Süddeutsche Zeitung

Randale bei Istanbuler Fußball-Derby:Taksim erreicht das Stadion

Lesezeit: 3 Min.

Die politischen Auseinandersetzungen in der Türkei erfassen den Fußball: Beim brisanten Istanbuler Stadtderby Besiktas gegen Galatasaray vor einer Rekordkulisse sind zwar Gäste-Fans ausgeschlossen, doch ein Streit zwischen rechten und linken Besiktas-Gruppen führt zu einem Platzsturm.

Von Hakan Tanriverdi und Johannes Knuth

Sie schnappten sich Plastikstühle, Hocker, Fahnenstangen. Dann stürmten die Anhänger von Besiktas Istanbul los, über das Spielfeld, dem Kabinengang entgegen. Die Spieler waren bereits geflohen, die Polizei hatte den Spielertrakt umstellt. Also zogen die Anhänger weiter, zurück aufs Spielfeld. Dort warteten noch mehr Polizisten, mit Schlagstöcken, eigentlich lief im Istanbuler Derby zwischen Besiktas und Galatasaray gerade die Nachspielzeit.

Es waren chaotische Szenen, die sich am Sonntagabend im Istanbuler Atatürk-Stadion abspielten. Hunderte Anhänger von Besiktas randalierten auf dem Spielfeld, Schiedsrichter Firat Aydinus brach die Partie in der Nachspielzeit ab. Eine "Schande", schrieb die türkische Sportzeitschrift Fanatik am Montag. Innenminister Muammer Güler sprach von einem "traurigen Tag". Ufuk Özerten, stellvertretender Präsident des türkischen Fußballverbands (TFF), sagte nur: "Wir müssen lernen, dass Fußball ein Spiel ist." Wer oder was die Randale verursacht habe, dazu schwiegen die Funktionäre. Derzeit deutet aber einiges darauf hin, dass politische Rivalitäten zwischen Fangruppierungen die Stimmung erhitzten, dass die jüngsten politischen Auseinandersetzungen in der Türkei nun auch die Fußballstadien erfasst haben.

76.127 Zuschauer waren am Sonntag ins Atatürk-Stadion gekommen - so viele wie noch nie bei einem Spiel der Süper Lig. Zudem handelte es sich ausschließlich um Anhänger der Heimmanschaft, von Besiktas - der türkische Verband sperrt Gästefans bei brisanten Partien neuerdings aus. Die Stimmung war zunächst intensiv, aber friedlich, Besiktas ging durch den Ex-Bremer Hugo Almeida früh in Führung.

Dann tönten politische Parolen durchs Stadion, angestimmt von Besiktas-Ultras der linken Carsi-Gruppe. Die hatte die regierungskritischen Proteste im Sommer am Istanbuler Taksim-Platz maßgeblich geprägt. "Überall ist Taksim, überall ist Widerstand", hätten Carsi-Anhänger gebrüllt, sagte der deutsche Student Deniz Schmick der Nachrichtenagentur dpa. Die türkische Tageszeitung Sabah sowie CNN Türk berichten, linke Carsi-Ultras und die regierungsnahe Fangruppe "1453 Kartallari" hätten sich während des Spiels provoziert, es gab zahlreiche Verletzte. Dann, kurz vor Spielende, entlud sich der Zorn.

Felipe Melos Geste

In der 92. Minute, Besiktas lag mittlerweile 1:2 in Rückstand, schrie das Stadion auf. Felipe Melo, Mittelfeldspieler von Galatasaray, hatte einen Spieler von Besiktas gefällt, Rot. Spieler beider Mannschaften schubsten sich, die Zuschauer strömten in den Innenraum. Kurz bevor Melo im Kabinentrakt verschwand, reckte er sein Trikot in die Luft, den Fans von Besiktas entgegen. Sekunden später begann das Chaos. Es ist bislang nicht geklärt, wer den Sturm auslöste, die Carsi-Ultras oder ihre Rivalen, beide Lager schieben sich die Schuld zu.

"1453 Kartallari" hat sich explizit als Gegenbewegung zu der Carsi-Fangruppe entwickelt. Der Name setzt sich zusammen aus dem türkischen Wort Adler, dem Vereinslogo von Besiktas, und der Zahl 1453. Die Zahl verweist auf das Jahr der Eroberung Konstantinopels durch die Armee des Osmanischen Reiches. In einem Interview vom 4. September mit der türkischen Tageszeitung Radikal sagte einer der Gründer, Aşkın Aydoğmuş, dass die Gruppe sich Ende August formiert habe. Zuerst seien es 30 Mann gewesen. Gegen Galatasaray, spekulierte er damals, werde man 3000 bis 5000 Fans ins Stadion schleusen.

Angesprochen auf die Ziele der neuen Fangruppierung sagte Aydoğmuş zwar, dass das Stadion nicht der Ort für Politik sei. Aber: "Wir lesen Nachrichten, in denen es heißt, dass die Tribüne von Besiktas ausschließlich links sei. Aber das stimmt nicht", sagte er. Explizit richtete er sich gegen die Haltung vieler Fans der Carsi-Gruppierung, die sich während der Proteste rund um den Gezi-Park als Befürworter der Demonstrationen positionierten. Mit anderen Worten: Die Proteste im Gezi-Park sind mittlerweile abgeflaut, die politischen Rivalen beharken sich dafür in den Fußballstadien, teils im eigenen Fanlager. Da hilft es wenig, wenn man die Gästefans aussperrt.

Der Verband TFF wollte SZ-Nachfragen am Montag nicht kommentieren. Die Polizei hat am Sonntag knapp 70 Randalierer festgenommen, sie sollen für den Rest der Saison nicht mehr ins Stadion dürfen. Das Spiel wird der TFF wohl für Galatasaray werten, Besiktas, mutmaßen türkische Medien, wird vermutlich eine Weile unter Ausschluss der Öffentlichkeit spielen müssen. Die Anhänger von Galatasaray verfolgten die Randale derweil vergnügt aus der Distanz. Ihrer Meinung nach hätten die Besiktas-Anhänger das Feld aus folgendem Grund gestürmt: "Da hat jemand 200 türkische Lira auf das Spielfeld geworfen":

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