler zu holen."

Bei Arsenal noch Mittelstürmer (im Bild), wurde Ray Kennedy beim FC Liverpool zum Mittelfeldspieler umdekoriert. (Foto: dpa)

Wenn es darangeht, sich an jemanden zu erinnern, bietet das Netz bestes Anschauungsmaterial, und gerade ist Twitter voller Bilder und Sequenzen. Herrliche englische Stadien der Siebziger, die Plätze im Strafraum wie Äcker, die Fans ganz dicht. Und Kennedy, immer wieder Kennedy mit seinem hochpräzisen linken Fuß, über den der Autor Leo Moynihan geschrieben hat: "Sein linker Fuß hätte Pythagoras zum Nachdenken gebracht." Und wenn er traf, übertrug sich die Energie vom Rasen auf die Tribüne, dann vibrierte die jubelnde Männertraube auf dem Platz, und auf den Rängen wurden die gedrängt stehenden Leute zum wogenden Meer.

Die Krankheit hat Kennedy fertiggemacht, wie viele Fußballer früher war er nicht gut versichert

Kennedy war bei Arsenal Mittelstürmer gewesen und wurde in Liverpool zum Mittelfeldspieler umdekoriert. Aber er blieb ein Garant für Erfolg. Mit Arsenal das Double, mit Liverpool fünf Mal Meister, drei Mal Europacup der Landesmeister. Er ließ das Meer wogen und freute sich über seine Tore, auf den alten Bildern ist da immer dieser stabile Mann mit dem Jungsgesicht. Sein Mitspieler Mark Lawrenson hat über ihn gesagt: "Das Tolle an Ray war, dass er ein so sanftmütiger Kerl war. Für ihn war alles leicht."

Aber irgendwann, da war er schon zu Swansea gewechselt, war es dann nicht mehr leicht, und die Fans riefen: "Lauf endlich!" Aber Kennedy konnte nicht mehr laufen wie früher, er hatte Schwierigkeiten sogar beim Autogrammeschreiben. Zum Arzt also, Diagnose: Parkinson. Mitte der Achtziger war das, seitdem hat Ray Kennedy gegen die Krankheit gekämpft, mehr als 35 Jahre lang. Auf Youtube gibt es die Doku "Ray of Hope" aus den frühen Neunzigern, da sieht man den noch jungen Kennedy, schon gezeichnet. Er wischt sich das Wasser von der Stirn, er schwitzt, andererseits "fühlt sich das an, als wäre mein Gesicht gefroren", sagt Ray Kennedy. Selten hat man das so schmerzhaft vorgeführt bekommen: Wie einem Sportler, dessen Kapital der Körper war, dieser Körper fremd zu werden beginnt.

Parkinson hat ihn fertiggemacht, die Medikamente haben ihm zugesetzt, er war (wie viele Fußballer früher) nicht gut versichert, bekam finanzielle Probleme. Aber sein Umgang mit Parkinson hat dazu beigetragen, die Krankheit zu enttabuisieren, wie das dann immer heißt. Kennedy wurde, wenn er öffentlich auftrat, mit Wärme umfangen. Und er traf Muhammad Ali, ebenfalls Parkinson-Patient, eine Begegnung mit Hindernissen. "Ich musste zwei Stunden warten auf eine spezielle Audienz mit Ali. Aber es hat sich gelohnt."

Wie am Dienstag bekannt wurde, ist Ray Kennedy jetzt gestorben, unter den vielen Liverpooler Legenden einer der wahren Helden. Er wurde 70 Jahre alt.

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