Fußball in Schottland:Warum das 315. Old Firm speziell ist

Fußball in Schottland: Wer jubelt im Derby? Die Fans der Rangers (li.) oder die Anhänger von Celtic.

Wer jubelt im Derby? Die Fans der Rangers (li.) oder die Anhänger von Celtic.

(Foto: dpa/Getty)
  • In der schottischen Liga spielen an diesem Samstag die Glasgow Rangers gegen den Stadtrivalen Celtic.
  • Zum ersten Mal seit langer Zeit haben die Rangers wieder eine echte Chance auf den Meistertitel - das sorgt für Brisanz.
  • Zudem schmähten Rangers Fans den an Depression erkrankten Celtic-Spieler Griffiths. Und selbst der Brexit ist Thema bei diesem speziellen Fußballspiel.

Von Martin Anetzberger

Briten gegen irische Einwanderer, Blau-Weiß-Rot gegen Grün-Weiß, schottischer Rekordmeister gegen schottischer Rekordcupsieger. Am heutigen Samstag stehen sich im 315. Old Firm der schottischen Fußballliga die Glasgow Rangers und Celtic Glasgow gegenüber. Celtic hat zuletzt sieben Meisterschaften in Serie gewonnen. Doch in diesem Jahr sind die Rangers mit Trainer und FC-Liverpool-Legende Steven Gerrard konkurrenzfähig. Das macht das Derby aus sportlicher Sicht besonders. Und auch die Fanrivalität hat aktuell eine ganz spezielle Brisanz.

Rangers zum ersten Mal seit 2011/12 mit Chancen auf den Titel

Die Old-Firm-Bilanz der Rangers seit dem Wiederaufstieg nach der Insolvenz ist sehr mau. In neun Ligaspielen gewann Celtic sieben Mal, zwei Mal endete das Duell unentschieden, die Torbilanz beträgt 6:23 aus Sicht der Rangers. Doch obwohl Celtic auch das erste Derby der laufenden Saison 1:0 für sich entschied, wird dieses Spiel mit Spannung erwartet. Die Rangers haben das erste Mal seit ihrer Rückkehr in die erste Liga eine Chance, um die Meisterschaft mitzuspielen. Zwischenzeitlich standen sie sogar an der Tabellenspitze - das hatte es zuletzt im Dezember 2011 gegeben.

Und das liegt keineswegs daran, dass die Rangers gerade so gut spielen würden. Vielmehr schwächelt der Serienmeister, von bisher zehn Auswärtsspielen konnte Celtic nur vier gewinnen. Teams wie Kilmarnock, Aberdeen und eben die Rangers können auf einmal mithalten. Die ersten vier Mannschaften trennen nach 20 Spieltagen lediglich sechs Punkte. In der Premiership ist das sehr ungewöhnlich. Seit 1986 hieß der Meister stets Rangers oder Celtic. In den vergangenen beiden Spielzeiten gewann Celtic mit zwölf beziehungsweise 39 Punkten Vorsprung den Titel. Vieles deutet darauf hin, dass es für die Grün-Weißen diesmal schwieriger wird.

Der Fall Leigh Griffiths

"It is ok not to be ok - You'll never walk alone, Leigh". Mit diesen Worten machten Celtics Fans ihrem an Depressionen leidenden Stürmer Leigh Griffiths während des Europa-League-Spiels gegen Salzburg Mut. Der ist derzeit in Behandlung und wird im Derby fehlen. Eine erhebliche Schwächung für die Gäste, die mit dem 20-jährigen Odsonne Edouard nur noch einen weiteren richtigen Stürmer im Kader haben. Edouard entschied das letzte Duell auswärts im Ibrox-Park mit seinem spektakulären 3:2-Siegtreffer, allerdings schwanken die Leistungen des jungen Spielers oft erheblich. Trainer Brendan Rodgers, der Gerrard bei Liverpool einst selbst coachte, hat angekündigt, im Winter zwei Angreifer verpflichten zu wollen, um den vorübergehenden Verlust von Griffiths zu kompensieren.

Griffiths ist bei den Fans der Rangers verhasst. Während ihres Aufenthalts in Wien zum Europa-League-Spiel gegen Rapid schmähten mehrere hundert den erkrankten Stürmer. "Fuck you Leigh Griffiths, you won't be playing football any more", sangen sie. Diese Aktion könnte die Spannung zwischen den Fanlagern noch verstärkt haben.

Die Kastration des Auswärtskontingents

Normalerweise folgen etwa 7000 Celtic-Fans ihrem Team zu Auswärtsspielen im 50 817 Zuschauer fassenden Ibrox-Park, der Spielstätte der Rangers im Glasgower Westen - die große Mehrheit von ihnen in organisierten Bussen. Die Fanlager werden schon außerhalb des Stadions durch ein massives Polizeiaufgebot voneinander getrennt. Der Bereich, in dem die Dutzenden Busse parken, ist abgeriegelt. Von dort gehen die Anhänger der Gäste direkt zum Eingang. Eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln wäre zu gefährlich.

