"Wir können uns in der größten Kneipe der Stadt treffen", sagt Stefan Niemeyer. Im Rasta Dome, der 3140 Menschen fassenden Spielstätte des Basketballklubs Rasta Vechta. Fünf Theken gibt es dort einschließlich jenes Tresens im kürzlich von 180 auf 260 Plätzte ausgebauten Vip-Bereiches. Wenn die Spiele des Bundesliga-Aufsteigers beendet sind, geht es da erst richtig los. Dann kommen auch jene Leute, die kein Ticket mehr bekommen haben, in die fast immer ausverkaufte Arena. Basketball "ist in Vechta ein gesellschaftliches Ereignis", da werde die Gemeinschaft gepflegt, sagt Niemeyer. Er ist der Geschäftsführer des Vereins, den man mit gebührendem Respekt durchaus als "Dorfklub" bezeichnen kann.
So viel gibt es ja sonst nicht in der Kreisstadt im oldenburgischen Münsterland. Okay, der Stoppelmarkt im August, eine Art kleines Oktoberfest, zieht mit seiner 700-jährigen Tradition jedes Jahr bis zu 800 000 Leute an. Ansonsten ist die Region zwischen Osnabrück und Oldenburg ländlich. Sie ist das "Silicon Valley der Tierproduktion", sagt Niemeyer, der auch der Inhaber eines großen Tierfuttermittel-Herstellers ist.
Niemeyer, 58, ist quasi der Dietmar Hopp von Vechta. Er spielte selbst Basketball in Vechta - wie einst der Mäzen Hopp Fußball bei der TSG Hoffenheim. Er baute vor sieben Jahren mit Hilfe der Stadt den Rasta Dome aus und eine Trainingshalle daneben. Niemeyer ist nicht nur mit seinem Unternehmen Hauptsponsor, sondern auch der Besitzer der Rasta-Sport-Marketing-GmbH, welche die Lizenz für die Bundesliga innehat. "Herr Kind würde sich freuen", sagt der Unternehmer in Bezug auf Martin Kind, den nach mehr Macht strebenden Präsidenten von Hannover 96. Im Basketball gilt die aus dem Fußball bekannte 50+1-Regel nicht, nach der immer der Verein und nicht ein Geldgeber die Mehrheit haben muss.
Und nun erlebt Rasta Vechta einen Aufschwung, den wohl niemand erwartet hatte. Tabellenplatz drei nimmt der Aufsteiger nach zuletzt neun siegreichen Spielen ein - selbst beim Ex-Meister Bamberg siegte das Team im Januar 85:67. Am Sonntag gelang danks eines feurigen Spielbeginns beim 86:81 in Bayreuth der nächste Erfolg. Neben dem FC Bayern (19 Siege am Stück) ist Vechta tatsächlich das heißeste Team der Liga. Wie kommt es, dass jener Klub, der 2013 erstmals die Bundesliga enterte, sofort wieder abstieg und das gleiche noch einmal 2016/17 (mit nur zwei Siegen) wiederholte, nun plötzlich ein Aspirant für die Playoffs ist?
2013 wurden die Niedersachsen noch als Exot begrüßt, weil sie 1979 von Schülern der Basketball-AG des Gymnasiums Vechta gegründet wurden und ihren Namen tragen, weil bei der Gründungssitzung das Lied "Rastaman Vibration" von Bob Marley lief.
Außenseiterrolle in ein System gegossen
Das hat auch damit zu tun, dass aus dem einstigen Hobby- ein richtiger Profiklub geworden ist. Inzwischen hat der Verein auch einen Athletik-Coach und einen Teammanager eingestellt. Und bei der Trainerpersonalie, die durchaus "ein Risiko" war, wie Niemeyer einräumt, hat man großes Glück gehabt. Statt des erfahrenen Aufstiegs-Coaches Doug Spradley setzte man auf seinen Assistenten Pedro Calles, einen 35-jährigen Spanier. Das Phänomen ist: Calles spricht noch wenig Deutsch (Lieblingssatz: "Das Kollektiv muss besser werden"), sein Englisch ist ebenfalls ausbaufähig, aber die Mannschaft folgt ihm.
Die Außenseiterrolle hat er in ein Spielsystem gegossen, in dem das Verteidigen im Mittelpunkt steht. Die aggressive Balljagd lässt auch den Point Guard des Gegners das komplette Spiel über nicht in Ruhe. Rasta ist das Team mit den meisten Ballgewinnen der Liga. Und vermutlich profitiert Calles auch von dem Mittelweg, den man diesmal eingeschlagen hat. 2013 ließ man praktisch das Aufstiegsteam zusammen, weshalb im Laufe der Saison der Rückstand zu groß wurde. 2016 tauschte der damalige Trainer Andreas Wagner fast die komplette Mannschaft aus, was ebenfalls schiefging. Calles schaffte es, eine Mischung aus alten und neuen Profis zu einer Einheit zu formen.
So hat Josh Young schon eine Rasta-Geschichte hinter sich. Er führt das Team als Kapitän an und gilt als verbindendes Element im Kader. Schon vergangenes Jahr hat er viel dazu beigetragen, dass "mit dieser Mannschaft sogar der Busfahrer aufgestiegen wäre", wie der frühere Fußballprofi Ansgar Brinkmann witzelte, der zuweilen Zuschauer ist. Dazu erwiesen sich zwei Zugänge als gewaltige Verstärkung: Aus Griechenland kam der Aufbauspieler Thomas Joseph, genannt T. J. Bray, von Kolossos Rhodos. Er stellte in dieser Saison mit 36 Punkten im Hinspiel gegen den Mitteldeutschen BC den bisherigen Punkterekord auf und ist einer der besten Assistgeber der Liga. Davon profitierte besonders Austin Hollins als Topscorer. Noch immer wundert sich Niemeyer, dass der einst für Gießen spielende Forward sich für Vechta entschieden hat.
Denn Vechta ist für den Rasta- Geschäftsführer so etwas wie das "Freiburg im Fußball". Mit 2,8 Millionen Euro Etat, zu dem außer ihm noch 175 Firmen der Umgebung beitragen, liegt man in der Finanz-Tabelle ganz unten. Es könne sein, dass man immer mal wieder in der ProA, also der zweiten Liga spiele. Aber auch da könne man die Begeisterung für den Basketball erhalten, sagt Niemeyer. Das ist für ihn noch wichtiger als der derzeitige Tabellenplatz.
