Süddeutsche Zeitung

Rassismus in der EM-Qualifikation:"Niemand sollte erleben, was unsere Spieler durchmachen mussten"

  • Die rassistischen Vorfälle beim EM-Qualifikationsspiel der englischen Fußball-Nationalmannschaft in Bulgarien sorgen für Entsetzen.
  • "Was für eine enttäuschende Nacht, vermutlich eine der entsetzlichsten, die ich erlebt habe", sagte der englische Verbandschef Greg Clarke.

Von Sven Haist

Etwa 50 bulgarische Ultras eilten kurz vor der Halbzeitpause aus dem Wassil-Lewski-Nationalstadion, auf Drängen der Polizei und wohl aus Sorge, bei einem Spielabbruch einzeln ausfindig gemacht zu werden, suchten sie das Weite. Vermummt bis aufs Gesicht, mit schwarzen Kapuzenpullis, auf denen "Hooligans von Sofia" stand. Zuvor hatten sie und einige andere Zuschauer mit Verunglimpfungen gegenüber den drei schwarzen Spielern Tyrone Mings, Raheem Sterling und Marcus Rashford aus der Startelf des englischen Nationalteams für einen Eklat gesorgt, den es in dieser Form bei einem europäischen Länderspiel noch nicht gegeben hat.

"Was für eine enttäuschende Nacht, vermutlich eine der entsetzlichsten, die ich erlebt habe", sagte der englische Verbandschef Greg Clarke nach dem Ende des Spiels, das England mit 6:0 gewonnen hatte und das dem Land mehr oder weniger die Teilnahme an der Europameisterschaft im kommenden Sommer garantiert hat.

Zum ersten Mal wurde der vom europäischen Fußballverband (Uefa) vor zehn Jahren ausgearbeitete Dreistufenplan zum Umgang mit Diskriminierung während einer Begegnung in die Tat umgesetzt. Trotz offensichtlich fremdenfeindlichen Bemerkungen, die schon beim Aufwärmen begonnen hatten, vergingen 26 Minuten, bis sich Mings bei seinem Länderspieldebüt für England stellvertretend für seine Mitspieler gegen die andauernden Affenlaute zur Wehr setzte. "Did you hear that?", klagte der 26-jährige Innenverteidiger von Aston Villa in Richtung des Schiedsrichterassistenten. "Haben Sie das gehört?" Dem Protokoll folgend wurde zunächst per Stadiondurchsage ans Publikum klargestellt, die rassistischen Äußerungen umgehend zu unterlassen. Der Appell - teils bedacht mit Buhrufen und faschistischen Grüßen - blieb allerdings wirkungslos.

"Niemand sollte erleben, was unsere Spieler durchmachen mussten"

Eine Viertelstunde später unterbrach der kroatische Referee Ivan Bebek erneut die Partie, um beim englischen Nationalcoach Gareth Southgate nachzufragen, ob er sein Team als letzte Warnung für die Zuschauer vor einem Spielabbruch für eine Weile vom Platz nehmen möchte. Nach eingehender Lagebesprechung entschieden sich die Three Lions, den ersten Durchgang doch bis zum Ende der sechsminütigen Nachspielzeit fortzusetzen. Obwohl es mehr als gerechtfertigt gewesen wäre, in diesem Fall einfach zu gehen.

Stattdessen ergriffen die Hauptübeltäter die Flucht. Sonst hätte es nicht mehr lange gedauert, bis das EM-Qualifikationsspiel zwischen Bulgarien und England vollends eskaliert und dann vermutlich eingestellt worden wäre. "Niemand sollte erleben, was unsere Spieler durchmachen mussten", sagte Southgate hinterher: "Wir haben uns ans Protokoll gehalten. Einerseits haben wir den Fußball für uns reden lassen, andererseits haben wir zweimal das Spiel gestoppt. Das dürfte für manche Leute nicht genug gewesen sein, aber wir sind in der unmöglichen Situation, dass wir es nicht jedem recht machen können."

