Süddeutsche Zeitung

Ralf Rangnick bei Manchester United:Herzchen für den Transformator

Nach dem aufregenden 1:1 gegen Chelsea gibt ManUnited die Verpflichtung von Ralf Rangnick bekannt. Der Deutsche soll der uninspirierten Mannschaft wieder eine Spielidee implantieren - was heißt das für Ronaldo?

Von Sven Haist, London

Auch wenn Ralf Rangnick beim 1:1 zwischen dem FC Chelsea und Manchester United am Sonntag an der Stamford Bridge in London noch nicht als neuer United-Teamchef zugegen war, schien zumindest der Geist der deutschen Trainerkoryphäe bereits über dem Spiel zu schweben. Schon vor dem Anpfiff twitterte Uniteds ehemaliger Kapitän Gary Neville, inzwischen Chefkritiker seines Klubs, er habe das Gefühl, dass Rangnick die Startelf des Rekordmeisters ausgewählt habe, weil das Personal eine "riesige Abkehr" zu den vorherigen Partien sei.

Erstmals in dieser Saison verzichtete United tatsächlich aus taktischen Gründen auf einen Startelfeinsatz von Cristiano Ronaldo. Dabei hatte der Verein Ronaldo im Sommer extra nach Manchester zurückgeholt, um ihn in den Spitzenspielen einzusetzen. Nach einer Spielminute sah sich Neville schon in seiner Annahme bestätigt, als United gegen seine Gewohnheit gleich mit mehreren Spielern versuchte, den Spielaufbau des Gegners früh zu stören.

Etwas mehr Zeit für eine Analyse ließ sich hingegen Englands Stürmerlegende Gary Lineker, der die Ansicht seines Expertenkollegen zügig in den Senkel stellte. "Null Chance", dass das stimme, verfügte Lineker. Er konnte sich in seiner These darauf berufen, dass Manchester nach dieser einen Minute des Sturms und Drangs wieder ähnlich uninspiriert weiterkickte (beziehungsweise weiterverteidigte) wie in den bisherigen Saisonpartien. Genau das soll sich nun unter Rangnick umgehend ändern.

Für Rangnick erfüllt sich ein Traum aus Studententagen

Am Montag gab Manchester United öffentlich bekannt, was nach der Entlassung der Klublegende Ole Gunnar Solskjær in der Vorwoche bereits seit Tagen publik war: dass der seit Juli als selbständiger Klubberater bei Lokomotive Moskau tätige Rangnick mit sofortiger Wirkung als Interimschef bis zum Saisonende beim Rekordmeister einsteigt. Über die Anstellung hinaus vereinbarte United mit ihm eine zweijährige Tätigkeit als Ratgeber der eher wenig fußballaffinen Vereinsführung. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rangnick, 63, auch eine dauerhafte Lösung sein kann, wenn er einen ähnlich transformativen Effekt auf das Team auslöst, wie es Thomas Tuchel auf Anhieb bei Chelsea mit dem Sieg in der Champions League gelungen ist.

Vor einem Jahr lehnte Rangnick nach eigener Aussage noch ein befristetes Engagement bei Chelsea ab, aber nun konnte er der Versuchung nicht mehr widerstehen, mit United einen der größten Fußballvereine der Welt zu übernehmen - und sich als erster deutscher Teamchef in die ruhmreiche 143-jährige Historie des Klubs einzutragen. Für den gebürtigen Schwaben, auf den England seit seinem Studentenaufenthalt eine ganz besondere Faszination ausübt, ist damit ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen.

Auch wenn davon in der knapp gehaltenen Klubmitteilung nichts zu lesen war. Über sein Engagement zeigte sich Rangnick lediglich "begeistert" und kündigte an, sich darauf konzentrieren zu wollen, die Saison für den Verein "erfolgreich" zu Ende zu bringen. Aktuell liegt das in der Premier League achtplatzierte United zwölf Punkte hinter Spitzenreiter Chelsea - und meilenweit hinter der eigenen Erwartung, nach 2013 endlich wieder die Meisterschaft zu gewinnen.

Ronaldo soll die Nase über Rangnick gerümpft haben - das Team aber empfängt ihn wohl mit offenen Armen

Bis zur Ausstellung des Arbeitsvisums für Rangnick - eine Notwendigkeit seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union - wird Michael Carrick weiterhin die Mannschaft betreuen. Der ehemalige Mittelfeldstratege des Klubs assistierte zuvor schon Solskjær. Je nach Abwicklung der bürokratischen Hürden könnte Rangnick für ihn dann in einem der kommenden Heimspiele in dieser Woche gegen den FC Arsenal (Donnerstag) und Crystal Palace (Sonntag) erstmals im Old Trafford übernehmen.

Für seine Verpflichtung hat sich dem Vernehmen nach besonders Fußballdirektor John Murtough stark gemacht, der am Tag der Solskjær-Entlassung bereits Kontakt zu ihm aufnahm. Murtough pries seinen Wunschkandidaten als einen der "angesehensten Trainer und Innovatoren" des Weltfußballs. Auf seine "unschätzbaren Fachkenntnisse und Führungsqualitäten" würden sich "alle" im Klub freuen.

Entgegen Medienberichten auf der Insel, wonach speziell Ronaldo die Nase über Rangnick gerümpft haben soll, empfängt das Team ihn wohl ausnahmslos mit offenen Armen. Nach der dreijährigen Stagnation unter Solskjær sehnen sich die Profis nach einem Fachmann, der das Potenzial des Kaders heben kann - und sich auf Augenhöhe befindet mit den anderen Trainergrößen der Liga. Denn nichts widerstrebte den ehrgeizigen Spielern bei Manchester United zuletzt mehr als in den zurückliegenden Duellen mit den Titelkonkurrenten Liverpool, Manchester City und Chelsea regelrecht vorgeführt worden zu sein. So sieht es offenbar auch Gary Neville: Auf Twitter versah er die Meldung zu Rangnicks Engagement mit einem roten Herz.

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