Rassismus in der Serie A:Warum Italien vom Fußball lernen kann

Mario Balotelli, Fußball, Italien, AC Mailand

Affenlaute in Italien, mal wieder für Mario Balotelli.

(Foto: dpa)

Wieder gibt es Ärger, wieder stellen sich viele Fragen: Rassistische Beleidigungen sind in Italiens Kurven leider häufig zu erleben. Neu ist, dass deshalb ein Spiel unterbrochen wird. Ausnahmsweise ist der Fußball mal Vorreiter - im Parlament gehört Hetze weiter zum politischen Umgangston.

Von Birgit Schönau, Rom

Affenlaute, mal wieder. Mario Balotelli, italienischer Nationalspieler mit leiblichen Eltern aus Ghana, muss das fast immer hören, wenn er ein Stadion betritt. Am Sonntag tönte es ihm im Meazza-Stadion entgegen, der AC Mailand empfing dort den AS Rom. Die römischen Ultras berufen sich gern auf imperiale Größe, die etruskische Wölfin, das Weltreich.

Dass das Imperium einst auch von Cäsaren aus Nordafrika regiert wurde, weiß in der Kurve kein Mensch. Das Kurven-Weltbild ist ebenso schlicht wie konfus, der Roma-Kapitän Francesco Totti ist darin der Gladiator, die Roma-Spieler sind standhafte Legionäre und alle anderen sind Barbaren. Besonders Balotelli, es gibt schließlich keine schwarzen Italiener.

Also los mit dem Affengebrüll - aber diesmal war es anders. Diesmal wehrte sich Balotelli und ging zum Schiedsrichter. Gianluca Rocchi unterbrach zu Beginn der zweiten Halbzeit die Partie für 97 Sekunden, er drohte mit Abbruch. Und Gladiator Totti, der Balotelli noch vor drei Jahren im Pokalfinale eines der brutalsten Fouls verpasst hatte, das seit Ende der Schwertkämpfe in einer italienischen Arena gesehen wurde - Totti gab sich Mühe, die Kurvenplebejer zum Schweigen zu bringen.

Milan-Roma, das gehörte vor gar nicht langer Zeit zu den Saisonhöhepunkten der Serie A. Affenlaute gab's damals auch schon, sie wurden überhört, sie gingen unter im Spektakel. Das hat sich gründlich geändert - und zwar nicht nur deshalb, weil die Show derart mager geworden ist, dass die Kulisse unweigerlich in den Vordergrund tritt. Die Partie von San Siro endete 0:0, nach einem Platzverweis für Sulley Muntari spielte die Roma eine Halbzeit lang in Überzahl. Bis Totti nach einem Ellbogenstoß gegen Philippe Mèxes auch vom Platz gestellt wurde. Kurz vor Schluss stimmte also wenigstens die Symmetrie wieder, mehr aber auch nicht.

"Derart melancholisch war es noch nie wie bei diesem Schlussakt für eine Meisterschaft, die nur noch dahindämmert", schrieb am Montag untröstlich La Repubblica. Die Gazzetta fürchtete: "Die Episode wird um die Welt gehen und den Rest weit in den Hintergrund drängen." Welchen Rest? Selten hat man Mario Balotelli derart fahrig gesehen, selten Totti so lustlos. Dabei ging es für Milan um das Ticket zur Champions-League-Qualifikation, für die Roma um die Teilnahme an der Europa League. Beides aufgeschoben.

Wenn also die Spielunterbrechung nicht gewesen wäre, hätte man über die müde Vorstellung in der Mailänder Fußballoper kein Wort verlieren müssen. Doch die Geste des Schiedsrichters Rocchi bedeutet immerhin ein Fanal. Sie zeigt an, dass sich Italiener im Stadion nicht länger aufführen dürfen wie auf der Straße - oder im Parlament.

Zeitenwende auf dem Sportplatz

Eine Zeitenwende, die bereits im Januar auf dem Sportplatz des Viertliga-Vereins Busto Arsizio eingeläutet wurde, der den AC Mailand zu einem Freundschaftsspiel zu Gast hatte. Aber die Gäste verließen das Feld, nachdem die Fans von Busto Arsizio den Milan-Spieler Kevin-Prince Boateng mit rassistischem Gegröle überzogen hatten. Auf den Spielabbruch folgten Verhaftungen, und siehe da: Einer der wildesten Hooligans von Busto war ein Lokalpolitiker der Lega Nord.

Bei den Rechtspopulisten der Lega gehören Schmähungen gegen Menschen, die anders aussehen als sie selbst, zum guten Ton. Es ist gar nicht so leicht zu verstehen, wieso das im Stadion anders sein soll. Auch die Roma-Ultras dürften nur schwer begreifen, warum sie Bürgermeister Gianni Alemanno plötzlich als Schande für ihre Stadt bezeichnet. Alemanno war vor gar nicht langer Zeit noch Neofaschist und mischte mit beträchtlichem Körpereinsatz in der römischen Szene mit.

Es ist immer die gleiche Geschichte: Nicht der italienische Fußball hat ein Rassismus-Problem, sondern Italien tut sich schwer mit dem Wechsel vom Auswander- zum Einwanderland. Vor zwei Wochen wurde erstmals eine schwarze Ministerin vereidigt, die aus dem Kongo stammende Augenärztin Cecile Kyenge ist zuständig für das Ressort Integration. Einer ihrer ersten Gratulanten war Mario Balotelli. "Mit der Ernennung von Ministerin Kyenge ist Italien ziviler geworden", sagte er. Kyenge revanchierte sich, indem sie Balotelli als Werbeträger für ihren Vorstoß gewann, in Italien geborenen Kindern von Migranten die Staatsbürgerschaft zu gewähren.

Über diese Regelung wird außerhalb der Stadien vehement diskutiert. Politiker der Berlusconi-Partei PDL sind gegen die automatische Staatsbürgerschaft für die zweite Generation - obwohl die PDL neuerdings mit der linken PD in einer Großen Koalition regiert. "Was wird sich die Ministerin als nächstes einfallen lassen? Ein Gesetz zur Förderung der Polygamie, wie sie ihre Familie in Kongo praktiziert?" fragte etwa die PDL-Abgeordnete Elvira Savino.

Im italienischen Parlament darf man solche Fragen stellen, ohne dass der Schiedsrichter die Debatte unterbricht. Man darf auch, wie es einige Abgeordnete der Lega taten, Doktor Kyenge dafür verantwortlich machen, dass ein Mann aus Ghana in Mailand auf offener Straße zwei Menschen mit der Spitzhacke erschlägt.

So viel zum Geschehen abseits des Spielfelds. Sepp Blatter hat übrigens das Affengeheul von San Siro zu folgendem Twitter-Eintrag inspiriert: "Entsetzt über die rassistischen Beschimpfungen in der Serie A gestern Abend. Wir müssen handeln, nicht nur reden." Dass genau das schon längst passiert, kann der Fifa-Boss natürlich nicht wissen.

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