Ralf Rangnick im Gespräch:"Mobbing schließe ich aus"

Trainer Ralf Rangnick über die Hintergründe seines überraschenden Abgangs bei der TSG Hoffenheim, die Rolle von Geldgeber Dietmar Hopp und seine eigene Zukunft.

Moritz Kielbassa

SZ: Herr Rangnick, auch nach intensiver Aufarbeitung der Ereignisse wirkt Ihr Aus als Trainer des Fußball-Bundesligisten TSG Hoffenheim in der Vorwoche sonderbar. Viele sehen Sie in dem ganzen Chaos - trotz Jobverlust - als Gewinner.

File photo of TSG Hoffenheim's coach Rangnick looking on before the German Bundesliga soccer match against FC St. Pauli in Hamburg

"Es war ein ehrliches, kritisches, sachliches Schreiben, das die Vertrauensfrage beinhaltete."

(Foto: REUTERS)

Ralf Rangnick: Gewinner gibt es keine. Hätte mir jemand die Dinge vor 14 Tagen so vorhergesagt, ich hätte das nie geglaubt.

SZ: Mäzen Dietmar Hopp begründete die Trennung auch damit, Ihr Ehrgeiz mit Ziel Champions League sei für das kleine Hoffenheim zu riskant gewesen.

Rangnick: Dietmar Hopps Ehrgeiz unterscheidet sich kaum von meinem, sonst hätte er 2006 nicht zum Hörer gegriffen, um mich in die Regionalliga zu holen. Unsere Ziele waren die längste Zeit deckungsgleich. Die Champions League war bisher gar kein Thema. Vor dieser Saison diskutierten wir darüber, wer wir sind und wohin wir wollen. Dabei beschlossen wir, uns wieder lupenrein auf den ursprünglichen Weg und den jungen Spielermarkt zu konzentrieren. Wir holten Mlapa, Rudy, Sigurdsson. Damit war doch klar, dass vor der Saison Platz eins bis fünf kein realistisches Ziel sein konnte. Der Punkt ist: Dietmar Hopp schaut mehr denn je auf die Einnahmenseite, so ergaben sich nun doch verschiedene Sichtweisen zur Ausrichtung des Klubs.

SZ: Hopp und Manager Ernst Tanner reisten ohne Ihr Wissen mit dem Spielerberater zu Transfergesprächen mit dem FC Bayern wegen Luiz Gustavo. Mussten Sie alleine wegen dieses Vertrauensbruchs aus Selbstachtung aufhören?

Rangnick: Diese Reise nach München war ein Auslöser.

SZ: War es unterwürfig, zu den Bayern zu fliegen? Und naiv zu glauben, dass in einer so geschwätzigen Branche der eigene Trainer nicht mitkriegt, wenn sich Mäzen und Manager in einem Flughafenhotel mit FC-Bayern-Bossen treffen?

Rangnick: Ich habe Dietmar Hopp und Ernst Tanner in persönlichen Gesprächen meine Meinung gesagt. Erfahren habe ich davon in der Tat durch Medien.

SZ: Der zweite Schreck folgte bald.

Rangnick: Als mir der Berater von David Alaba am Telefon erzählte, dass Luiz Gustavo verkauft ist und sein Spieler im Gegenzug an die TSG ausgeliehen werden soll - da war mir sofort klar: Ich kann in Hoffenheim nicht mehr arbeiten.

SZ: Sie wussten wirklich nichts vom Vollzug der beiden Geschäfte?

Rangnick: Nein. Es gab in der Bundesliga zwar schon alles, aber so einen Fall wohl noch nie. Mir war klar: Selbst wenn Dietmar Hopp und ich beim regen Telefon- und Mailverkehr im Weihnachtsurlaub alle Dinge ausgeräumt und den Gedanken, uns zu trennen, verworfen hätten - in der Öffentlichkeit hätte der Fall Gustavo trotzdem Spuren hinterlassen.

