Ralf Rangnick tritt bei Schalke zurück:"Nur wer selbst brennt, kann Feuer entfachen"

Fachlich hochbegabt, emotional, aber auch verletzlich: Der Fußballtrainer Ralf Rangnick gibt immer hundert Prozent. Jetzt tritt er beim FC Schalke 04 wegen eines Erschöpfungssyndroms zurück. Der Sport beklagt damit einen weiteren Fall psychischer Überlastung.

Thomas Hummel

Ralf Rangnick hatte am Sonntag nach dem bedrückenden 0:2 gegen die Bayern wenig gesprochen. Die Pressekonferenz nach dem Spiel bestritt zu großem Teil der Kollege Jupp Heynckes. Der hatte ja auch schönere Dinge zu erklären. Für Ralf Rangnick, an diesem Abend noch Trainer des FC Schalke 04, gab es wenig Positives zu sagen.

Ob er am Sonntag müde und erschöpft aussah, darüber diskutieren die Beobachter. Konnte man was erkennen? Am Donnerstagmorgen erklärte Ralf Rangnick jedenfalls öffentlich seinen Rücktritt. Grund: Erschöpfungssyndrom. "Nach langer und reiflicher Überlegung bin ich zum Entschluss gekommen, dass ich eine Pause brauche. Die Entscheidung so zu treffen, ist mir unheimlich schwer gefallen. Doch mein derzeitiger Energielevel reicht nicht aus, um erfolgreich zu sein und insbesondere die Mannschaft und den Verein in ihrer sportlichen Entwicklung voranzubringen", erklärte Rangnick.

Für die meisten, die Ralf Rangnick und den FC Schalke 04 in den vergangenen Wochen begleitet haben, kam der Schritt völlig überraschend. Auch Sportdirektor Horst Heldt erklärte, nichts geahnt zu haben: "Das zieht uns den Boden unter den Füßen weg, denn das war vorausschauend nicht erkennbar. Das war ein Schock, wir müssen das erst einmal sacken lassen", sagte er bei einer Pressekonferenz am Donnerstagmittag.

Nach der bedrückenden Ära Felix Magath war Ralf Rangnick in Gelsenkirchen Ende März sehr freundlich empfangen worden. Der 53-Jährige sollte und wollte einen Umbruch vollziehen, musste den aufgeblähten Kader seines Vorgängers ausdünnen und förderte, wie häufig in seiner Laufbahn, Talente. Doch spätestens im Sommer begannen Dissonanzen mit der Klubführung über den weiteren Weg.

Vor allem der Verkauf von Manuel Neuer entwickelte sich zum Störfaktor mit Langfrist-Wirkung. Zunächst wollte der Trainer den Nationaltorwart nicht abgeben. Als dies nicht zu verhindern war, beanspruchte er den Erlös von 25 Millionen Euro, um seine Mannschaft neu zu gestalten. Doch bald schon informierte ihn Sportdirektor Heldt, dass ein großer Teil davon in den Abbau von Schulden fließen werde. Am Ende investierte Schalke nur knapp sieben Millionen Euro. Rangnick hielt sich auch in öffentlichen Gesprächen nicht damit zurück, seine Unzufriedenheit zur Schau zu stellen. Ein Platz in der Champions League, wie es dem Trainer vorschwebte, schien mit dieser Mannschaft kaum erreichbar zu sein.

Es folgte die Debatte, ob der 34-jährige Raúl in eine dynamisch-jugendliche Rangnick-Elf zu integrieren sei. Auch hier musste sich der Trainer beugen und den Spanier aufstellen, vor allem weil er im Umfeld extrem beliebt ist und immer wieder entscheidende Tore schoss.

