Keine Einigung mit AC Mailand:Rangnicks Revolution ist abgesagt

Fußball, DFB-Pokalfinale 2018/2019, RB Leipzig - FC Bayern München RANGNICK Ralf Trainer Team RB Leipzig DFB Pokal Ends

Verwirklicht sich gerne in großen Fußballprojekten: Ralf Rangnick.

(Foto: imago images/Laci Perenyi)

Der Fußball-Macher hätte beim AC Mailand vieles umgeworfen. Doch das alte Milan bleibt, weil nach der Corona-Pause der Erfolg kommt. Ralf Rangnick ist trotzdem bereit für eine neue große Aufgabe.

Von Moritz Kielbassa

Ralf Rangnick, 62, ist ein großer England-Fan. An der Uni in Stuttgart hatte er mal Englisch fürs Lehramt studiert, er besitzt ein Faible für das Land, die Sprache und den Fußball auf der Insel. Rangnick schätzt aber auch italienische Facetten. Sein Lieblingsfahrzeug, zumindest bei schönem Wetter, ist ein Motorroller der Kultmarke Vespa. Und vor einiger Zeit zitierte der Trainer in seinem Whatsapp-Profil mal ein Lebensmotto des Sportwagenkönigs Enzo Ferrari, das auf Italienisch tausendmal schöner klingt als in der deutschen Übersetzung: "Sono i sogni a far vivere l'uomo" - es sind Träume, die einen Mann zum Leben erwecken.

Erweckt werden, das muss Rangnick natürlich nicht mehr nach ereignisreichen Jahrzehnten im Fußballgewerbe, unter anderem mit der Erschaffung des Bundesligastandorts Hoffenheim, mit zwei Trainerepisoden auf Schalke und zuletzt einer langen Erfolgsstory bei RB Leipzig (seit 2012). Und es wäre auch zu hoch gegriffen und eine Spur zu pathetisch, von einem geplatzten "Traum" zu sprechen - jetzt, da klar ist, dass monatelange Gespräche über einen Einstieg beim AC Mailand ergebnislos beendet wurden. Eine Perspektive mit emotionalem Touch war es für Rangnick allerdings schon, zu den Rossoneri, den Rotschwarzen aus der Lombardei, zu wechseln. Als neuer Generalbevollmächtigter des 18-maligen italienischer Meisters, in jener Doppelrolle als Trainer und Sportdirektor, in der sich Rangnick aus seiner Sicht am besten entfalten kann, also auch mit strategischer Prokura für Transfers und den fußballmethodischen Ansatz.

Einfach nur Trainer zu werden oder nur Sportchef über dem aktuellen Coach, eine am Ende offenbar auch diskutierte Variante, das kam für Rangnick nicht in Betracht.

Ein Statement mit vergleichsweise pragmatischen Einsichten

Die emotionale Seite der Sache mit Milan hat einen Namen: Arrigo Sacchi. Ende der 1990er-Jahre hatte Rangnick an der Taktiktafel im Fernsehen schon die Vorzüge einer Viererkette erklärt, als Deutschland noch eine Libero- und Manndecker-Republik war. Er verehrte den früheren Milan-Trainerguru Sacchi und den großen russischen Schweiger Waleri Lobanowski (Dynamo Kiew), die das Spiel mit Raumdeckung und Pressing revolutioniert hatten. Mit seinem Mentor Helmut Groß studierte er nächtelang die große Mailänder Elf dieser Zeit. Die Gazzetta dello Sport, Italiens täglich erscheinende Fußballbibel, titelte im Mai, Rangnick könnte trotz aller Aufregung, die seine mögliche Ankunft im Verein auslöste, bei Milan "der Sacchi des dritten Jahrtausends" werden. Um nicht weniger als diese Aussicht ging es.

Heraus kam am späten Dienstagabend ein Statement mit vergleichsweise pragmatischen Einsichten, versendet von Rangnicks Berater Marc Kosicke: Man sei mit Milan "übereingekommen, dass aktuell weder der richtige Zeitpunkt ist, noch das Momentum für eine Zusammenarbeit spricht"; es gelte, die "gute Entwicklung und die guten Ergebnisse unter Trainer Pioli" zu berücksichtigen. Milan meldete unverzüglich, dass Stefano Pioli, 54, einen neuen Vertrag bis 2022 erhält.

Zuvor gewann der AC in Sassuolo 2:1, beide Tore erzielte der im rauen Winter als Nothelfer zurückgeholte Glamourstürmer Zlatan Ibrahimovic, 38. Seit der Corona-Pause gab es unter Pioli, der zäh gestartet war, sieben Siege und zwei Unentschieden, die Zulassung zur Europa League ist inzwischen fast sicher. Und auch wenn Milan sein Sehnsuchtsziel, die Rückkehr in Europas Königsklasse, erneut verfehlt, gilt dies in Anbetracht des Saisonverlaufs als Erfolg. Der Aufschwung aber passte gar nicht mehr zum Vorhaben des Geschäftsführers Ivan Gazidis und der Klubeigentümer, mit Rangnick eine Revolution zu starten. Pioli, von der Gazzetta als "ruhiger Normal-One-Trainer" bezeichnet, habe "auf brillante Weise die Pause infolge der Pandemie gemeistert", ließ Milan nun verlauten. Also: kein Anlass für eine Neuausrichtung, nicht mal mehr für ein Minirevolutiönchen. Trotz fortgeschrittener Absprachen mit Rangnick blies man den Umsturz ab.

Als er die Gespräche im Herbst aufnahm, mit dem früheren Arsenal-CEO Gazidis und mit den Männern vom US-Hedgefonds Elliott, der Milan nach einem misslichen Intermezzo mit einem Eigentümer aus China erworben hat, da lag der Klub am Boden. Trotz horrender Transferausgaben ging sportlich nichts voran, weil mehr in Masse als in Klasse investiert wurde.