SZ: Können Sie nachvollziehen, dass Hopp und Tanner Sorge hatten, Sie würden sich, falls man Sie einweihe, leidenschaftlich gegen den Transfer stemmen? Sie gelten als sehr emotional und launisch, laut Hopp drohten Sie mehrmals mit Rücktritt. Auch Ihre Mails zu Hopp nach Florida sollen würzig gewesen sein.

Rangnick: Es war ein ehrliches, kritisches, sachliches Schreiben, das die Vertrauensfrage beinhaltete.

SZ: Die Interpretation vieler Beobachter war: Der Flug nach München war eine gezielte Aktion von Hopp und Tanner, um den unbequemen Trainer loszuwerden. Wurden Sie ein Mobbing-Opfer?

Rangnick: Mobbing schließe ich völlig aus. Dieses Gefühl hatte ich zu keiner Sekunde, dazu kenne ich Dietmar Hopp als Mensch zu lange und zu gut. Er sagt ja inzwischen selbst, es tue ihm leid. Wir werden uns zeitnah treffen und noch mal persönlich über die Ereignisse sprechen.

"Ich kann Luiz Gustavo verstehen"

SZ: Zunächst beteuerten alle Beteiligten, Gustavo dürfe im Winter nicht weg.

Ralf Rangnick und Marco Pezzaiuoli

"Mein Nachfolger Marco Pazzaiuoli wird die erfolgreiche Arbeit fortsetzen."

(Foto: dpa)

Rangnick: Im Sechs-Augen-Gespräch vor Weihnachten waren wir komplett einer Meinung: Im Sommer können wir Gustavo nicht halten, aber jetzt ist ein Transfer nicht darstellbar - es sei denn, Bayern zahlt deutlich mehr als im Sommer und wir kriegen sofort adäquaten Ersatz. Wegen dieser Absprache bestand nie Anlass, mir Dinge zu verheimlichen.

SZ: Gustavo wollte unbedingt weg.

Rangnick. Das kann ich verstehen. Ich weiß, aus welch einfachen Verhältnissen er aus Brasilien kam. Der Reiz, sich über die Champions League für die Seleção zu empfehlen, war sicher auch ein wichtiger Aspekt. Am Ende ließen Dietmar Hopp wohl zwei Gründe umschwenken: Die menschliche Seite - was passiert mit Luiz' Psyche, wenn wir ihn nicht sofort freigeben? Und der Fakt, dass die Bayern sagten: Wir wollen ihn sofort, im Sommer können wir es nicht verbindlich zusagen.

SZ: Hopp sagt: Hätte er geahnt, dass Sie einem Wintertransfer zugestimmt hätten, wäre das alles nicht passiert. War einer der seltsamsten Trainer-Abschiede der Bundesliga am Ende völlig unnötig?

Rangnick: Rückblickend vielleicht: ja.

SZ: Waren Hopp und Sie zwei Menschen, die gerne Ihren Willen durchsetzen und häufig Dissonanzen hatten?

Rangnick: Nein, auf das operative Geschäft hat er nie Einfluss genommen.

SZ: Ihm wird vorgeworfen, im Gustavo-Fall seine Weisungsbefugnis enttarnt zu haben - unter Verletzung der 50+1-Regel gegen Allmacht von Investoren.

Rangnick: Ich kann absolut versichern, dass er bis dato an keinen Transfergesprächen teilgenommen hat. Bei großen Transfers fragten und informierten wir ihn nur. Für mich war aber immer klar: Dietmar Hopp muss sich in Hoffenheims Weg wiedererkennen und wohlfühlen. Wir starteten mit dem Ziel, bis zu seinem 70. Geburtstag in der Bundesliga zu sein. Das schafften wir in zwei statt fünf Jahren, und sofort waren wir Herbstmeister. Dieser Riesenhype schaffte für uns alle völlig neue Situationen. Wir ließen uns höhere Erwartungen diktieren, die wir nicht komplett erfüllen konnten. Dazu kam die Finanzkrise - ein Aspekt, den man nicht vergessen darf -, und irgendwann wollte Dietmar Hopp, dass die wirtschaftliche Seite besser abgesichert ist.