Ob diese Widrigkeiten und Missstimmungen den Erschöpfungsprozess des Trainers beschleunigten? Vielleicht auch die lebensbedrohlichen Krankheitsfälle des Vaters sowie von Rangnicks Freund und Berater Volker Weiß? Laut Schalke-Mannschaftsarzt Rarreck lautet die Diagnose bei Rangnick "vegetatives Erschöpfungssyndrom. Der Körper ist ausgelaugt, körperlich ist er am Ende." Gemeinhin wird auch vom "Burnout-Syndrom" gesprochen, oder "Ausgebranntsein". Dabei handelt es sich nicht um eine Krankheit im eigentlichen Sinne - also ein Leiden mit eindeutigen Kriterien, anhand derer sie sich diagnostizieren lässt. Nach dem Diagnosehandbuch der Weltgesundheits-Organisation WHO gehört das Ausgebranntsein zu den "Problemen mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung." Die Betroffenen fühlen sich ebenfalls körperlich und geistig erschöpft, die Ursache ist in der Regel Überbelastung und Stress.

Horst Heldt: "Hochachtung"

Seit dem Tod Nationaltorwarts Robert Enke wird im Fußball verstärkt über psychische Belastungen diskutiert. Wenngleich Enke an handfesten Depressionen litt. Zuletzt stieg Hannovers Torwart Markus Miller aus dem Profibetrieb vorerst aus, weil er an "mentaler Überlastung" leidet, wie er sagte. Miller lässt sich stationär behandeln.

Der Mensch Ralf Rangnick fiel während seiner gesamten Karriere als Fußballtrainer durch große Fachkenntnis auf. Aber auch durch Ungeduld, sehr großen Ehrgeiz, dem Drang, alles in der Hand zu halten. "Nur wer selbst brennt, kann Feuer entfachen", sagte er. Bei Kritik oder Gegenwind im eigenen Haus reagierte er oft verletzt und emotional. So hatte er schon seinen ersten Abgang in Schalke selbst betrieben, nachdem er Angriffen des damaligen Managers Rudi Assauer ausgesetzt war. Legendär seine Ehrenrunde vor einem Bundesliga-Spiel im Dezember 2005 - danach wurde er entlassen.

Rangnick ging in die gut dotierte Fußballprovinz nach Hoffenheim, wo er als starker Mann und mit Hilfe der Millionen von Mäzen Dietmar Hopp den Verein in die Bundesliga führte. Als Hoffenheim dann die Herbstmeisterschaft feierte, war Rangnick der begehrteste Trainer Deutschlands. Seine Verbindung mit Hoffenheim ging zu Ende, als Hopp den Geldfluss verringerte und gegen den Willen Rangnicks Luiz Gustavo nach München ziehen ließ.

Damals äußerte er bereits, nun eine Auszeit zu benötigen. Doch nach den Turbulenzen um Felix Magath stieg er schon Ende März beim FC Schalke 04 ein. Dem Klub ist das heute offenbar unangenehm, auf seiner Internetseite schreibt er: "Nach intensiven Gesprächen mit den Verantwortlichen des FC Schalke 04 entschied sich der gebürtige Backnanger, die Aufgabe bereits Ende März und damit deutlich früher als ursprünglich geplant anzutreten und dem Verein in seiner damaligen Situation zu helfen."

Heldt bescheinigte jetzt dem Trainer "Hochachtung" vor seiner Entscheidung, nun so öffentlichkeitswirksam zurückzutreten. Erst einmal haben die Ko-Trainer Seppo Eichkorn und Markus Gisdol am Donnerstag das Training geleitet, die beiden werden auch am Samstag beim SC Freiburg die Entscheidungen treffen. Wer perspektivisch Trainer des FC Schalke 04 sein soll? "In der Kürze der Zeit kann nicht an Lösungen gedacht werden", sagte Heldt.

Immerhin scheint Rangnicks Karriere nicht beendet zu sein: "Er wird nach einer Pause zur alten Stärke zurückkommen", erklärte Mediziner Rarreck und verglich den Zustand des Trainers mit einem Spieler, "der übertrainiert ist und seine Leistung nicht mehr bringen kann".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: