Nach Mitternacht erhob sich das Publikum in der Arena in Málaga, um Rafael Nadal zu gratulieren – nicht zu einem Sieg, dazu reichte es nicht mehr. Sondern zum Ende einer großen Karriere. Er hatte sein 1307. Profimatch am frühen Abend verloren, 4:6, 4:6 im ersten Einzel des Davis Cups gegen Botic van de Zandschulp. Danach musste sich auch das spanische Tennisteam mit 1:2 in die Viertelfinal-Niederlage gegen die Auswahl der Niederlande fügen. Die Karriere von Rafael Nadal, einem der Besten, die je das Reich zwischen den weißen Linien im Sport betraten, war um 0.02 Uhr vorbei.
Tränen flossen schon, bevor der erste Ball flog. Nadal rang sichtlich um Fassung, als um 17 Uhr die Nationalhymne erklang, zehntausend Zuschauer ihm aus voller Kehle zujubelten, und nicht wenige wischten sich über die Augen. Die „Rafa, Rafa“-Rufe waren so ohrenbetäubend, dass der Stadionsprecher seine Ansage unterbrach. Dann wurde es noch einmal sehr still in der Arena José María Martín Carpena, als der Toten der Flutkatastrophe in der Region Valencia vor zwei Wochen gedacht wurde. Ein Moment, der die Verhältnisse der Dinge dann doch wieder in eine angemessene Perspektive rückte. Traurig stimmen mag der Abschied des größten Spaniers, der jemals einen Tenniscourt betrat; ein Anlass zur Trauer ist er nicht. „Jeder Sportler tritt irgendwann zurück, das ist der Lauf der Welt“, hat Nadal in den vergangenen Monaten oft genug gesagt.
Rafael Nadal:„Vielleicht kann ich noch ein Jahr durchhalten. Aber wozu?“
Ein letztes Mal tritt Rafael Nadal bei einem offiziellen Tennisturnier auf. Ob der 22-malige Grand-Slam-Champion im Viertelfinale des Davis Cups zum Einsatz kommt? Ungewiss. Der Spanier ist trotzdem mit sich im Reinen.
Der geschundene Körper hat die Grenzen der Belastbarkeit erreicht
Am Dienstagabend trat er ein letztes Mal an die weiße Linie. Er ließ den Ball aufprallen, strich sich in einem kurzen Ritual links und rechts die Haare aus der Stirn, zupfte am Ohrläppchen, links, rechts, und am Bund der Hose, ehe er den Aufschlag übers Netz drosch. Tausend Mal gesehen. Der Wille war da, die Entschlossenheit, die Energie, die Kraft, die Konzentration – dennoch hat es nicht gereicht, auch nicht gegen den nur zweitbesten Spieler der Niederländer, Botic van de Zandschulp, 29, die Nummer 80 der Welt. Nadal hat es nach dem Spiel selbst so eingeschätzt: „Er war besser als ich, mehr gibt es nicht zu sagen. Es ist jetzt ja nicht mehr nötig, viel zu analysieren.“
Rafael Nadal, 38, Gewinner von 22 Grand-Slam-Titeln seit 2005, hatte sich noch einmal sechs Wochen lang in Form gequält für diesen letzten Auftritt in Málaga, mit einem Publikum, das ihn liebt und bei jedem Ballwechsel frenetisch antrieb. Sein letztes offizielles Match lag drei Monate zurück, eine Niederlage bei den Olympischen Spielen in Paris gegen den alten Rivalen Novak Djokovic. Seit er seinem geschundenen Körper vor knapp zwei Jahren eine weitere Verletzung am Hüftbeuger zufügte, wurde deutlich, dass auch dieser menschliche Körper eine Belastungsgrenze erreicht. Die Hüfte wurde operiert, ein Stück Muskel verpflanzt, dann riss das Gewebe im Januar erneut an selber Stelle. Er hat es immerhin tatsächlich noch einmal bis zum Ende der Saison geschafft.
Es hätten drei Abschieds-Matches für ihn werden können in Málaga, hätte das spanische Team das Halbfinale und Finale erreicht. Aber Nadals Auftritt gegen van de Zandschulp leitete die frühe Niederlage ein. Die ersten beiden Ballwechsel verlor er vielleicht aus Nervosität, wie er einräumte. Bis zum 4:4 hielt er mit, auch wenn ihm die frühere Explosivität und Wendigkeit fehlten. Er war schnell, aber oft nicht genug, und manchmal landete ein Ball neben der Linie, den er früher mit Wucht noch ins Feld gezirkelt hätte. Das Publikum bejubelte Punkt um Punkt, er motivierte sich selbst mit geballter Faust, aber dem Niederländer gelang das Break zum 4:5, dann war der erste Satz verloren.
Als die Entscheidung fiel, saß Nadal auf der Bank
Im zweiten blitzte mitunter die Genialität auf, mit der er das Publikum in den Bann gezogen hatte, seit er 2004 als 18-Jähriger erstmals im Davis Cup antrat: Den Punkt zum 1:2 verwandelte er nach einem fulminanten Schlagabtausch mit einem Ball, den er aus vollem Lauf rückwärts über die Schulter schlug. Nach 1:52 Stunden stand fest: Das letzte Feuerwerk war abgebrannt.
Nadals spanischer Kollege Carlos Alcaraz, 21, traf im zweiten Einzel auf den Niederländer Tallon Griekspoor, er schaffte in zwei Sätzen (7:6, 6:3) den Match-Ausgleich. Die Entscheidung fiel im Doppel, das Alcaraz und Marcel Granollers gegen Koolhof/van de Zandschulp 6:7, 6:7 verloren. Nadal verfolgte die Niederlage im Kreise des spanischen Teams auf der Bank.
Hätte Spaniens Kapitän David Ferrer auf Nadals Einsatz in diesem Viertelfinale besser verzichtet? Es war ein Risiko, das gab Nadal selbst zu. Andererseits sei es Aufgabe des Teamchefs, jenen Akteur zu nominieren, von dem er sich am ehesten einen Sieg verspreche, und er, Nadal, habe ihn nicht gedrängt. Vier Mal hat er diesen Davis Cup in seiner Karriere erobert (2004, 2009, 2011, 2019), neben 92 Einzeltrophäen. „Aber wäre ich selbst der Kapitän“, sagte er zum Schluss mit unsentimentaler Ehrlichkeit, „dann würde ich mich auswechseln.“ Er wusste schon auf dem Platz, während er den letzten Ball erjagte: Das Spiel ist aus.