SZ: Ist es nicht verständlich, dass er nach Privatspenden von 240 Millionen Euro seine Zuwendungen mindern will?

Rangnick: Das ist sein gutes Recht, obwohl ich zumindest unausgesprochen davon ausging, dass seine Rolle als Mäzen Geschäftsgrundlage ist, und dass wir in der ersten Liga weiter wachsen wollen.

SZ: Hopp wäre eine weitere Expansion nicht geheuer: Er gab soeben hohe Verluste in Liga eins bekannt, etwa 80 Millionen Euro von 2007 bis 2010. Ohne die jetzige Kurskorrektur - mit verkauften Leistungsträgern und Rücksicht auf das Financial Fair Play der Uefa - wäre irgendwann die Lizenz gefährdet gewesen, klagt er. Transferausgaben, inklusive einiger Flops, und explodierte Spielergehälter hätten Hoffenheim fast ruiniert.

Rangnick: Wir beschlossen ja gemeinsam die Rückkehr zum Kerngeschäft mit Talenten. Der Verein muss trotzdem die Konsequenzen seines Handelns sehen: Den besten Mann im Winter zu verkaufen, ist ein Signal mit Auswirkungen auf alle anderen Spieler und auf die Fans.

SZ: Auch Stürmer Demba Ba will derzeit ja eine Freigabe erzwingen. Benötigt Hoffenheim eine Europacup-Teilnahme, um für Topspieler, eigene und externe, reizvoller zu werden? Um Leute wie Holtby, Müller, Khedira, Subotic bemühten Sie sich bisher vergebens.

Rangnick: Ich kann sagen: In all den Jahren ging es bei Transfers hier zuallerletzt ums Geld. Es ging vor allem darum, Spieler von Hoffenheim zu überzeugen. Spieler kamen und kommen nicht hierher wegen der schönen Landschaft, und eine Erfolgstradition hat die TSG bisher auch noch nicht. Gute Spieler gehen dorthin, wo schon andere gute Spieler sind. Als Obasi ankam, fragte er mich: "Coach, where are the people? Ich sehe nur Kühe und Felder?" Carlos Eduardo wollte von mir wissen, wie groß unsere Stadt ist. Ich flunkerte: zwei Millionen Menschen - die ganze Metropolregion gerechnet, sonst hätte er vielleicht nicht zugesagt. Und dass wir Leute wie Holtby, Subotic nicht bekamen, stürzte den Trainerstab und die Scoutingabteilung in eine Sinnkrise

SZ: Ist es daher Teil des aktuellen Imageschadens, dass sich Hoffenheim selbst unnötig kleinredet?

Rangnick: Es ist doch schön, dass es im Verdrängungswettbewerb Bundesliga inzwischen auch kleinere Klubs schaffen, an Europa ranzuschnuppern, wie wir, Freiburg, Mainz, Hannover, während große in Abstiegsgefahr sind. Ich traue Hoffenheim in der Rückrunde einiges zu. Mein Nachfolger Marco Pezzaiuoli, den ich selbst vom DFB zur TSG holte, wird die erfolgreiche Arbeit fortsetzen.

"England wäre vorstellbar"

Dietmar Hopp, Ralf Rangnick

Damals noch vereint: Ralf Rangnick und Dietmar Hopp bei der Aufstiegsfeier im Jahr 2008.

(Foto: AP)

SZ: Ohne die vielen späten Gegentore könnte man in der Ligatabelle derzeit Dritter, Vierter sein, nicht Achter. Ist es insofern grotesk, dass Sie aufhören?

Rangnick: Es ist sicher schade, denn wir haben trotzdem attraktiven Fußball und konstante Leistungen gezeigt.

SZ: Die Säulen der alten Erfolgself sind teuer verkauft: Für Eduardo gab es 17 Millionen, für Gustavo ebenso, für Ba vielleicht bald weitere acht bis zehn.

