Fußballerin Megan Rapinoe:Mit Wut und Grinsen die Welt verändern

Fußballerin Megan Rapinoe: Vorzeigefigur des Weltfußballs: Megan Rapinoe führte im Sommer nicht bloß die USA zum WM-Titel - sie machte in Frankreich auch durch politische Entschlossenheit auf sich aufmerksam.

Vorzeigefigur des Weltfußballs: Megan Rapinoe führte im Sommer nicht bloß die USA zum WM-Titel - sie machte in Frankreich auch durch politische Entschlossenheit auf sich aufmerksam.

(Foto: Franck Fife/AFP)
  • Kaum ein Sportler hat 2019 für so viel Aufsehen gesorgt wie die US-amerikanische Spitzenfußballerin Megan Rapinoe.
  • Bei der Fußball-WM in Frankreich hat sie nicht nur sportliche überzeugt, sie hat auch politisch aufgerüttelt.
  • Doch die Frage lautet: Was ist geblieben?

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Irgendwann musste Megan Rapinoe sich selbst in der dritten Person betrachten. Das passiert Sportlern, wenn jemand diesen einen Augenblick festgehalten hat, bestenfalls auf einem legendären Foto - wie Michael Jordans Dunking von der Freiwurflinie, Muhammad Ali über dem ausgeknockten Sonny Liston oder Matthias Steiner beim Olympia-Gewichtheben 2008. Diese Sportler sehen sich dann so, wie Millionen von Menschen es tun, und dann müssen sie über sich nachdenken. Rapinoes Foto zeigt sie mit einer Geste - The Pose! Diese Geste "war ein 'Fuck you', aber mit einem breiten Grinsen", sagte Megan Rapinoe der Zeitschrift Sports Illustrated , die sie gerade zum Sportler des Jahres gekürt hat, über dieses Foto. Über ihren Moment.

"Du wirst keinen Funken Spaß von uns nehmen", lautete ihr dazugehöriges Zitat. "Du", das ist Donald Trump, der immer irgendwie beteiligt ist, wenn derzeit in den USA gestritten wird. Rapinoe hatte sich mit dem US-Präsidenten vor dem Viertelfinale der Fußball-WM der Frauen gegen Gastgeber Frankreich ein verbales Duell geliefert: "Ich werde nicht in das fucking White House gehen", hatte sie im Hinblick auf eine mögliche Einladung Trumps zu einer offiziellen Weltmeister-Ehrung gesagt. Dessen Antwort: "Megan soll erst mal gewinnen, bevor sie redet!"

Rapinoe schoss daraufhin beim 2:1 der USA gegen Frankreich beide Tore, und sie präsentierte danach jeweils diese Pose: ihr rechter Arm seitlich gestreckt, der linke schräg nach oben zeigend, Kinn nach hinten, breites Grinsen. Auch ohne Mittelfinger: ein "Fuck you!"

Rapinoe, 34, ist seit Jahren ein Symbol für Dinge, die Trump und dessen Anhänger verabscheuen: eine homosexuelle Fußballspielerin, die 2016 bei den Protesten des Football-Quarterbacks Colin Kaepernick gegen Rassismus und Polizeigewalt durch Hinknien bei der US-Nationalhymne mitgemacht hatte - als einzige Spielerin der Nationalelf. Trump-Fans beschimpfen Menschen wie Rapinoe gerne als "Schneeflocken", weil die sich für einzigartige Kunstwerke hielten und dann doch dahinschmelzen würden, wenn es mal heiß hergehe. Rapinoe jedoch hielt sportlich jedem Druck stand. Sie gewann mit dem US-Team im Sommer den Titel - und dazu die Trophäen für die erfolgreichste Torschützin und die beste Spielerin der WM.

Es ging um mehr als Fußball in diesem Sommer in Frankreich - vor allem um "equal pay"

Sechs Monate nach diesem Triumph in Frankreich und sieben Monate vor den Olympischen Spielen in Tokio, die der letzte große Turnierauftritt der dann 35 Jahre alte Rapinoe sein dürften, stellt sich allerdings die Frage: Was ist geblieben?

Es ging ja mitnichten nur um Rapinoe und Trump in diesem Sommer 2019, es ging um sehr viel mehr. Das größte Thema wurde nach dem WM-Triumph im Stadion auch von den Zuschauerrängen skandiert: "Equal pay" wurde gefordert, also gleiche Bezahlung im Spitzensport für beide Geschlechter bei gleicher Leistung. Das Totschlagargument dieser Debatte im Fußball sind ja immer die Einkünfte, die bei den Männern nachweislich um ein Vielfaches höher sind als bei den Frauen. Allerdings sind die USA bei diesem Streitthema ein Sonderfall, weil sich die Leute hier noch immer nicht so für diesen Sport begeistern wie überall sonst auf der Welt. Und weil die US-Nationalelf der Frauen in den vergangenen drei Jahren höhere Einnahmen generiert hat als die Männer.

Warum also kassiert das Männerteam der USA, das sich erst kolossal in der Qualifikation zur WM 2018 blamiert hatte und in diesem Jahr dann unter anderem gegen Jamaika, Kanada und Venezuela verlor, mehr Geld als die Weltmeisterinnen? Warum kann der US-Fußballverband die Prämien nicht einfach angleichen oder den Frauen viel mehr bezahlen, weil sie einfach viel besser sind als die Männer?