Im Kabinentrakt stimmten die Uefa-Delegierten in der Pause mit den Verantwortlichen der englischen Auswahl das Vorgehen für die zweite Halbzeit ab. Draußen bekniete parallel dazu der bulgarische Kapitän Iwelin Popow an der Absperrung förmlich seine Landsleute, endlich zur Besinnung zu kommen. Letztlich gelang es, die Partie ohne zusätzliche Unterbrechung über die Bühne zu kriegen. Weil mehrere rassistische Einzelvorkommnisse, die weniger offenkundig, aber dennoch klar vernehmbar waren, behandelt wurden, als wären sie gar nicht passiert. Nur so konnte sich Bulgarien vor dem vollkommenen Gesichtsverlust bewahren.

"Wir haben mit unserem Verhalten ein riesiges Statement gesetzt", sagte Southgate. Gegenüber den Engländern soll die Uefa bereits direkt angekündigt haben, Informationen zu sammeln und Ermittlungen einzuleiten. Alles andere als drakonische Strafen würden die über die leeren Ränge gehängten sechs Plakate mit der Aufschrift "Equal Game" ad absurdum führen. Denn das Rassismus-Problem bricht über Bulgarien nicht zum ersten Mal herein.

Immer wieder hatte es Vorfälle gegeben

Im September 2011 wurde bereits ebenfalls eine EM-Qualifikationspartie gegen England von rassistischem Verhalten überschattet. Damals wurde den Bulgaren eine Geldstrafe von 35 000 Pfund auferlegt, weil Zuschauer die schwarzen Spieler Ashley Young, Ashley Cole und Theo Walcott verunglimpft hatten. Infolge diskriminierender Beleidigungen gegen den dänischen Spieler Patrick Mtiliga musste Bulgarien zwei Jahre später neben einer weiteren Bußzahlung von 23 685 Pfund ein WM-Qualifikationsspiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit austragen. Kürzlich im Duell mit Kosovo zogen abermals rassistische Parolen einen Teilausschluss der Zuschauer nach sich für das Aufeinandertreffen mit England. Die Überforderung des bulgarischen Fußballverbands repräsentierte am Montagabend Nationaltrainer Krassimir Balakow, einst Spielmacher beim VfB Stuttgart, indem er nach dem Spiel allen Ernstes davon sprach, die rassistischen Äußerungen schlicht "nicht gehört" haben zu wollen.

Schon im Vorfeld der Partie hatte sich die Stimmungslage hochgeschaukelt, nachdem England öffentlich kundtat, bei auftretendem Rassismus bereit zu sein, geschlossen als Team das Spielfeld zu verlassen. Erst jüngst bei der Partie in Montenegro im März wurden einige englische Spieler mit schlimmen Anfeindungen konfrontiert. Der bulgarische Fußballpräsident Borislaw Michajlow schrieb vorab als Antwort auf die Rückzugsankündigung einen Brief an die Uefa mit dem Verweis, die lokalen Zuschauer seien durch die Verlautbarungen der Engländer ungerechtfertigterweise in Bezug zu Rassismus gestellt worden. Noch einen Schritt weiter ging Balakow, der in England ein größeres Problem mit Rassismus sehe als im eigenen Land.

Angesichts dieser hochexplosiven Gemengelage war es mindestens bemerkenswert, mit welcher Klarheit die englischen Spieler auf die jüngsten Beleidigungen reagierten. Sie haben stets die Ruhe bewahrt - und in Bulgarien mehr als nur einen Sieg auf dem Platz geholt. "Wir haben eine großartige Reaktion und ein großes Miteinander gezeigt", schrieb Mings nach der Partie auf Twitter. "Letztendlich haben wir den Fußball sprechen lassen."

Bulgariens Regierungschef Bojko Borissow verurteilte am Vormittag die rassistischen Ausfälle und forderte den Rücktritt von Michajlow. Am Nachmittag zog der Verbandschef dann tatsächlich Konsequenzen und gab das Amt auf. Kurz danach gab es einen Polizeieinsatz in der Verbandszentrale. Nach Angaben einheimischer Medien riegelten Kräfte zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität das Gebäude ab. Dies soll eine Überprüfung des Verbands ermöglichen.

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