Rangnick: Spieler, die vor 2007 in Europa keiner kannte. Meine Aufgabe war vor allem, durch Weiterentwicklung eine signifikante Wertsteigerung der Spieler zu erreichen. Die Genannten und andere wurden Top- und sogar Nationalspieler. Würde man den gesamten Kader verkaufen, ergäbe sich ein deutliches Transferplus. Seit dem Aufstieg war jedes Heimspiel ausverkauft, diese Saison steigerten wir die TV-Einnahmen um über fünf Millionen, der Verbleib im Pokal bringt Einnahmen und Imagegewinn. Das alles ist immer eng an Erfolg geknüpft.

SZ: Schenkt Hopp aus Ihrer Sicht intern zu vielen Leuten Gehör? Wie dem neuen kontrollierenden Beirat? Oder dem Spielerrat, der Hopp zuletzt kritische Dinge über den Trainer mitteilte?

Rangnick: Auch hier gilt: Teile der Medien interpretierten das - zu einem Zeitpunkt, wo es sportlich gar keine Veranlassung für ein solches Treffen zwischen Dietmar Hopp und den Spielern gab.

SZ: Unzufriedene Profis (Simunic, Ibisevic, Eichner) klagten, wie man las, der Teamgeist sei zuletzt ein Trugbild gewesen - und etliche Spieler seien gegen Sie.

Rangnick: Das hat nichts mit der Realität zu tun. Zu großen Teilen der Mannschaft hatte ich ein von gegenseitigem Respekt geprägtes Vertrauensverhältnis, fast jeder kam durch mich zur TSG. Spieler, die glauben, dass sie gefühlt zu wenig spielen, gibt es in jeder Mannschaft.

SZ: Es heißt, ruhige und schlaue Spieler wie Beck, Compper, Rudy liegen Ihnen mehr als kleine Diven, von denen es doch ein paar gab bei der TSG - wie Carlos Eduardo, der soeben aus Russland grüßte: "Rangnick mag nur Ja-Sager!"

Rangnick: Ein klarer Fall von Wahrnehmungsstörung. Als bei Carlos die Einstellung nicht mehr so stimmte, hatten Mitspieler sogar eher das Gefühl: Der hat einen kleinen Bonus beim Trainer und steht ein Stück weit unter Artenschutz.

SZ: Wollen Sie bei Ihrer nächsten Station wieder wie in Hoffenheim arbeiten: mit viel Know-How und Spezialisten?

Rangnick: Grundsätzlich ja. Allerdings stellten wir im Vorjahr fest, dass die Dosis nicht mehr passte und dass unser Stab etwas zu groß war.

SZ: Ihr spezieller Freund Uli Hoeneß kommentierte damals: In Hoffenheim räumen sie gerade die Kabine leer, weil sie ihr Projekt und Rangnicks Modell der flachen Hierarchie - mit Selbstverantwortung der Spieler - als gescheitert ansehen.

Rangnick: Beides sehe ich nicht so. Der Erfolg gab uns recht.

SZ: Was peilen Sie als nächsten Schritt an: einen Verein mit internationalem Anspruch - oder wieder Aufbauarbeit?

Rangnick: Hoffenheim gibt's kein zweites Mal. Ich gehe davon aus, nach einer Pause am 1. Juli wieder einzusteigen.

SZ: Hat Ihr Abschied in Hoffenheim auch damit zu tun, dass ein neuer lukrativer Job wie Wolfsburg in Aussicht steht?

Rangnick: Nein, absolut nicht. Es hätte für mich in den letzten Jahren diverse Möglichkeiten gegeben, für andere Topvereine zu arbeiten, das kam für mich aber zu keinem Zeitpunkt in Frage.

SZ: Und England? Wäre die Premier League ein Anreiz - zumal Sie dort wieder so arbeiten könnten wie in Hoffenheim nur zu Beginn: mit Entscheidungshoheit auch in allen Transferfragen?

Rangnick: Dass ich für England und den Fußball dort eine größere Affinität habe als wohl jeder andere deutsche Trainer, liegt an meiner Vita: Ich lebte und studierte dort. Vorstellbar wäre das sicher - zumal in 110 Jahren dort in der ersten Liga noch kein deutscher Trainer war.

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