Süddeutsche Zeitung

Premier League:Die erste Umarmung mit Ronaldo

Ralf Rangnick gewinnt als erster deutscher Trainer sein Debüt-Spiel in England. Beim hart erkämpften 1:0 von Manchester United gegen Crystal Palace bricht in Old Trafford bereits Euphorie aus.

Von Sven Haist, Manchester

Nach der Tor-Premiere als Trainer des Manchester United Football Club konnte sich selbst der bis dahin kontrolliert agierende Ralf Rangnick nicht mehr zurückhalten. Fast außer sich vor Freude riss er die Arme hoch, ballte die Fäuste und führte eine kleine Jubeleinlage auf, die ähnlich furios aussah wie die seiner extrovertierteren Trainerkollegen Jürgen Klopp (Liverpool) und Thomas Tuchel (Chelsea). Mit seinem Fachwissen hatte Rangnick einst den Karriereweg der beiden Landsleute mitgeprägt - bis er nun am Sonntag selbst einen Lohn für seine jahrzehntelange strategische Vordenkerrolle im Fußball erhielt. Zu seinem Einstand als Interimscoach von United - 925 Tage nach seinem bisher letzten Spiel als Trainer, dem mit Leipzig verlorenen DFB-Pokalfinale 2019 - gelang Rangnick mit Manchester durch ein wunderbares Tor des Mittelfeldantreibers Fred (77.) ein verdientes 1:0 über das hartnäckig verteidigende Crystal Palace.

Die Euphorie im Old Trafford zeigte: Die Leidenszeit des Vereins soll erst mal vorbei sein. Nach fünf Trainern, acht Jahren und mehr als einer Milliarde Euro an Transferausgaben seit dem Rücktritt des Ewigkeitstrainers Sir Alex Ferguson scheint Rangnick, 63, dem verwöhnten Rekordmeister den Glauben an ein Anknüpfen an die ruhmreiche Vergangenheit zurückzugeben. Schon nach seinem ersten Spiel stellt sich unter den Fans kaum mehr die Frage, ob Rangnick der richtige Trainer sei, sondern die, wie weit er den Klub nach dem vermaledeiten Saisonstart noch nach oben führen könne.

"We love you Rangnick, we do", sang ein beseeltes Old Trafford. Auf der Tribüne stimmten die Vereinslegenden Denis Law, Alex Ferguson and Wayne Rooney angetan zu. Durch den Sieg ist United an die Europa-Plätze herangerückt, aber immer noch elf Punkte hinter dem Stadtnachbarn City, der am Samstag Chelsea (2:3 in West Ham) als Tabellenführer ablöste. Er sei "sehr zufrieden" und "beeindruckt" über die Leistung, sagte Rangnick, das Team habe "viel besser" gespielt als er erwartet hatte. Trotz Überlegenheit verpasste es United, früh in Führung zu gehen. So geriet das Spiel am Ende zu einer Zitterpartie, in der auch Palace hätte punkten können, als Jordan Ayew nach einem Eckball kurz vor Schluss die beste Chance vergab.

Er verzichtet darauf, sich gleich mit gewagten Personalien zu profilieren.

Seit der Bekanntgabe von Rangnicks Verpflichtung ist kein Tag vergangen, an dem er nicht in den Schlagzeilen stand. In seitenlangen Analysen haben die Inselmedien jeden Fußabdruck vermessen, den er in seiner Karriere hinterlassen hat. Noch bevor Rangnick seine Ideen vorgestellt hatte, verbreitete sich die These, seine Berufung bedeute "eine Revolution". Der BBC war es eine Stunde vor Anpfiff eine "Breaking News" wert, dass Rangnick ganz unspektakulär dieselbe Startelf aufs Feld schickte, die am Donnerstag unter Übergangstrainer Michael Carrick Arsenal 3:2 besiegt hatte.

So stand der zuletzt überragende David de Gea im Tor, Abwehrchef Harry Maguire trug weiter die Kapitänsbinde - und selbstverständlich wirkte Cristiano Ronaldo als Mittelstürmer mit. Mit 63 hat es Rangnick nicht mehr nötig, sich gleich im ersten Spiel mit gewagten Personalien zu profilieren. Die einzige Neuerung bestand tatsächlich darin, dass erstmals ein deutscher Trainer in der 143-jährigen Klubhistorie das Team coachte, und "Coachen" darf im Wortsinn verstanden werden.

Nach einem warmen Empfang im kalten Manchester lief Rangnick zum neuen Arbeitsplatz und blieb dort gleich stehen. Für ein paar Sekunden drehte er sich zur Haupttribüne und schien den besonderen Moment zu genießen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Ole Gunnar Solskjaer, der Eingriffe ins Spiel meist den Assistenten überlassen hatte, verfolgte Rangnick fast durchgehend die Partie aus unmittelbarer Nähe. Er tat es unaufgeregt und subtil, aber auf dem Rasen lieferten auf einmal dieselben Spieler ein anderes Spiel. Rangnicks pfiffigster Einfall war, die Positionen des zuletzt linksaußen platzierten Marcus Rashford und des Spielmachers Bruno Fernandes zu tauschen. So hatte Sturmveteran Ronaldo im pfeilschnellen Rashford einen Kompagnon an der Seite, der mit tiefen Laufwegen eine Anspielstation hinter der Abwehr anbot. Mehrmals im Spiel setzten ihn die Kollegen mit gezielt in den freien Raum gelupften Pässen ein, und Rashford legte dann stets auf Ronaldo ab.

Ebenso auffallend war das gezielte Attackieren des gegnerischen Spielaufbaus. Speziell in der ersten Halbzeit habe das Pressing "außergewöhnlich gut" funktioniert, lobte Rangnick. Sogar der oft für dürftige Mithilfe in der Defensive gescholtene Ronaldo stellte sich auffallend in den Dienst der Mannschaft, was Rangnick mit einem Sonderlob ("Chapeau!") würdigte. Ronaldo revanchierte sich mit einer anerkennenden Umarmung für Rangnick, dem es trotz seiner prominenten Vorgänger vorbehalten war, als erster deutscher Trainer sein Auftaktspiel in der Premier League zu gewinnen.

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