Als Rapinoe kürzlich mit dem Ballon d'Or Féminin als Weltfußballerin des Jahres ausgezeichnet wurde, lud sie ihre männlichen Kollegen Lionel Messi und Cristiano Ronaldo ein, sich dem Kampf gegen Rassismus und Sexismus anzuschließen. Deren Reaktion: Schweigen.

Die Frauen mussten den US-Verband im Geldstreit tatsächlich verklagen, am Weltfrauentag übrigens, weil eine außergerichtliche Einigung nicht möglich war. Ein Bundesgericht entschied, dass der Fall nun als Sammelklage verhandelt wird - im Mai 2020, kurz vor den Olympischen Spielen. Das führt wieder direkt zu Rapinoe: "Wir sind nicht in der Lage, über den Vertrag mit dem Verband unsere finanzielle Zukunft zu sichern", sagt sie: "Das bedeutet, dass wir uns nicht ausschließlich auf Fußball konzentrieren können."

Konkret bedeutet das: Rapinoe ist zwar rege in Talkshows und auf Titelseiten zu sehen. Der einzige Werbefilm aber mit ihr, der in Erinnerung bleibt, ist jener, in dem sie die Leute auffordert, doch bitteschön die Frauenfußball-Liga NWSL finanziell zu unterstützen. Dort gibt es momentan einen einzigen Liga-Sponsor - zum Vergleich: Die Männerliga MLS hat 24. Rapinoe spielt bei Seattle Reign FC, das festgelegte Maximalgehalt der Liga für eine Spielerin liegt derzeit bei 46 200 Dollar pro Saison. Rapinoe verdient zusätzlich Geld mit Jugend-Camps, die sie im ganzen Land abhält und die inzwischen ausgebucht sind.

Nein, man muss sich keine Sorgen machen um Megan Rapinoe, die sich die Haare übrigens nicht von einem Star-Coiffeur färben lässt, sondern dazu Farbe aus dem Billig-Supermarkt verwendet. Ihr Vermögen wird mittlerweile auf drei Millionen Dollar geschätzt. Sie hat seit dem WM-Triumph diverse Werbeverträge unterschrieben. Aber darum geht es nicht.

Wer sagt, dass jemand, der Revolutionen herbeiführt, davon nicht selbst profitieren darf?

Ihr geht es um Gerechtigkeit - und auch darum, bei all den Debatten und Gerichtsverhandlungen am Ende nicht als Egozockerin dazustehen: "Vieles, wofür ich mich einsetze, hat mit persönlichen Vorteilen für mich zu tun", sagt sie: mehr Geld, ein normalerer Umgang mit homosexuellen Sportlern, mehr Verständnis für Protestierende. Rapinoe betont jedoch: "Ich will nicht, dass die Leute denken, ich würde das alles nur für mich tun."

Es gibt Kritiker, die Rapinoe für eine Selbstdarstellerin halten. Das mag vielleicht sogar stimmen, nur: Gockelt Ronaldo etwa nicht nach jedem Tor? Positionierte sich Usain Bolt nach Siegen nicht als Sterndeuter? Und trommelt sich LeBron James, der ohnehin in seiner Profession, Bälle in einen Korb zu werfen, eine gesellschaftliche Bedeutung erkennt, nicht nach jeder wichtigen Aktion auf die Brust? Sich-Selbst-Feiern gehört einfach zum Profisport dazu. Bei Rapinoe ist aber interessant, dass sie sich dabei hinterfragt, dass sie sich in der dritten Person betrachtet - nicht, um sich zu bewundern, sondern um zu verstehen, was andere beim Anblick eines Bildes von ihr denken könnten.

Es gilt heutzutage schon als Empathie, wenn einer dem anderen zuhört, ihn nicht überbrüllt. Rapinoe will andere wirklich verstehen. Sie will wissen, was zum Beispiel ihr Vater Jim, ein ehemaliger Soldat und Trump-Wähler, fühlt, wenn seine Tochter beim Abspielen der Nationalhymne kniet und von Nachbarn als Vaterlandsverrätern bezeichnet wird. Sie will wissen, was Afroamerikaner denken, wenn sich die hellhäutige Rapinoe dem Protest des dunkelhäutigen Kaepernick anschließt. Oder wie Collin Martin reagiert, der bisher einzige offen homosexuelle Akteur in der Fußball-Männerliga MLS, wenn Rapinoe ihn bei ihrer Weltfußballerin-Dankesrede ebenso erwähnt wie die rassistisch geschmähten Kicker Kalidou Koulibaly und Raheem Sterling und das so genannte "Blue Girl"- eine Frau im Iran, die sich als Mann verkleidete, um ein Fußballspiel im Stadion erleben zu dürfen.

Megan Rapinoe betrachtet sich selbst immer wieder mal in der dritten Person.

Sie sieht dann eine Frau, die ihre Prominenz dazu nutzen möchte, Veränderungen herbeizuführen. Und wer in aller Welt hat verboten, dass jemand, der Veränderungen herbeiführt, von diesen Veränderungen auch selbst profitieren darf?

Auf der Titelseite von Sports Illustrated trägt Rapinoe ein Valentino-Engelskleid und hält einen Vorschlaghammer, Kinn nach oben. Sie sagt: "Ein bisschen wie: 'Fuck you.'" Mit einem breiten Grinsen.

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