Rassismus-Skandal im Basketball:Gänsehaut für die Geschichtsbücher

Rassismus-Skandal im Basketball: Basketball-Fans in Los Angeles: Gemeinsam gegen Rassismus

Basketball-Fans in Los Angeles: Gemeinsam gegen Rassismus

(Foto: AP)

"We are one!": 20.000 Zuschauer setzen in der Partie der Los Angeles Clippers gegen die Golden State Warriors ein bewegendes Zeichen gegen Rassismus. Als es um weit mehr als Sport geht, stehen NBA und Bürger zusammen - und sorgen für einen denkwürdigen Tag der Sportgeschichte.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Leise ist es im Staples Center, dieser prächtigen Sportarena im Stadtzentrum von Los Angeles. In den Katakomben stehen die Spieler der Clippers, sie umarmen sich, sie legen die Arme auf die Schultern des Kollegen. DeAndre Jordan reckt seine rechte Faust nach oben, Blake Griffin spricht mit geschlossen Augen ein paar Worte, es ist mehr Gebet denn Motivationsrede. Dann laufen sie nach draußen, der Stadionsprecher brüllt: "We! Are! One!" Es wird laut. Sehr laut. 115 Dezibel zeigt das Messgerät an. Wohlgemerkt: Die Clippers haben noch nicht gewonnen, sie haben lediglich das Spielfeld betreten.

Bisweilen wird der Sport ja überhöht, ihm wird eine gesellschaftliche oder gar politische Bedeutung zugeschrieben, obwohl es letztlich meist doch nur ein Wettkampf durchtrainierter Menschen ist. An diesem Abend in Los Angeles jedoch, da hatte Sport tatsächlich eine gesellschaftliche und politische Relevanz, es ging bei der Partie zwischen den Los Angeles Clippers und den Golden State Warriors um weit mehr als nur um Basketball. Es ging um den Umgang mit Rassismus, um die Reaktion der Menschen auf einen der größten Skandale in der Basketballliga NBA, ja der amerikanischen Sportgeschichte.

Am Morgen hatte NBA-Chef Adam Silver den Eigentümer der Clippers, Donald Sterling, auf Lebenszeit aus der Liga ausgeschlossen. "Er darf keine Spiele besuchen, das Vereinsgelände der Clippers nicht mehr betreten, keine Geschäftsentscheidungen treffen und an keinen Meetings der Eigentümer teilnehmen", sagte Silver während einer Pressekonferenz in New York. Zudem verhängte er eine Geldstrafe in Höhe von 2,5 Millionen US-Dollar - die höchstmögliche Strafe laut NBA-Statuten. In der Liga sei kein Platz für einen Rassisten wie Sterling: "Wir werden nicht zulassen, dass uns die intoleranten Ansichten einer einzelnen Person definieren."

Gönner sportlicher Sklaven

Sterling war auf einer Aufzeichnung zu hören, wie er im Gespräch mit seiner Freundin diskriminierende Bemerkungen macht. "Er hat zugegeben, dass es sich um seine Stimme handelt", sagte Silver. Unter anderem beschwerte sich Sterling darüber, dass seine Freundin sich öffentlich mit Menschen mit schwarzer Hautfarbe in der Öffentlichkeit zeigte ("Musst Du das tun?") und dass sie gemeinsam mit Afroamerikanern Partien seines Klubs besuchte ("Bring' sie nicht zu meinen Spielen!"). Zudem äußert er sich überaus arrogant über seine Rolle als Eigentümer und seine Beziehung zu den zahlreichen schwarzen Spielern im Kader ("Ich gebe ihnen Essen, ich gebe ihnen Kleidung, ich gebe ihnen Häuser"), er gerierte sich als Gönner sportlicher Sklaven.

Der Furor war groß, nicht nur in der NBA - selbst US-Präsident Barack Obama schaltete sich ein. Die Akteure der Clippers protestierten beim Auswärtsspiel gegen die Warriors am Sonntag stumm gegen den Eigentümer ihres Vereins, sie trugen ihre Aufwärmkleidung auf links, um den Clippers-Schriftzug zu verbergen. Die Miami Heat und LeBron James solidarisierten sich mit der gleichen Aktion, die Akteure anderer Vereine (darunter auch Dirk Nowitzki von den Dallas Mavericks) trugen bei ihren Partien schwarze Socken, um ihre Solidarität zu symbolisieren. Die einhellige Meinung der Spieler: Sterling ist als Vereinsbesitzer untragbar.

Deshalb war noch wichtiger als die harte Strafe, dass Silver die Vereinsbesitzer aufforderte, Sterling die Eigentümerschaft über die Clippers zu entziehen und den Verkauf des Klubs zu forcieren: "Wir werden sofort beginnen, diesen Prozess umzusetzen." Er zeigte sich zuversichtlich, die notwendige Drei-Viertel-Mehrheit zu erreichen.

