Süddeutsche Zeitung

Ranieri-Aus bei Leicester:"Unerklärlich, unentschuldbar und herzzerreißend traurig"

Von Birgit Schönau

Signori si nasce, sagt der italienische Volksmund - als Gentleman wird man geboren. Bei Claudio Ranieri, Sohn eines Metzgers aus dem römischen Schlachthofviertel Testaccio, ist das der Fall. Tatsächlich werden seine menschliche Wärme und seine Klasse auch im letzten Schreiben des englischen Fußball-Meisters Leicester City an Ranieri ausdrücklich gelobt. Es ist ein Kündigungsbrief, unterzeichnet von Aiyawatt Srivaddhanaprabha, dem Sohn des Klubbesitzers aus Thailand. Der Chef wollte seinen Trainer offenbar nicht persönlich feuern, da hat er seinen Sekundanten vorgeschickt zum Herumdrucksen und Herbeischwurbeln: schwerste Entscheidung der vergangenen sieben Jahre. Aber der Klub gehe nun mal über persönliche Gefühle.

Gefühle? Mit Ranieri hatte Leicester den ersten Meistertitel in 133 Jahren Klubgeschichte geholt. Es war ein Fußballmärchen, das die halbe Welt verzauberte. Außenseiter triumphieren über Millionärstruppen, und das alles in der Heimat von Robin Hood. Aus einer Mannschaft, auf die kaum jemand einen Cent gewettet hätte (die Prämien der Buchmacher für den Meistertitel lagen zu Saisonbeginn bei 5000:1) formte er ein Siegerteam und katapultierte Leicester vom äußersten Rand der Fußballprovinz ins Zentrum der globalen Aufmerksamkeit.

Stets blieb Ranieri dabei Ranieri: zurückhaltend, vorsichtig, selbstironisch, bescheiden. Die Spieler liebten ihn, weil dieser lebenserfahrene, ältere Herr aus Rom ihnen auf seine leise Art Selbstvertrauen einflößte, das sie zu fantastischen Höhenflügen trieb, zur irrsten und schönsten Geschichte, seitdem es englischen Fußball gibt. Plötzlich hatte dieser Fußball wieder eine Seele, plötzlich war er wieder menschlich geworden, mitten in einer Liga, in der russische Oligarchen, arabische Scheichs und Diven aus aller Welt den Ton angeben.

"Das ist der neue Fußball, Claudio. Kopf hoch, mein Freund!"

Ranieri wusste natürlich, dass sein Märchen nicht in die Verlängerung gehen konnte. Und er machte keinen Hehl daraus. Tatsächlich folgte auf den Triumph der Niedergang, für eine zweite Saison reichten Motivation und Kondition nicht mehr aus. Ein Team mittelmäßiger Fußballer kann einmal über sich hinauswachsen, aber ein solches Wunder wiederholt sich nicht. So folgte Niederlage auf Niederlage, in der Liga kämpft Leicester inzwischen gegen den Abstieg, und in der Champions League sind nach dem 1:2 in Sevilla in dieser Woche die Aussichten auf das Viertelfinale auch nicht rosig.

Also wurde Ranieri gefeuert, zwischen Hin- und Rückspiel, als sei er irgendein Coach, der schnellstmöglich von einem besseren ersetzt werden muss. Darin waren sich Klubspitze und die Führungsriege der Mannschaft einig, also die Spieler Vardy, Morgan und Drinkwater, deren Namen man dank Claudio Ranieri nun auch außerhalb von Leicester kennt. Profis, denen der Erfolg derart zu Kopf gestiegen ist, dass sie tatsächlich glauben, es liege am Trainer, wenn sie nicht mehr gewinnen.

"Unerklärlich, unentschuldbar und herzzerreißend traurig", findet Leicester-Legende Gary Lineker die schnöde Abfertigung. Die herzlichste und liebenswürdigste Solidaritätsadresse aber schrieb Manchester Uniteds Trainer José Mourinho, der ewige Schurke im globalen Fußballtheater und Ranieris liebster Widersacher: "Englischer Meister und Fifa-Welttrainer des Jahres entlassen. Das ist der neue Fußball, Claudio. Kopf hoch, mein Freund! Niemand kann dir nehmen, dass du Geschichte geschrieben hast."

Dass selbst die größten Finsterlinge ihm gegenüber zum Gentleman mutieren, ist auch Ranieris Verdienst. Leicester hätte erhobenen Hauptes mit ihm absteigen können und damit das Märchen weitergeschrieben; es hätte zwar kein Happy End gehabt, aber wenigstens eine Moral. Nun wird beides fehlen. Angeblich soll Roberto Mancini den Karren aus dem Dreck ziehen, der einst bei den Foxes seine aktive Karriere beendete; im Gespräch ist auch Frank de Boer. Große Namen, mit denen das Unabwendbare verhindert werden soll, die aber nur Selbstüberschätzung offenbaren. Einstweilen wird Ranieris Assistent das Training übernehmen. Sein Name ist Shakespeare, Craig Shakespeare. Mit einem Kalauer endet das Fußballepos von Leicester - banal und bitter.

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Quelle:
SZ vom 25.02.2017/schm
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