Rangnick schien mit seiner speziellen Expertise der perfekte Kandidat für den Wandel zu sein. Für eine Abkehr vom Starfußball, für einen neuen Stil à la Leipzig oder Ajax, mit entwicklungsfähigen jungen Spielern, um Milan wieder auf Champions-League-Niveau zu heben - und einen Kader zu bauen, der Rendite durch Marktwertsteigerung verspricht statt fortgesetztes Verpulvern von Millionen. Doch je länger sich die Sache zog, je häufiger Milan gewann, desto unwahrscheinlicher wurde der Deal mit Rangnick, der bereits Italienisch lernte. Bei Verhandlungen ist er allerdings ebenso herausfordernd fordernd wie in der täglichen Arbeit - bei ihm muss jedes Detail passen. "È fatta", titelte eine Zeitung zwar kürzlich, die Verpflichtung sei fix. Aber das war eine lombardische Ente, wie so vieles, was kolportiert wurde.

Ein echter "Traum" für Rangnick, das wäre England

Auch die negativen Schwingungen bei der amtierenden sportlichen Leitung waren Rangnick natürlich nicht entgangen. Der Manager Maldini, bei Milan dank seiner famosen Spielerlaufbahn ein Volksheld, hatte den Plan mit Rangnick als Akt der Respektlosigkeit verurteilt. Sein Assistent Zvonimir Boban, früher ebenfalls eine AC-Größe auf dem Rasen, wurde sogar entlassen, weil er Gazidis öffentlich für dessen Flirt mit Rangnick kritisiert hatte.

Für Coach Pioli und für Maldini wäre kein Platz mehr gewesen, wenn der Neue aus Deutschland mit Doppelkompetenz gekommen wäre. Auch "Ibra", die schwedische Diva mit dem monströsen Ego, stichelte: "Wer ist Rangnick? Ich kenne ihn nicht." Auch dem Stürmer war klar: Mit ihm, dem Baldvierziger, als Leitwolf in die Zukunft aufzubrechen, das wäre mit Rangnick schwer vorstellbar gewesen. Im Licht des guten Trends wird nun das alte Milan mit Liebe zum Starkult konserviert. Die Presse feiert den Sieg des Milanismo: "Ciao Rangnick, vorwärts Pioli!" Ein neuer Vertrag für Ibrahimovic, der schon vom Gewinn der Meisterschaft tönt, wäre naheliegend.

Der Fall zeigt aber auch, wie knifflig für Ralf Rangnick die Aufgabe ist, eine passende neue Challenge zu finden. Es wäre seine erste Auslandsexpedition, nach acht Jahren RB - und mit 62 vielleicht sein letztes großes Ding. Als 08/15-Trainer ist er nicht zu haben, er sucht wieder ein langfristiges Szenario, und er will sein Arbeitsumfeld selbst kreieren, Zuarbeiter und Fachleute seiner Wahl mitbringen. Er will nicht machtgeil wirken, aber er ist kein Typ für halbe Sachen. Es müssten "viele Faktoren zusammenkommen", um sich mit etwas Neuem zu befassen, hatte er gesagt. Es müsste ein Verein sein, der Strahlkraft und Größe besitzt und das nötige Kleingeld für eine Kaderumgestaltung - aber sportlich mit Luft nach oben, weil sonst die Bereitschaft zum Kurswechsel und zur Übertragung umfassender Befugnisse fehlt. In der Bundesliga wäre zudem alles ein Konkurrenzprojekt zum eigenen Baby Leipzig.

Rangnick hat, wenn man so will, Hoffenheim und RB Leipzig erfunden

Rangnick hat den deutschen Fußball in mehr als 20 Jahren beeinflusst wie nur wenige. Er hat, wenn man so will, zwei Erstligisten erfunden, Hoffenheim und Leipzig; viele Erfolgstrainer der Gegenwart kamen mit ihm und seiner Lehre prägend in Kontakt. Er selbst hatte in der Vorsaison bei RB, als Platzhalter für Julian Nagelsmann, richtig Spaß an der Rückkehr ins Traineramt, voller Energie ging es auf Platz drei in der Liga und bis ins Pokalfinale.

Aber was kommt jetzt? Bei RB ist Rangnicks Werk vollendet. Es war ein vernünftiger Schritt, das Leipziger Tagesgeschäft zu verlassen und Nagelsmann, der schon als Rookie ein Alphatier-Trainer ist, sein Ding machen zu lassen. Rangnick hielt sich öffentlich fast komplett zurück, auch zu den Vorgängen mit Milan schwieg er monatelang. In Leipzig stellt sich zwar die Schlüsselfrage, wer langfristig das sportliche Gesicht des Klubs sein soll, aber operativ sind sie gut aufgestellt. Geschäftsführer Oliver Mintzlaff, viele Jahre Rangnicks rechte Hand, hat sich zu einem der mächtigsten Bosse der Bundesliga entwickelt. Dass Rangnick im begrenzt gestalterischen Amt des "Head of Sport and Soccer Development" bei Red Bull nicht in Rente gehen wird, das ist allen klar. Es wird zwar noch nicht über eine Vertragsauflösung geredet, wie zu lesen war, aber der Tag des Abschieds wird irgendwann kommen.

Ein echter "Traum" für Rangnick, das wäre England. Zu Klubs wie Manchester United, Arsenal, Everton bestand schon mal Kontakt, einen konkreten Plan B gibt es derzeit aber nicht. Bei Whatsapp grüßt Rangnick inzwischen mit einem englischen Aphorismus: "I am the master of my fate, I am the captain of my soul." Frei übersetzt: Jeder ist seines Glückes Schmied.

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