"Es ging heute nicht um Basketball"

Silvers Entscheidung war ein erster, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Einwohner von Los Angeles machten am Dienstag den zweiten, nicht minder wichtigen Schritt. Die Frage war nämlich: Wie würden die Menschen in einer der vielseitigsten Städte der Vereinigten Staaten reagieren? Würden sie überhaupt kommen?

Die Antwort war eindeutig: Sie kamen - und sie reagierten. Es war eine Demonstration gegen Rassismus und jede Form der Diskriminierung. "Es war unglaublich", sagte Clippers-Trainer Doc Revers danach: "Es ging heute nicht um Basketball, es ging um Los Angeles. Heute wollten nicht nur die Spieler herausragen, sondern alle Menschen." Bürgermeister Eric Garcetti empfängt am Nachmittag auch Lakers-Spieler wie Steve Nash im Rathaus, er sagt: "Wenn sich derart viele Lakers für die Clippers einsetzen, dann weiß man, dass in LA gerade etwa passiert."

Mehr als drei Stunden vor dem Spiel kommen die ersten Fans zum Staples Center. Einer steht unter der Magic-Johnson-Statue, in der linken Hand hält er Amerika-Fähnchen, in der rechten ein Schild, auf dem steht: "There is no place for racism in this world." Er wird sogleich umarmt von einer Frau, die ein T-Shirt mit der Aufschrift "Everyone is different" trägt. Hinter ihnen tanzt einer mit einem Rise-above-hate-Pulli. Die Hautfarbe der drei? Jetzt wirklich? Interessiert das jemanden?

Ebenfalls da: Rochelle Sterling, die Ehefrau des gesperrten Eigentümers, sie wird von sechs Bodyguards begleitet. "Ich dulde seine Aussagen nicht", sagt sie. Clippers-Trainer Rivers äußert sich später zum Besuch: "Es ist für sie auch eine harte Zeit, sie hat nichts falsch gemacht. Sie hat mich gefragt, ob sie kommen darf - sie wollte die Spieler wissen lassen, dass sie sie liebt. Ich denke, es war die richtige Geste."

An der Straßenecke vor der Arena verkaufen zwei Männer T-Shirts. "Gutes Geschäft heute, die Leute kaufen wie verrückt", sagt einer. Er hat aber auch besondere, dem Anlass angemessene Exemplare im Sortiment. "Schauen Sie, das ist mein Verkaufsschlager", sagt er und präsentiert ein T-Shirt, auf dem vorne "Love the Clippers" steht. Auf der Rückseite: "F..k the owner!"

Packendes Duell

Bürgermeister Garcetti ist auch da, er sagt: "Wir sind heute ein Team, das nicht nur zum Ausdruck bringt, wogegen wir sind - Rassismus, Hass, Fanatismus, Intoleranz -, sondern auch, wofür wir sind: Wir sind hier wegen des großartigen Basketballs."

Den zeigen die Clippers und die Warriors an diesem Abend, wie schon bei den Spielen zuvor liefern sie sich vor knapp 20.000 Zuschauern (die Arena ist ausverkauft) ein packendes, ein spannendes, ein intensives Duell. Vor allem die Ein-Mann-Büffelherde DeAndre Jordan - der mit der erhobenen rechten Faust vor der Partie - schafft es mit wilden Aktionen und martialischen Gesten, die Massen zu elektrisieren; der notorisch schwache Freiwerfer trifft plötzlich sogar einige dieser Versuche. Am Ende schafft er 25 Punkte und 18 Rebounds. "Am Sonntag, das waren nicht die Clippers - heute schon", sagt Jordan nach der Partie.

Gegen Ende des Spiels gibt es einen Moment, bei dem nur jene Menschen in der Arena keine Gänsehaut bekommen, denen die Natur Eiswasser statt Blut in die Venen gekippt hat. Nur noch 85:81 steht es acht Minuten vor Schluss, die Warriors holen auf, Clippers-Trainer Doc Rivers nimmt eine Auszeit. Da rufen 20.000 Menschen: "We! Are! One!" Immer wieder, bis zum Ende der Pause. Den Clippers gelingt ein kleiner Lauf, am Ende gewinnen sie mit 113:103. In der Playoffserie führen sie nun mit 3:2.

"Wir haben gezeigt, dass wir als Verein, als Liga und als Stadt zusammenstehen", sagt Jordan. Kurz vor Mitternacht sitzt er in der Umkleidekabine der Clippers. Er wird kurz von Chris Paul ob einiger vergebener Freiwürfe verkohlt und von Blake Griffin zum Abendessen eingeladen. Dann blickt er nach unten, er atmet tief ein. Dieser denkwürdige Tag der Sportgeschichte, in der Historie der Stadt Los Angeles, er ist nun vorbei. Im Staples Center ist es wieder vollkommen ruhig.

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