Zum Spiel an diesem Samstag machen sich nur etwa 750 Anhänger von Celtic auf den Weg nach Ibrox. Der Grund: Die Rangers haben das Gästekontingent massiv reduziert, um auf der Tribüne, die bisher Celtic vorbehalten war, zusätzliche Dauerkarten an die eigenen Fans zu verkaufen. Ein Kniff des finanziell kriselnden Klubs, um vor Beginn der Saison schnell an Geld zu kommen. Bei den Celtic-Fans löste dies vor allem Frust aus. Man sah sich in seinen Möglichkeiten, das eigene Team auswärts zu unterstützen, stark beschnitten. Die Klubführung bedauerte die "einseitige" Entscheidung der Rangers, die "ohne jede Diskussion" getroffen worden sei. Um nicht zuzulassen, dass die eigenen Fans "doppelt bestraft" würden, reduzierte Celtic das Gästekontingent für das erste Derby der Saison im heimischen Celtic Park seinerseits auf etwa 800 Tickets.

Die historische Bedeutung

Die Rivalität der beiden Vereine ist legendär und nicht zu vergleichen mit beispielsweise jener zwischen Borussia Dortmund und dem FC Schalke. Es geht bei Weitem nicht nur um den sportlichen Erfolg. Im Old Firm, benannt nach der finanziellen Bedeutung der Rivalität für den schottischen Fußball, stehen sich unterschiedliche Bevölkerungsgruppen gegenüber, das Derby bietet diesem gesellschaftlichen Konflikt die spektakuläre, laute und farbige Bühne. Anhand der Farben lässt sich die politische Dimension gut erklären.

Die Anhänger der 1873 gegründeten Rangers rekrutieren sich traditionell überwiegend aus dem protestantischen, britisch-unionistischen Milieu. Sie betonen die Einheit des Vereinigten Königreichs. Ihre Vereinsfarben sind Blau, Weiß und Rot, angelehnt an den Union Jack, der im Ibrox Park stolz geschwenkt wird. Celtic-Fans sind zumeist Nachfahren irischer Migranten, die in der Industriestadt Glasgow zwar als Arbeitskräfte gebraucht wurden, jedoch mit Armut und Diskriminierung zu kämpfen hatten. Der Verein wurde 1887 von einem katholischen Ordensbruder gegründet, um Spenden für die Not leidende Bevölkerung im Glasgower East End aufzutreiben. Anhänger von Celtic betonen ihre irisch-katholischen Wurzeln und neigen dem irischen Republikanismus zu, den die irische Trikolore repräsentiert.

Mit dem Erstarken der irischen Unabhängigkeitsbewegung während des Ersten Weltkriegs verschärfte sich die Rivalität der Klubs und ihrer Anhänger. Die Rangers verpflichteten von dieser Zeit an keine katholischen Spieler mehr, das änderte sich erst 1989, als mit Mo Johnston wieder ein bekennender Katholik das Rangers-Trikot überstreifte. Die politisch-konfessionellen Spannungen gehen in Glasgow zwar langsam zurück, doch rund um Derby-Spieltage treten sie in Form von Schmähgesängen und teils schweren körperlichen Auseinandersetzungen immer wieder offen zutage. Der Brexit, der vor allem von Celtic-Fans abgelehnt wird, hat den Konflikt zusätzlich verkompliziert - nicht zuletzt, weil er den Frieden zwischen Briten und Iren in Nordirland bedroht.

Das Derby aus deutscher Sicht

Marvin Compper ist der einzige deutsche Profi, der im Old Firm zum Einsatz kommen könnte. Allerdings lief der Verteidiger seit seinem Wechsel von RB Leipzig nach Glasgow im Januar erst in einem Pflichtspiel auf, im Viertelfinale des schottischen Pokals gegen den Zweitligisten Greenock Morton. Immer wieder plagten ihn Wadenprobleme. Es ist daher äußerst unwahrscheinlich, dass Rodgers ihn in einem so wichtigen Spiel aufstellt.

Trotzdem könnte sich der Blick auf das Spiel aus deutscher Perspektive lohnen. Vor allem bei Celtic reiften in den vergangenen Jahren immer wieder Spieler zu internationaler Klasse heran. Erst im Sommer verließ Stürmer Moussa Dembélé den Verein und wechselte für 22 Millionen Euro zu Olympique Lyon. Der niederländische Innenverteidiger Virgil van Dijk spielte von 2013 bis 2015 bei Celtic, ehe er vom FC Southampton verpflichtet wurde. 2018 wechselte er zum FC Liverpool, für eine Ablösesumme von umgerechnet 84,5 Millionen Euro. In den beiden Duellen gegen Deutschland in der Nations League traf der torgefährliche van Dijk sowohl beim 3:0-Sieg als auch beim 2:2 im Rückspiel. Momentan hat Celtic neben Edouard mit Außenverteidiger Kieran Tierney (der gegen die Rangers verletzt ausfallen könnte) und Mittelfeldspieler Ryan Christie zwei vielversprechende Talente in der Mannschaft. Bei den Rangers wird Glenn Middleton eine große Karriere zugetraut.

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